Geschrieben am 4. Mai 2011 von für Beuse-Classics, Kolumnen und Themen, Litmag

CULTurMAG-Classics: Die Beuse-Kolumnen

Anleitung zum Frühlingmachen

– Stefan Beuse berichtet von den Erhabenheiten und Fallstricken der Welt. Heute: Kunden fragen – Ihr Bio-Supermarkt antwortet.

Wenn der Winter endlos scheint, wenn Erdbeben die globale Rotation beschleunigen und die Tage noch kürzer werden, dann entwickelt ein jeder von uns seine Strategie, die innere Finsternis etwas luzider zu gestalten, die vergletscherten Kantsteine der Seele ein wenig anzutauen, um so dem Menschen in uns Halt und Trittsicherheit zu geben.

Nein, denken Sie über diesen Satz besser nicht nach. Lassen Sie ihn in sich entstehen wie den Ton in einer Klangschale. Spüren Sie es? Die vollkommene Sinnfreiheit dieser Worte, umnebelt von verquastem esoterischem Geraune?

Wenn Sie jetzt anfangen, ein wenig wütend zu werden, sind Sie reif für den nächsten Satz. Achtung, hier kommt er: Biosupermärkte eignen sich hervorragend, den Anarchisten in uns zu erwecken. Die Sonne zwischen den trüben Wolken der Schwermut hervorbrechen zu lassen, wenigstens für einen Moment.

Ich will Ihnen sagen, wie Sie das anstellen:

Zunächst begeben Sie sich in den Biosupermarkt Ihres Vertrauens. Schließen Sie die Augen. Spüren Sie den scheinbaren Widerspruch zwischen angebotener Produktpalette (gut) und deren Käufern (böse) – aber richten Sie nicht. Lassen Sie die jeweilige Frequenz auf sich wirken.

Und nun fragen Sie sich: Haben Sie die Gänge zwischen den Regalfluchten je für Waschstraßen gehalten, die Ihr schlechtes Gewissen von den Sünden reinigen, die Sie sich und der Erde angetan haben? – Dann öffnen Sie die Augen. Was sehen Sie? Von Reinheit und innerer Schönheit erfüllte Käuferinnen und Käufer, die mit großen Momo-Augen an vedischen und veganen Spezereien vorbeischweben? – Nein, leider nicht. Sie erleben im Gegenteil die massivste Konzentration an kleingeistigen, verkniffenen und vollkommen vor den Schrank gelaufenen Leuten, die Sie je gesehen haben.

Bereits kurz nach dem Eingang fummelt ein hutzeliges Männlein wie irr am Ingwer rum, bricht die Knollen mit flinken Fingern in allerkleinste Stücke. Die Aura des Wahnsinns strahlt hell über dem Wesen, und es dauert nicht lange, bis das auch dem Verkaufspersonal auffällt, einem über und über gepiercten Rastalockenmann im grünen Biomarkt-Kittel, auf dessen Namensschild Jonas steht.

„Alta, was machst’n da?“, fragt Jonas.

„Ich. Suche. Mir. Die bes!ten. Stücke. Raus“, antwortet das Männlein.

An dieser Stelle unterdrücken Sie Ihren natürlichen Reflex, ein herzhaftes „Öko-Faschist!“ in die Kleingruppe zu schmettern. Zwinkern Sie Jonas stattdessen verschwörerisch zu und wenden Sie sich, um Gleichmut bemüht, der Korkpinnwand am Ende des Ganges zu, über der „Kunden fragen – Ihr Bio-Supermarkt antwortet“ steht.

Lesen Sie die Fragen der Kunden vollkommen unvoreingenommen. Staunen Sie, was die Menschen alles wissen wollen, von ihrem Bio-Supermarkt:

„Wieso gibt es den Aura-Tee eigentlich nicht in Granatapfel-Holunder??!!!!“ zum Beispiel, oder: „Wann gibt es den Läusemilchkäse endlich laktosefrei???!!!“

Spüren Sie die Wärme und das Mitgefühl, das aus den Antworten des Bio-Supermarktes spricht, der sich ehrlich bemüht, auf jeden Kunden sachlich und kompetent einzugehen.

Und jetzt: Hebeln Sie das ganze verdammte System von innen aus. Zersetzen sie es auf maximal subtile Weise. Speisen Sie einen Fehler in die Maschine und sehen Sie zu, wie die Räder durchdrehen und schließlich leerlaufen.

Nehmen Sie einen Zettel und schreiben Sie: „Träumt die Welt den Menschen oder der Mensch die Welt?“ Schreiben Sie: „Du kennst das Geräusch, das zwei klatschende Hände machen. Welches Geräusch macht eine klatschende Hand?“ Und schließlich: „Was sieht ein Käfer, was fühlt er? Und ein Adler? Und ein Staubkorn?“

Scheinbar simple Fragen, die jedoch aus der Dualität heraus nicht zu beantworten sind und das Denken irgendwann kollabieren lassen. So erzielen Sie mit einfachen Mitteln einen maximal positiven Effekt auf Ihre Mitmenschen. Für einen kurzen Moment, zwischen zwei Gedanken hindurch, wird ihnen bei dem Versuch, diese Fragen zu beantworten, vielleicht die Sonne scheinen.

Wenn Ihnen das zu esoterisch ist, können Sie aber auch den kerngesunden Anarchisten Karlsson vom Dach zitieren.

Nehmen Sie einen Zettel und schreiben Sie: „In euren sündhaft teuren Wecken könnte mehr Zimt sein!“

Und dann beantworten Sie im Gegenzug die Frage eines Kunden an der Pinnwand: „Wie kommt es, dass die gesamte Genieße-dein-Leben-Produktlinie seit Wochen ausverkauft ist?“

Beantworten Sie die Frage nur für sich. Schreiben Sie die Antwort nicht auf, das gibt nur schlechtes Karma. Denken Sie die Antwort und verabschieden Sie sie herzlich ins Licht.

Verlassen Sie den Laden. Atmen Sie ein. Atmen Sie aus.

Kaufen Sie an der nächsten Imbissbude eine Wurst, trinken Sie Bier dazu und genießen Sie den Zustand, Ihre Aura von ein paar Schatten und Dämonen gereinigt zu haben. Spüren Sie, wie der Luftstrom Ihre Nasenhärchen bewegt. Fühlen Sie Ihr Gewicht. Ihre Verankerung in der Erde. Ihre Verbundenheit mit allem. Es ist gut so. Alles ist gut. Lieben Sie den Eispanzer auf den Gehwegen. Er ist nichts als ein Symbol für die innere Vergletscherung. Er wird sich auflösen, wenn die Menschen bereit dafür sind.

Atmen Sie ein. Atmen Sie aus. Sehen Sie sich um. Es ist Frühling.

Das waren Sie. Ganz alleine.

Stefan Beuse

Zur Homepage von Stefan Beuse geht’s hier. Foto: Diana Fabbricatore

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