Geschrieben am 11. Mai 2009 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Die SZ stellt die Sinnfrage

Wozu Journalisten?

Das Magazin der Sueddeutschen Zeitung widmet eine ganze Ausgabe der Beantwortung dieser Frage. Aber man fasst sich an den Kopf, wenn man in einem gut vierzigseitigen Magazin über die alte Zeitung und das neue Internet nur eine Seite über die Pressefreiheit entdeckt – eine Seite, die noch nicht einmal zum redaktionellen Teil gehört. Von Carl Wilhelm Macke

Das geschriebene und vor allem das gedruckte Wort im Zeitalter von YouTube, Bloggern und Facebook wurde von der SZ durchleuchtet. Von A wie „Auflage“ über E wie „Echtzeit“, L wie ‚Lifestyle“, P wie „Papier“ bis Z wie ‚Zwanzigjährige’ ( Gratulation der zwanzigjährigen Abiturientin Carmen für ihre minimalistische Kolumne: „Tageszeitung: 7 min an einem Samstag“ ).

Das Heft solle, so die Macher, „die Krise des Zeitungsjournalismus, bis vor Kurzem eher als amerikanisches Phänomen betrachtet…die gegenwärtige Diskussion in ihrer ganzen Vielschichtigkeit abbilden. Die Damen und Herren aus dem schreibenden oder bloggenden Gewerbe drehen in diesem Heft wirklich wunderbare Locken auf den Glatzen, um ein Bonmot über ein gelungenes Zeitungsfeuilleton vom alten Alfred Polgar zu zitieren. Lesenswert wie zum Beispiel eine „Inhalte-Entwicklerin“ an ihrem PC im fernen Bangladore die bürokratische Abwicklung eines journalistischen Textes zum Besuch von Michelle Obama in Deutschland beschreibt. „…Unsere Mitarbeiterin wird alle Informationen zum Thema sammeln und eine Liste mit Links als Nachweis für Sie erstellen. Sie wird die Information dann in einem Artikel verdichten..“ (Deprimierend nur, dass auch der Standard vieler ‚Vor-Ort-Artikel‘ bereits so gesunken ist, dass man getrost manche Korrespondentenberichte in das südliche Indien delegieren kann).

Auch Willi Winkler, mit 51 Jahren heute schon zu den schreibenden Oldies zu rechnen, schreibt ein passioniertes Plädoyer für das gute alte Zeitungspapier – an das sich die Jüngeren unter uns vielleicht schon gar nicht mehr erinnern: „Der Zeitungsberg ist kein Altpapier, sondern ein Schatzhaus. Wie also könnte ich mich freiwillig von meinen ungelesenen Zeitungen trennen“? Eine wunderbar geflochtene Flocke auf der Glatze eines alternden Schreibers, mehr nicht, aber immerhin der Duft der guten alten Zeitungsära. Gegen das Internet aber spricht diese Eloge auf den Zeitungsberg nicht. Ein Blogger kennt nur den Schirm und eine Tastatur auf seinem Schreibtisch, vielleicht auch nur das Laptop auf seinen Knien. Alles gut und schön und auf der Höhe der Zeit.

66 inhaftierte o­nline-Journalisten

Trotzdem aber fasst man sich an den Kopf, wenn man in einem gut vierzigseitigen Magazin über die alte Zeitung und das neue Internet nur eine Seite über die Pressefreiheit entdeckt. Die aber gehört nicht zum redaktionellen Programm, sondern ist erkennbar eine Anzeige. „Das Leben von Yusuf oder Rosa oder Sun oder Ramon oder Li oder Schirin oder Korash oder Anna oder Fabio oder Jassem oder Dafina ist in Gefahr. Ohne Pressefreiheit können wir nur raten. Aber niemanden helfen. 15 Jahre ‚Reporter ohne Grenzen’.“

In den Beiträgen des SZ-Magazins, geschrieben zum Teil von erfahrenen Journalistinnen und Journalisten, findet man keine einzige Zeile über die Bedrohungen der Pressefreiheit, über die Reporter, die mit ihren Recherchen in den Grauzonen zwischen Legalität und Illegalität der überall wuchernden Korruption auf der Spur sind. In Italien, um nur ein naheliegendes, durchaus demokratisches Mitglied der ‚Europäischen Union’ zu nennen, stehen aktuell zehn Journalisten wegen ihrer Recherchen im Mafia-Milieu unter Polizeischutz. Und über die Zahl der inhaftierten o­nline-Journalisten hätten sich die Macher des SZ-Magazins durch einen schnellen Klick unter www.reporter-ohne-grenzen.de informieren können. Zur Information: 66 Journalisten befinden sich wegen ihrer regierungskritischen o­nline-Präsenz Mitte 2009 in Haft. Und 16 Journalisten wurden bis Mai dieses Jahres im Rahmen ihrer Tätigkeit getötet.

„Der Chronist“, hat Joseph Roth, einer der großen journalistischen Vorbilder des ‚alten Journalismus‘, einmal geschrieben, „ist bemüht, die Symptome der Zeit und des Ortes aufzuzeichnen.“ Und zu einem Symptom dieser Zeit gehören nun mal auch Diktaturen, Gewalt und Angriffe auf die Pressefreiheit. Wozu braucht man dann noch Journalisten, die diese Symptome nicht zur Kenntnis nehmen und aufzeichnen – ob Off- oder o­nline?

Carl Wilhelm Macke