Geschrieben am 16. Mai 2012 von für Comic, Litmag, Porträts / Interviews

Comiczeichner Flix im Interview

Ohne Liebe lässt sich kein Kampf gewinnen

– Februar 2012. Flix sitzt in Berlin, ich in Hamburg, Fragen und Antworten trudeln durch den Äther, Cervantes redet mit, Batman natürlich auch, und ein ganz klein wenig auch Warhol. Obwohl der gar nicht vorkommt. Dafür F. W. Bernstein und zwei Großväter. Und „der Hirsch“! Ferner sind im Einsatz: Das Meer, Bud Spencer als Boxtrainer, High Heels und zwei Künstler, bei denen Flix gerne in die Malschule gegangen wäre. Von Brigitte Helbling.

Don Quijote oder Sancho Panza?
Don Quijote. Schon allein der Statur wegen.

„Ein irrender Ritter ohne Liebe sei ein Baum ohne Laub und Frucht, ein Körper ohne Seele.“ (Miguel de Cervantes)
Korrekt. Ohne Liebe lässt sich kein ernstzunehmender Kampf gewinnen.

Und was ist mit Dulcinea?
Liebe braucht ja zum Glück nicht zwingend Gegenliebe, um einem ein gutes Gefühl und Power zu geben.

Wie viele Regalmeter Comics stehen bei Flix?
Acht Meter. Und ein ständig wachsender Stapel neben dem Schreibtisch.

Mint condition oder ganz egal?

Ich bin nicht so der Flohmarkttyp. Ich mag es, wenn Dinge funkelnagelneu sind und ich der Erste bin, der sie benutzt. Egal ob bei Stiften, Kaffeemaschinen oder Klamotten. Oder bei Büchern. Dieses leichte Knacken im Buchrücken, der Restgeruch von frischer Druckerschwärze, das ist toll.

Wie viele Regalmeter Ritterromane stehen bei Flix?
Hahaha! Regalmeter ist übertrieben. Ich habe exakt 4 verschiedene „Don Quijote“-Ausgaben: Einmal Ludwig Tiecks Übersetzung von 1895, dann eine gekürzte, illustrierte Fassung davon, die Neuübersetzung von Susanne Lange und die Adaption von Erich Kästner. Das war’s.

Jetzt mal im Ernst: Gibt es heute noch Menschen, die Comics-Lesen und Analphabetismus in eins setzen?
Ich war im ersten Moment auch skeptisch. Das ist schon eine ziemlich veraltete Haltung. Und damit durchaus passend zu Alonso Quijano. Dass es jedoch noch heute Leute gibt, die so ticken, zeigen die Reaktionen auf die erste Folge meiner „Don Quijote“-Version. Die besteht bloß aus einem Leserbrief von Alonso Quijano an die F.A.Z.-Redaktion, in dem er eben das beklagt und darum die F.A.Z. auffordert, endlich mit dem Abdruck von Comics aufzuhören. Eine Menge Leser haben die Ironie nicht erkannt, sondern diesem Brief beigepflichtet und sich bedankt, dass es ENDLICH mal einer sagt. Und gefordert, dass die F.A.Z. jetzt wirklich mit dem Comic-Quatsch aufhören möge.

„Toll finde ich die Zuneigung der Freunde“

Wann und wo hat Flix zum ersten Mal von Don Quijote gehört?
Auf dem Schoß meines Großvaters. Beim Vorlesen. Da war ich sechs oder sieben.

Wann hat er ihn das erste Mal gelesen?
Als ich 1999 einen Sommer in Barcelona verbracht habe, hatte ich eine Taschenbuchausgabe im Rucksack.

