Geschrieben am 25. April 2012 von für Kolumnen und Themen, Kunst, Litmag

Brad Downey (About Street Art II)

Gespräch als Spiel

Teil Zwei von Charlotte von Bausnzerns Essay über Brad Downey setzt das Interview am Ende des ersten Teils fort – auf der Straße, in Hinterhöfen, in Pfützen. „Gespräch als Spiel“ beginnt mit einer an einen Baum geposteten Frage.

Frage 1: „Darf ich dich was fragen?“

Meine erste Frage hänge ich, monströs nervös, als Plakat mit meinem gezeichneten Gesicht neben eine Baustelle in der Nähe des Potsdamer Platzes, der grössten Baustelle dieser Stadt. Es ist meine Wahl.

Dienstag Abend dann checke ich meine Mails, Downey hat geantwortet: Downey stellt sich quer. Knappe 8 Stunden hat er für die Antwort gebraucht.


20 Uhr, Mittwoch, drei weitere Fragen sind platziert. Street Art, Street Art, what a fucked up expression, wer hat das nochmal gesagt? What a fucked up expression für etwas, das Spass macht. Denn das habe ich jetzt entdeckt: Es macht Spass, es fühlt sich keineswegs verboten an, ich hab ein Lächeln geschenkt bekommen, warum sollten Erwachsene nicht auch spielen auf der Strasse, mit der Strasse?

Frage 2: Pop Up Private

Vormittags bin ich in die Dieffenbacher Hinterhöfe geradelt, ja, die mag ich auch, und da ist einer, der ist besonders schön. Wie durch ein Kaninchenloch landet man auf der anderen Strassenseite und dazwischen türmen sich die Seiten- und Gartenhäuser. Während ich meine Papierskulptur anbringe, ein Pop-up aus öffentlichem und privatem Raum, fühle ich mich tatsächlich, als würde ich etwas verschönern, etwas verschenken. Die Bewohner laufen durch die Höfe, unterhalten sich, achten nicht auf mich.

Wer wird es als erstes entdecken? Wird es den ersten Regen überstehen?

Antwort auf Pop Up Private: Brad Downey war hier.

Für die Ausstellung „Hacking the City“ (Museum Folkwang Essen) konstruierte Downey vor einer Weile angeschlossene Fahrräder um, Schloss verdreht, Fahrrad verlegt, hängt oben am Mast – Bauarbeiter hängen Räder öfter, wenn sie an Pfosten gekettet sind, um die herum sie die Strasse aufbrechen, ein paar Meter höher. Und hier: Verknüpfen, verlegen, stehlen, zitieren…

Ausserdem tut er das, was jeder gestandene Street Artist gelegentlich tun sollte: er tagged. Und er hüpft auf dem sauber gemachten Bett in dem niedlichen Zimmerchen. Jemand hat auf meiner Kunst gekritzelt!

Frage 3: Die Abrissfrage

Auf der Oberbaumbrücke blieb mir nichts anderes übrig als über ein geknicktes Wahlplakat von Wowi zu radeln. Hier explodiert die Stadt, Pfeiler und Pfosten schälen sich aus abertausend Stickern, jemand hat auf den Backstein eine adrette Wohnungsfront aus Abklebeband und Strassenkreide gezeichnet, mit Klingelschild: Müller. Bevor die Stadt sich wieder normalisiert, fällt sie völlig auseinander: Dreimal so breit, gesäumt von wundervollen Plattenbauten, hässlich schön liegt sie da, da sind wir uns einig: eine der grandiosesten Strassen, diese Karl-Marx-Allee.

Hörgerätestudios liegen neben Sanitätsfachhandel, Seniorenreisefachgeschäfte, Cafés mit altertümlichen Servierdamennamen. Vor dem vietnamesischen Restaurant fand ich meinen Laternenpfahl, da klebte nämlich bereits eine Anzeige dran: Eine junge Künstlerin („kein yuppie!“) sucht eine Wohnung an der Karl-Marx-Allee, vielleicht kann man sich gegenseitig helfen? Daneben klebte ich mein offenes Herz.


