Geschrieben am 26. September 2008 von für Litmag, Vermischtes

Der Baader Meinhof Komplex

Doppelstunde Geschichte mit Uli und Bernd

Der Film wirkt wie ein Spiegel, und es ist gerade in den letzten Tagen interessant zu beobachten, wie genau die empörten Äußerungen aus den verschiedenen Lagern jeweils exakt diejenigen porträtieren, die sich zu Wort melden.

Was es über die RAF zu wissen gibt, hat Stefan Aust auf beeindruckende Art in seiner akribisch recherchierten und dramaturgisch gekonnt aufbereiteten journalistischen Chronik Der Baader Meinhof Komplex zusammengetragen: Ein Buch, das bis heute als Standardwerk zur Geschichte des linksrevolutionären Terrorismus in Deutschland gilt.

Dass sich nun ausgerechnet das Gespann Bernd Eichinger/ Uli Edel daran gemacht hat, dieses komplexe und spannende Kapitel jüngster Deutscher Geschichte zu verfilmen, verwundert nicht: Eichinger/Edel stehen ebenso synonym für plakative, kraftvoll und publikumswirksam umgesetzte Stoffe, wie Lennon/McCartney synonym für Popmusik stehen. Allerdings musste man befürchten, dass der Stoff zu einer großen Leinwandschmonzette mit Terroristen als coolen Underdogs aufgeblasen wird, die mit flackerndem Che-Guevara-Blick und gereckter Faust gegen das verkrustete System kämpfen: Eine Handvoll Idealisten, die sich nicht unterkriegen lassen und mit brennendem Herzen die Gesellschaft ändern wollen.

Hektisch, laut, blutig – aber fein austariert

Es ist vielleicht das Überraschendste an diesem Film, dass er in genau diese Falle nicht tappt. Was viele Kritiker ihm ankreiden – nämlich seine Kälte – ist seine größte Qualität. Zumal „Der Baader Meinhof Komplex“ vor allem aus der Sicht der RAF erzählt wird und eine solche „Täterperspektive“ fast unweigerlich Identifikation schafft. Bei den Straßenschlachten ist man mittendrin; der Film ist laut, hektisch und blutig, aber seine Moral ist so fein austariert, dass man jede Seite – nein, nicht unbedingt verstehen, aber zumindest nachvollziehen kann.

Diese Sensibilität reicht bis in feinste Verästelungen der Interpretation jedes einzelnen Charakters. Was die erste Garde deutscher Schauspieler hier abliefert, ist absolut großartig. Moritz Bleibtreu zeigt uns Andreas Baader als cholerische Testosteronschleuder zwischen unpolitischem Gepose und pubertärer Kraftmeierei, ein Polit-Clown mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung; ein Pfau und ein Weiberheld, der gern in geklauten Porsches durch die Straßen fährt und auf Verkehrsschilder ballert, und man begreift, dass so ein Typ heute wahrscheinlich Rapper geworden wäre.

Überhaupt begreift man die RAF eher als Phänomen einer Zeit und einer Gesellschaft, nicht als durchgedrehte Spinnerei einer Handvoll Bekloppter, und dass das Augenmerk des Films eher darauf liegt, die Mechanik der Ereignisse nachzuzeichnen, als die Biographie der Protagonisten zu erzählen, ist da nur konsequent. 

Polit-Clown mit Persönlichkeitsstörung

Wie Austs Buch ist der Film an keiner Stelle entschuldigend, idealisierend oder romantisierend; Baader und Ensslin (von Johanna Wokalek hinreißend in der Schwebe gehalten) werden – auch wenn sich das vielleicht anböte – nicht zu cool gestylten Bonnie-und-Clyde-Ikonen der RAF, und Bruno Ganz mit seiner famosen Darstellung des BKA-Präsidenten Horst Herold liefert den letzten Beweis dafür, dass dieser Film nicht polemisiert.

Dass er die Gemüter trotzdem so erhitzt, liegt nicht nur an seinem Thema und einer wie immer ausgekochten PR- und Vermarktungsstrategie, sondern vor allem daran, dass jeder in diesem Film sehen kann, was er sehen will: Er wirkt wie ein Spiegel, und es ist gerade in den letzten Tagen interessant zu beobachten, wie genau die empörten Äußerungen aus den verschiedenen Lagern jeweils exakt diejenigen porträtieren, die sich zu Wort melden.

Uli Edel hat gesagt, er habe diesen Film vor allem für seine Kinder gemacht, denen er zeigen wollte, wie es damals so war in Deutschland. Das hat er geschafft. Der Film weckt die Lust, sich intensiver mit dem Thema zu beschäftigen; man kann ihn, wenn man so will, gewissermaßen als Trailer für das Buch begreifen – und cooler als eine Doppelstunde Geschichte ist das allemal.

Stefan Beuse

Der Baader Meinhof Komplex D 2008. R: Uli Edel. B: Bernd Eichinger. K: Rainer Klausmann. S: Alexander Berner. M: Peter Hinderthür, Florian Tessloff. P: Constantin Film Produktion. D: Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu, Johanna Wokalek, Bruno Ganz, Jan Josef Liefers, Alexandra Maria Lara, Heino Ferch, Nadja Uhl, Hannah Herzsprung, Niels-Bruno Schmidt, Stipe Erceg u.a.
150 Min. Constantin ab 25.9.08