Flix’ Lieblingsabenteuer in Don Quijote?
Wenn ich jetzt sage, das Abenteuer mit den Windmühlen, dann klingt das so, als hätte ich das Buch nur bis Seite 30 gelesen. Aber das ist schon eine echt starke Szene, die alles beinhaltet, was Don Quijote ausmacht: Gute Absicht, Fehleinschätzung, Wagemut, Entschlossenheit, absolute Hingabe, blinder Aktionismus, Scheitern und aus eigener Kraft wieder aufzustehen. Sie ist völlig zu Recht die bekannteste Stelle des Romans. Toll finde ich aber auch die Zuneigung der Freunde zu Alonso, die sich durch den ganzen Roman zieht, und die immer wieder versuchen ihn zu verstehen und vor sich selbst zu schützen.

Das Lieblingsabenteuer seines Großvaters?
Das weiß ich nicht.

Wenn Cervantes heute leben würde, wäre er…
Blogger.

Zu welcher Tageszeit arbeitet Flix am liebsten?
Vormittags zwischen 9:00 und 11:30h.

Hört Flix beim Zeichnen Musik?
Ja. Viel. Und relativ laut. Ich habe meistens ein Album, das ich wieder und wieder höre. 20 Mal, 30 Mal, 40 Mal am Stück. Dann habe ich urplötzlich genug davon, und es kommt das nächste Album in die Anlage, das dann wieder eine Weile in Endlosschleife läuft. In den letzten Monaten waren das u.a. Sachen von den Foo Fighters, Peter Licht, Max Raabe und seinem Palastorchester, den Beatsteaks und der OST der „Don Quijote“-Verfilmung von Peter Yates.

Läuft der Fernseher?
Nein. Irgendwie lenkt das zu sehr ab.

Wie entspannt sich Flix am Besten?
Wie Colt Seavers. Im Schaumbad.

Sonne, Regen oder Schnee?
Zeichnerisch Schnee. Das geht am Schnellsten. Ansonsten bin ich nicht wählerisch. Ich habe eine weitgehend wetterunabhängige Laune.

Bier oder Wein?
Ramazzotti. Mit Eis und ohne Zitrone.

Welche Frage wird Flix beim Signieren am meisten gestellt?
„Malst Du mir auch was, wenn ich kein Buch kaufe?“

Und in der Fanpost?
„Wie machst Du das?“

„Mich wundert, dass Superman so lange durchgehalten hat“

Was wollte Flix werden, als er 10 Jahre alt war?
Boxer. Es gab damals einen Film, „Der Bomber“ hieß der, in dem Bud Spencer einen Boxlehrer gespielt hat. Er musste eine relativ unbegabte Truppe trainieren und hat passable Kämpfer aus ihnen gemacht. Und ich dachte damals, ich könnte bestimmt ebenfalls eine glänzende Box-Karriere schaffen. Wenn nur Bud Spencer mein Trainer wäre.

Was würde er jetzt gerne sein, wenn er nicht Comic-Zeichner wäre?
Geisterjäger.

Was ist die korrekte Anrede bei der Begegnung mit einem Gespenst?
„Gute Nacht!“

Abenteuer oder Bücherlesen?
Ist das nicht dasselbe?

Batman oder Superman?
Batman. Schon immer.

Warum?
Mich wundert, dass Superman als Figur überhaupt so lange durchgehalten hat. Jemand, der stärker ist als alle anderen, der fliegen kann, immer das richtige tut, dem im Grunde nichts etwas anhaben kann, der ist doch total langweilig. Ich finde die menschlichen Helden spannender. Die keine Superkräfte haben, sondern sich aus eigener Kraft zu helfen wissen. Über sich hinaus wachsen. Oder aus eigener Kraft scheitern. Wie Batman. Oder Don Quijote.

Der beste Batman EVER?
Hm. Schwer. Bei den Comics würde ich sagen „The Dark Knight Returns“ von Frank Miller. Bei den Verfilmungen halte ich sowohl „The Dark Knight“ mit Christian Bale und Heath Ledger als auch die die „Batman“-Fernsehserie mit Adam West aus den 60er Jahren für sehr gelungen. Allerdings auf ihre jeweils eigene Art.

Was schenkt man einem Kind, das noch nicht lesen kann?
Ein Buch. Man kann damit doch so viel mehr machen, als es nur lesen.