Während ich noch fotografierte, schreitet ein älterer Herr mit golden Toasts in der Hand vorbei und beguckt sich, was es zu fotografieren gibt. Irgendwann trau ich mich und schau ihn an, lächle vorsichtig und sage hallo. Er grüsst sehr freundlich zurück und zieht seines Weges. Nur folgerichtig versetzt Downey meinen Zettel an die Brust von Herrn Marx. War ja klar.

Frage 4: Pfützensuppe

Unsere letzte Aktion hat mich in die Schlossanlage von Bethanien geführt, vorbei an meinem geliebten Engelbecken (es gibt eben auch städtische umfunktionierte Anlagen, sozusagen hochoffizielle Neubesetzungen. Kann die Verwaltung kreativ sein?). Es dauerte eine Weile, bis ich eine Pfütze von der richtigen Grösse gefunden hatte. Ich öffnete Tütchen für Tütchen und legte Buchstaben für Buchstaben in den Dreck. Die Balkanstämmigen wunderten sich, kamen aber nicht näher. Die Hunde witterten nichts zu essen. Das junge kunstinteressierte Touristenpärchen linste mal schüchtern, aber wahrscheinlich sah es doch zu wenig nach Kunst aus.

Nach einer halben Stunde (manchmal ist Street Art Arbeit. Kälte, Regen, Hunger, alles egal.) lagen die Buchstaben in der Suppe.

Ursus Wehrli schafft Ordnung, ich mache Sauerei.


Downey kommt aus dem Haus geschlurft und beschaut sich die Angelegenheit. Etwas müde sieht er aus, was aber von der Beschäftigung mit Verwaltungsangelegenheiten herrührt. „I have to think about that.“

Abends bekomme ich pünktlich die Bethanienantwort.


mene muh? Doch, ja, die Pyramiden wären erhaltenswert. I agree. Ene, ohne d.

Nachtrag zum Gespräch als Spiel

Ein Nachtrag, weil ich gefragt worden bin: Was hat denn der Leser jetzt von so einem Interview? Ich weiss nicht, was Sie davon haben. Ich meine, dass es bereits einige gute „normale“ Interviews mit Downey gibt, die kann man alle nachlesen. Ich zweifle, ob ich dem etwas Neues hätte hinzufügen können. Und so ist es eine Vorführung seiner Denk-Beweglichkeit, es ist eine Darstellung seiner Arbeitsweise, es ist eine Überführung der einen in die andere (Kunst-)Form geworden – es ist der Versuch, mit einem bildenden Künstler auch mal auf seine Art zu kommunizieren.

TEIL III: SPONTAN in der STADT

 Dialogischer Vorspann

Redakteurin Culturmag: …außerdem würde ich vorschlagen, den Rezensionsteil ganz ohne Bilder zu machen. Für mein Gefühl reichen die Bilder, die du mit der Sprache schaffst. Ich finde, das passt in der Radikalität auch zu Street Art. Das literarische Schreiben braucht sich nicht dauernd zum Diener des Bildes (damit meine ich: der Illustration) zu machen. Wenn ein Bild mehr sagt als 1000 Worte, dann finde ich umgekehrt 100 Worte schaffen mindestens 1000 Bilder, und es sind die eigenen, die Kopf-Bilder, Gedankenbilder, Erinnerungsbilder, kein Copyright gefordert, kein Urheberrecht verletzt. Sprache – eine gute, bildgewaltige Sprache (und, wenn ich mirs recht überlege, selbst eine schlimme Sprache, aber das ist hier nicht der Punkt) setzt Bilder im Kopf frei. Auch eine Art Subversion, die natürlich eine Tradition hat, die Tausende von Jahren zurückreicht.

Charlotte von Bausznern: mehrheitlich bin ich sehr einverstanden. bilder nur bis und mit interview, find ich gut. ich hab gestern ziemlich in meinem kopf gewütet, was verweisstruktur angeht, die linearität des schreibens und die des lesens, und da mag ich deine einschübe als redakteurin gerade sehr gerne. ich finde, street art ist mehr als bebilderung, ich hoffe, das kommt auch rüber. ich schreibe über einen bildenden künstler, und es geht also um die bebilderung der scheinbaren bebilderung, die zumindest aber in diesem fall mehrdimensionaler ist als das reine abbild, also bildung von strukturen im kopf. perspektive und die subversion davon.

