Geschrieben am 2. November 2011 von für Litmag, Porträts / Interviews

Charles Taylor wird 80

Etwas fehlt …

Carl Wilhelm Macke zum 80. Geburtstag von Charles Taylor am 5. November.

Wenn man in eine der großen Internet-Suchmaschinen den Namen Charles Taylor eingibt, kann man leicht in die Irre geführt werden. Zum einen findet man da jede Menge Eintragungen zu einem üblen afrikanischen Tyrannen und Menschenschlächter, der heute in Den Haag vor dem Internationalen Strafgerichtshof steht. Dann findet man aber auch noch einen anderen Charles Taylor, der mit einigen sehr viel angenehmeren Begriffen und Namen versehen ist: Menschenrechte, Multikulturalismus, Toleranz, säkulare Gesellschaften usw. Charles Taylor – eine zufällige Namensverwandtschaft, die aber mitten hineinführt in ganz zentrale Konflikte der Globalisierung. Zu den Gründen der weltweiten Fluchtbewegungen gehören u. a. auch politische Verfolgungen, Angst vor Warlords und wahllos herummarodierenden Milizen. Ob und wie viele dieser flüchtenden Menschen in den demokratisch leidlich stabilen Gesellschaften Europas aufgenommen werden, führt zu teilweise heftigen Konflikten. Es geht dabei nicht nur um die materiellen Belastungen durch die Flüchtlinge, sondern vor allem um die Konfrontation mit bislang unbekannten kulturellen Gewohnheiten und religiösen Bekenntnissen.

Wie nur wenige der zeitgenössischen Philosophen hat sich der Kanadier Charles Taylor mit seinem Werk diesen Herausforderungen gestellt. Zuletzt erschien von ihm ein dicker Wälzer mit dem Titel „Ein säkulares Zeitalter“ (2009), der nicht gerade dazu anregt, sich auf eine wochenlange Lektüretour zu begeben. Wer mit Philosophie-, geschweige denn Religionsgeschichte nicht viel am Hut hat, kann sich diese Lektüre auch tatsächlich sparen. Es gibt andere, vielleicht spannendere Bücher, mit denen man seine wenige Lebenszeit sicherlich sinnvoller verbringen kann. Nein, man muss das Buch nicht lesen, auch wenn der Suhrkamp Verlag genau das auf der Buchrückseite behauptet.

Wer sich aber in dieses „säkulare Zeitalter“ des kanadischen Philosophen Charles Taylor aus welchen Gründen auch immer hineinbegibt, wird vielleicht sein Weltbild nicht gleich ändern, aber auf jeden Fall einen großen Zugewinn an aufregender geistiger Verunsicherung haben – oder sich auch in seinen Zweifeln an einigen Selbstgewissheiten bestätigt fühlen.

Im Jahre 2000 noch an Gott glauben?

Worum geht es Taylor, der vor diesem Opus Magnum ja bereits andere Studien veröffentlicht hat, in denen es letztlich immer um eine ganz simple Frage geht: Wie wurden wir so, wie wir sind? Vor allem „Quellen des Selbst“ (1994) ist hier zu nennen, in dem sich Taylor mit der „Entstehung der neuzeitlichen Identität“ beschäftigt hat, und dann die weniger opulente, aber „aktuellere“ Studie „Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung“. Bei Taylor geht es immer ums Grundsätzliche, aber das weiß er so zu formulieren, dass er damit zwar kein Massenpublikum erreicht, aber doch auch diejenigen, die kein abgeschlossenes Philosophiestudium auf dem Buckel haben. Was ist geschehen, so eine Schlüsselfrage seiner in der Zeit, aber nicht im Raum („nordatlantische Hemisphäre“) weit ausholenden Studie, zwischen jener Epoche, in der es überhaupt keine Alternative zum Gottesglauben gab und dem heutigen „säkularen Zeitalter“, in dem der religiöse Glaube eine Option unter sehr vielen anderen ist? „Warum war es in unserer abendländischen Gesellschaft … im Jahre 1500 praktisch unmöglich, nicht an Gott zu glauben, während es im Jahre 2000 vielen von uns nicht nur leichtfällt, sondern geradezu unumgänglich vorkommt?“

Dass Taylor selbst in der christlichen, genauer der katholischen Tradition steht, erkennt man schnell. Ihm fehlt dabei aber jede missionarische Note und seine immer wieder anklingende Liebe zum „anarchischen Hedonismus in sozialer Verantwortung“ macht ihn auch zu einem sympathischen Autor.