Crime doesn’t pay? Ja. Sag ich mal“

Dulcinea oder Rosinante?
Rosinante. Ich brauche was Reelles.

Wie viele Fahrräder hat Flix in seinem Leben schon besessen?
Hm. Keine Ahnung. Die mit Stützrädern mitgerechnet vielleicht zehn.

Wie viele sind ihm geklaut worden?
Zwei.

Welches war das hübscheste?
Ein geerbtes Fahrrad von meinem Vater. Blaugrau, mit übergroßem Rahmen, 7-Gang-Nabenschaltung und einem herrlich ausgesessenem Ledersattel. Weil der Lenker so breit und sonderbar geschwungen war, hieß es irgendwann nur noch „Der Hirsch“. Das Rad hatte ich im Kopf, als ich Rosinante gezeichnet habe. Und es ist eins der beiden Räder, die mir geklaut worden sind.

„Crime Doesn’t Pay!“ Gilt das auch in einer Welt ohne Batman?
Ja. Sage ich mal. Auch wenn ich ahne, dass es nicht stimmt. Aber wie sagte Walter Matthau mal so schön: „Ich bin lieber ein Optimist und ein Trottel, als ein Pessimist, der Recht hat.“

Schon mal High Heels getragen?
Ja.

Wie hat sich das angefühlt?
Seitdem habe ich großen Respekt vor allen Lebewesen da draußen, die damit geradeaus laufen können.

„Don Quijote wäre heute eher 80“

„Und so kam es vom wenigen Schlafen und vielen Lesen, dass sein Gehirn ausgetrocknet wurde und er den Verstand verlor.“ So beschreibt Cervantes den beginnenden Wahnsinn seines Helden. Die Flix-Variation: Alonso Quijano kommt über einsetzende Demenz zu seiner Ritteridentität. Richtig?
Das ist einer der Gründe, warum ich „Don Quijote“ machen wollte. Cervantes schreibt auf Seite eins seines Romans, das Alonso Quijano auf einmal verrückt wurde. Dann bleibt er es 998 Seiten lang. Und schließlich sieht er ein, dass es Unsinn war und stirbt. Das fand ich als Leser unbefriedigend. Einerseits, weil es keine glaubwürdige Ursache fürs Verrücktwerden gibt, andererseits, weil es den spannendsten Teil, den Prozess des Verstandverlierens, weitgehend ausklammert. Das wollte ich ergänzen. Mein Gedanke war folgender: Cervantes beschreibt Alonso Quijano als einen Mann von 50 Jahren. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Menschen im 15. Jahrhundert betrug rund 30 Jahre. Selbst wenn man die damals deutlich höhere Kindersterblichkeit rausrechnet, ist ein Alter von 50 zu der Zeit relativ hoch. Wenn mein „Don Quijote“ in der Jetztzeit spielt, dann müsste Alonso Quijano nicht 50 Jahre alt sein, sondern eher 80. Und unter 80-Jährigen ist Demenz ein Thema. Zumal Demenz, je nach Ausprägung und Verlauf, zu Wahrnehmungsverschiebungen und Persönlichkeitsveränderungen führen kann. Beides Dinge, die sich in Cervantes’ Roman wieder finden lassen.

Gefällt mir!
Danke.

Gibt es viele Leserreaktionen zum Altenheim-Thema?
Immer wieder haben Leute geäußert, dass sie aufgrund Erfahrungen in ihrer Familie Alonsos Krankheit und die Darstellung der Demenzstation treffend fanden. Es haben sich Leser gemeldet, die im Pflegedienst arbeiten und die sich gefreut haben, dass endlich mal die Schwierigkeiten ihres Berufstands angemessen gezeigt werden. Wieder andere sagten, dass sie das Fixieren von Alonso am Bett und den Umgang der Pflegekräfte mit den Alten schrecklich und falsch fanden. Das tut mir leid. Doch ich befürchte, was ich gezeichnet habe, ist nicht völlig unrealistisch.