Culturmag: Ich denke, man sollte schon in irgendeiner Form klarstellen: Wir machen das nur mit Sprache, weil Sprache das kann und das eine andere Form von „Bildwahrnehmung“ generiert. Ob man einen Bezug zu Street Art herstellen muss, weiß ich nicht. Richtig fände ich auch, dieser Vorspann käme von dir, außer du willst ihn an mich abgeben.

CvB: dein einwurf ist auch wieder rückwirkend in zusammenhang zu setzen mit street art, die ja immer mehr bilder generiert, die passen, hübsch sind, illustrativ und sich dann nicht mehr gross von werbung unterscheiden – und damit wieder eine art der wahrnehmung bewirken, die nichts mehr mit auseinandersetzung zu tun hat. was mir gerade so gefallen hat an deinen einschüben ist der austausch, eine zweite schiene des „öffentlichen“ gespräches, die das unfertige auch formal weiter trägt.

Culturmag: Wir können also in diesem Text auf die Bebilderung verzichten. Warum auch nicht?

Downey dokumentiert

2011 war ein buntes, ein erfolgreiches Jahr für Downey. Ausstellungen in Galerien über die Welt verteilt, Aktionen offiziell und improvisiert, nicht zuletzt das Buch, das ihn als Solo-Künstler auch in den Printmedien etabliert: Fixiert als Foto- und Videodokumentation zwischen Buchdeckeln, kaum bis nie fixiert als Original in der Strasse.

In diesem Buch „Spontaneous Sculptures“, das sich beinahe kompakt und schwer wie ein Pflasterstein anfühlt, finden sich Werke auf offener Strasse von Downey, die bis ins Jahr 1999 zurückreichen. 1999 ist die Schnittstelle zu „Adventures of Darius and Downey“, der Schriftzug einer Shell-Tankstelle, der Downey das S klaut. Aktionen wie „Cart Connect & Hang (Abelard and Heloise)“ – Downey kettete zwei Einkaufswagen aneinander und an eine Brückenvorrichtung in Amsterdam, so dass die Wagen wie zwei unglücklich Verliebte am Galgen baumelten – erzählen nicht nur von der Spontaneität, die sich durch alle hier dokumentierten Werke zieht, sondern auch von der Verbindung zu anderen Kunstbereichen, vom Zitationsfluss. Sie sind fast immer witzig und poetisch, diese Aktionen. So wie „Booth Fill (La Somme de L’Oxygéne Dans une Cabine Téléphonique)“: Eine Telefonkabine, noch so ein Lieblingsort von Downey, gefüllt mit bunten Luftballons – wer telefonieren wollen würde, müsste in einem Gewaltakt alle Ballone kaputt machen. Zerstörung für einen privaten Moment in Stille.

Manchmal empört man sich über den Blödsinn von „Spoon Stick“, einem Löffel auf Napoleons Nase in Paris, und freut sich heimlich über die freche Freiheit, die sich da einer erlaubt. Wunderschön sind „Chalk Mark“, Zahlenhüpfspiel in die U-Bahn, „Tape Peel“, die Auflösung von Fahrradwegmarkierungsstreifen, „Bollard Tie“, die zärtliche Schiene für einen gebrochenen Pfosten, „Pavement Move (Delete)“, der befreite Wurzelstock eines Baumes, oder „Pavement Pry Sand Stack (Castles Beneath Cities)“, eine Sandburg aus dem Sand unter Pflastersteinen.

Dazu gehören eine Handvoll Texte und Gespräche, über Humor als Element seiner Arbeit, Kunst und Rezeption, über den Wunsch, Inspiration zum Weiterdenken zu streuen.

Richtig konsequent wird dieses Buch in seinem Inhaltsverzeichnis, das die zusammengestellten Werke nach Methode, Material, Ort, Dauer und Jahr ordnet – allein das liest sich schon mit Amüsement: „Bend, burn, connect, cover, cut, fill“, „Barricade, Bench, Bike, Brick, Paving Stone, Tape“, zwischen zwei Sekunden und sechs Jahren und mehr auf der Welt. Hier ist wieder der Um-Ordner am Werk, der sogar Lesegewohnheiten aufbricht.

