Geschrieben am 7. Februar 2008 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Dann müssen eben die Armen blechen

Es wird Zeit, sich einmal wieder der Weisheit der Alten zu erinnern. Wenn es nicht für alle reicht, so schrieb der gute Ernst Bloch einmal lakonisch, dann müssen eben die Armen ran.

Durch die Türritzen kriecht auch langsam und stetig in die neo-bourgeoisen Salons zwischen Berlin und München, Frankfurt und Hamburg, die Zugluft des Prekariats und der herumvagabundierenden Armut. Die Kinder der Happy Few, auch wenn sie auf den besten Privatschulen am Ort ausgebildet wurden, finden nicht mehr so leicht eine gut dotierten beruflichen Einstieg, eine Lebensstellung schon mal gar nicht. Es sei denn, man erbt vom reichen Vater ( oder Großvater ) dies und das Silberbesteck aus dem einstmals reichen Unternehmerhaushalt. Für alle scheint es nicht mehr zu reichen, also müssen eben die Armen, die ‚Prolis’, Hartz-IV-Empfänger, diese ganze ‚Lidl-Stammkundschaft’ zahlen. Bluten steht noch nicht auf der Tagesordnung, aber das kann ja noch kommen. „Non vi si pensa, quanto sangue costa“,heißt es bei Dante, und denkt doch keiner, wie viel Blut es kostet. Wird ‚unsere’ Freiheit nicht am Hindukush verteidigt, aber welche Freiheit für wen? Wen kümmert es aus der neuen, sich selbst ernannten und sich selbst feiernden gesellschaftlichen Oberschicht denn wirklich, wenn ‚die da unten’ sich mit Junk-Food vollfressen, vor der Glotze (dem ‚Unterschichtenfernsehen’) verblöden und sich mit irgendwelchen Schnäppchen-Suchtmitteln volldröhnen? Die „Wiederkehr des Klassenbewußtseins als Vorurteil“ hat Bruno Preisendörfer dieses neue (alte) Phänomen aufblühender Klassenarroganz in Zeiten leergefegter Haushaltskassen genannt. „ Einst echauffierten sich rassistische weiße Zeitungssschreiber über die Verkommenheit der Neger in den Kolonien, heute fantasieren klassistische Mittelschichtsjournalisten von alimentierten Sozialhilfedynastien, die dem Steuerzahler, womit sie sich selbst meinen, auf den Taschen liegen“ (Preissendörfer). Umständlich formuliert und von einem vagen Begriff zum anderen taumelnd, aber durchaus realitätsnah ist diese Argumentation des Autors sicherlich. Die von Preissendörfer formulierten Spitzen gegen die ‚neue Klassenarroganz‘ in Teilen des deutschen Feuilletons und in dem sich selbst feiernden ‚neuen Bürgertum’ à la Lüpertz, Schirrmacher, Baring, Döpfner und ihresgleichen sind genauso überzeugend wie seine Differenzierungen der ‚neuen Armut’. Das ‚akademische Prekariat’ in den großen Städten empfindet die rasante Auflösung stabiler Arbeitsverhältnisse und biographischer Karrieren sicherlich anders als junge Arbeitslose in den gott- und investitionsverlassenen Landstrichen irgendwo in den Tiefen der Odermark. Diskutabel ist auch Preissendörfers These, daß der „Klassismus vor allem ein Distinktionsverfahren einer verunsicherten Mittelschicht ist, deren Sehnsucht nach oben sich als illusionär und deren Abstiegsangst sich als begründet erweist“. Bei der Suche nach möglichen politischen Auswegen legt der Autor aber sein feines intellektuelles Sezierbesteck beiseite und greift zum Hammer. In der „akademischen Linken“, so glaubt es der Autor zu wissen, „kursieren seit einiger Zeit Theorien der Anerkennung und des Respekts“. Wer bitte ist mit der ‚akademischen Linken’ gemeint und was sind die Grundpositionen der mal einfach so hingeworfenen „Theorien der Anerkennung und des Respekts“? Kann man es sich wirklich so einfach machen wie der Autor, wenn er ohne jede weitere Ausführung behauptet, die „häßlichen Tatsachen verschwinden hinter schönen Worten“.Wer sich etwa in den (erfreulich vielen) sozialen Basisnetzwerken gegen Verarmung und Ausgrenzung engagiert, weiß die praktische, vielfältige Solidarität von (gelegentlich sehr vermögenden) Repräsentanten eines „Anerkennungs- und Respektsbürgertums“ sehr zu schätzen. Die bestehende Weltunordnung und Klassenspaltung innerhalb der reichen Gesellschaften des kapitalistischen Westens wird durch diese Arbeit sicherlich nicht (mehr) beseitigt. Reine ‚Symbolarbeit’ würde der Autor diese Initiativen des ‚schlechten Gewissens’ nennen. Was aber wären mögliche Alternativen dazu, die weder der Arroganz des ‚neuen Klassismus’ noch den unter vielen Intellektuellen verbreiteten abgeklärten Zynismus zuordnen lassen wollen? Es wird auch unter gesellschaftkritischen Intellektuelle Zeit, sich einiger Schwarz-Weiss-Bilder der Alten zu entledigen…

Carl Wilhelm Macke