Ein bisschen kann einen die Tochter von dem alten Wirrkopf ja auch dauern.
Ja. Die Gute hats nicht leicht. Ein Vater, für den andere Sachen immer wichtiger sind, ist manchmal schlimmer, als gar keinen Vater zu haben.

Bei Cervantes verspricht Don Quijote Sancho Panza eine Insel. Was wird Robin eigentlich in Aussicht gestellt?
Ein richtiger Ritter zu werden.

„Krüppelanatomie für Anfänger: ich wäre sofort dabei“

 „Angst verwirrt die Sinne und lässt Dinge anders erscheinen, als sie in der Tat sind…“ (Miguel de Cervantes)
Das ist das, was Angst am Besten kann.

Neulich was Gutes im Kino gesehen?
„Intouchables“. Wie kriegen Franzosen bloß dauernd diese charmanten Komödien hin? Das macht einem doch Angst…

Und was liest Flix gerade?
Ach. Einen albernen Krimi.

Wie ist er darauf gekommen?
Die Geschichte spielt in Barcelona. Das hätte Spaß machen können. Ich lese ihn trotzdem zu Ende. Wer weiß. Das Spiel hat 90 Minuten.

Flix’ Lieblingsort in Berlin?
Der Schwedter Steg.

Wenn Flix Zeitung liest: Welchen Teil liest er zuerst?
Das Feuilleton. Immer. Und das meistens von hinten nach vorne. Nur DIE ZEIT beginne ich mit der Kolumne von Harald Martenstein im Magazin. Dazu einen frischen Kaffee. Fertig ist meine Mittagspause.

Tot oder lebendig: Mit wem würde Flix gerne mal einen Abend verbringen?
Mit beiden meinen Großvätern.

Wie würde dieser Abend aussehen?
Wahrscheinlich ziemlich still.

Tot oder lebendig: Bei wem wäre Flix gerne in die Zeichen/Malschule gegangen?
Otto Dix und George Grosz geben zusammen eine Klasse „Krüppelanatomie für Anfänger“. Ich wäre sofort dabei.

Welchen Künstler sollten weit mehr Leute kennen (und schätzen)?
F.W. Bernstein. Der beste Zeichner, den wir haben.

„Am Ende ist es immer das Meer“

Berge oder Meer?
Am Ende ist es immer das Meer.

Welches Meer?
Die Ostsee. Die Kombination aus Wald, Strand und Erreichbarkeit ist unschlagbar.

Walfischgesänge: Irgendein Bezug dazu?
Nö.

Wenn man Flix einen Mondflug schenken würde, würde er ihn annehmen?
Mit Tim und Käpt’n Haddock: Ja. Mit Tom Hanks: Nein.

Der aufregendste Moment des letzten Jahres?
Im Startblock E des Berlin-Marathons zu stehen und ernsthaft mitlaufen zu wollen.

Der stillste Moment des letzten Jahres?
Nach 42 Kilometern durchs Brandenburger Tor zu laufen. Ich. Der Junge, der im Sportunterricht eine 5 hatte. Ich dachte, die Welt hat einen Aussetzer.

Brigitte Helbling

Flix (zur Homepage) lebt zurzeit in Berlin-Mitte. Im Jahr 2002 hat er als Diplomarbeit an der Hochschule der bildenden Künste Saarbrücken einen Comic eingereicht. Der wurde kurz danach unter dem Titel „held“ bei Carlsen Comics veröffentlicht und gewann mehrere Auszeichnungen. Seitdem arbeitet er als Comiczeichner.

In den letzten Jahren sind drei Graphic Novels („held“, „sag was“ und „mädchen“), drei Cartoonbände („VerFLIXt!“, „Du bist süss!“ und „Verliebt!“), zwei Comictagebücher („heldentage“ und „Der Swimmingpool des kleinen Mannes“) ein Erinnerungscomic („Da war mal was…“), ein Weihnachtsbüchlein („Tut mir leid, aber Weihnachten fällt aus“) und eine Neuinszenierung eines klassischen Dramas („Faust“) entstanden, die allesamt bei CARLSEN COMICS veröffentlicht worden sind.

 

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