Sein Verhältnis zur Moderne, zum aufgeklärten, „säkularen“ Zeitalter ist vollkommen anders, souveräner, freier als das etwa seiner Glaubensbrüder in den vatikanischen Grüften. Charles Taylor würde sich auch in der Nähe des marxistischen österreichischen Kunsttheoretikers Ernst Fischer nicht unwohl fühlen, der einmal einen geschichtsphilosophischen Essay enden ließ mit einem „Lob der Aufklärung, aber …“.

Wie der religiös absolut unmusikalische Ernst Fischer sucht auch der bekennende Katholik Taylor nach jenen Verlusten, jenen blinden Winkeln, jenen „Kältezonen“ im Prozess der Aufklärung, die früher einmal von politischen Utopien oder von einem christlichen Hoffen auf ein besseres, volleres Leben jenseits des bekannten irdischen Jammertals geprägt waren. „Unser Leben reicht weiter als ‚dieses’ Leben.“

Ausbruch aus einem Kerker der Disziplin

Die Religion – und bei Taylor steht sie immer in einem christlich-jüdischen Kontext – kann auch heute im „säkularen Zeitalter“ jenen vom Humanismus ausgegrenzten überlebensnotwendigen Wunsch nach Transzendenz, nach Spiritualität, vielleicht könnte man auch sagen „Verzauberung“ erfüllen. Natürlich hat hier auch neben (oder statt) der Religion die Kunst in all ihren Ausdrucksformen ihren Platz. Sehnsucht nach Transzendenz oder dem „anderen Leben“ kann sich auch in der Liebe zum Tanz, zum Theater, zur Musik artikulieren. Möglich sind viele Optionen, sich dem „ausgrenzenden Humanismus“ (Taylor) zu widersetzen. Über viele Seiten breitet sich Taylor zum Beispiel auch aus über die spirituellen und oppositionellen Seiten des Karnevals, der allen Ordnungsfanatikern, Diktatoren und Tyrannen immer suspekt gewesen ist. In den oft so in Grund und Boden kritisierten 6oer-Jahren des vergangenen Jahrhunderts sieht Taylor nicht den angeblichen „Werteverfall“ wuchern, sondern den „Ausbruch aus einem Kerker der Disziplin“. Und, so schreibt Taylor weiter, „wir können sicher sein, daß es nicht der letzte Ausbruch war“.

Charles Taylor entwirft mit seinem Buch die Umrisse eines Christentums in säkularer Zeit jenseits der amtskirchlichen Verlautbarungen, aber auch in erklärter Distanz zu den besonders in Nord- und Südamerika, Afrika und Asien sich ausbreitenden evangelikanischen Fernsehaposteln, die alles Böse im Individualismus und in der Moderne sehen. Und nach den bis zur Groteske ausufernden „Gott-ist-tot“-Kampagnen fundamentalistischer Atheisten versucht der politisch linksliberale Taylor nichts Bescheideneres, als der christlichen Religion einen Platz in einer nicht mehr rückgängig zu machenden Gesellschaft der vielen Kulturen zu verschaffen. Wenn man sich heute für christliche Werte, für Caritas und Pietas als Orientierung für verantwortliches soziales Handeln entscheidet, so ist das eine Option unter vielen möglichen. Man muss es begründen auch in der Auseinandersetzung mit anderen religiösen oder laizistischen Überzeugungen. Man kann sich dabei nicht mehr auf den naiven Kindheitsglauben oder von „oben“ vorgegebene Anweisungen beziehen und – mit Taylor gesprochen – das ist auch gut so.

Carl Wilhelm Macke

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