Die Dokumentation von Street Art ist ja überhaupt ein grosses Fragezeichen. Banksy ist meines Wissens der einzige Künstler, dessen Werke an Hauswänden bereits unter Plexiglas gelegt werden, damit die Umwelt ihnen auch ja nicht mehr zusetzen kann. Diese Aktion hat viel Wirbel verursacht. Die meisten Reaktionen klingen eher nach Entsetzen und Entfremdung.

Brad Downey widmete sich der Dokumentation von Street Art schon auf eine ganz andere Art: Für „Buff the Fucks“ in Portugal legte Downey Revolutions-Graffiti aus den 1970er Jahren frei. „Solidarität“ verkündete der Schriftzug, „Solidarity is fading“ schrieb Downey dazu. Bereits davor hatte er mit professionellen Restaurateuren aus Prag einen kleinen Ausschnitt der Graffiti Wall of Fame in Wien abgetragen und die einzelnen Schritte und Schichten dokumentiert. Sein Beitrag zur BISAR-Ausstellung in Berlin kann auch in diesem Zusammenhang gesehen werden. Auf grosses Interesse für solche rückwärts gewandte Kunst an der Schnittstelle zur Dokumentation stösst Downey nach eigener Aussage noch nicht.

Der Grossteil der Buchdokumentationen über Street Art in all seinen Erscheinungsformen versammelt haufenweise Bilder von Werken, manchmal unter einem Thema, manchmal ortsgebunden – aber noch sehr selten mit umfassenden Angaben zu genauer Lage, Technik, Künstler, Dauer, vielleicht sogar Rezeption. Auch der Urban Art Guide von Adidas war so ein Versuch, Street Art zu dokumentieren und für das (an Adidas interessierte) Publikum zugänglich zu machen. Kam auch nicht so gut an. Der Online Guide, der von jedem freiwillig vervollständigt werden kann, liegt gelinde gesagt brach.

Zahlreiche Apps zogen inzwischen eher weniger erfolgreich nach. Ursache könnte sein, dass Künstler wenig davon halten, wenn die Dokumentation über ihre Köpfe hinweg und an ihnen vorbei vollzogen wird: Street Artists, so sehr sie ihre Werke zugänglich und offen zur Verfügung und Vergänglichkeit stellen, sträuben sich gegen jede kommerzielle Vereinnahmung (solange sie nicht in gegenseitigem Einverständnis geschieht).

Manchmal könnte man auf die abwegige Idee kommen, Street Art wolle frei und wild und unabhängig und undokumentiert bleiben.

Downey hat seine Website, auf der ein paar Videos und Fotos seiner Werke zu sehen waren, manchmal Ankündigungen für Ausstellungen, frei geräumt: „Zu Mainstream“, sagt er. Wer was von ihm will, muss ihm wohl oder übel eine Email schreiben.

Nach den „Spontaneous Sculptures“, die Downey im Alleingang zeigten, folgten 2011 „Wisdom Testicles“ und „Lucia and Brad“, beides eher Studio- und Papierarbeiten, die aber doch Downeys Grundelemente enthalten. Während „Wisdom Testicles“ wieder meinen weiblichen Horizont überschreitet, ist „Lucia and Brad“ etwas anderes: Das Spiel mit Sehnsucht und Realität, mit Anwesenheit und digitalen Instrumenten, mit Photographie als Dokumentation und Kreation, Pop up in all seinen Bedeutungen. Momente festgehalten, aufgespalten, neu zusammengefügt.

Fragt man sich nun, ob das denn noch alles Street Art ist, wo Street Art anfängt und wo sie aufhört, Tags, Cut outs, Paste ups, Adds, Installationen, Skaten, Strassenkunst – eventuell ist die Frage nach der Form weniger hilfreich als die Frage nach dem Bezug, denn dieser Bezug ist immer die Stadt mit ihrer prominentesten Bewohnerin, der Strasse. „Le Corbusier’s great contribution: no streets, no people“, aus vereinzelten, anonymisierten Stadtbewohnern wieder Menschen machen, Strassen zurückfordern, Kommerz hinterfragen, Funktionalismus auflösen.

Bleibt die Frage: Was folgt auf vermeintlich gemeinsamen Funktionalismus? Individualismus? Ist die Perspektive eines Künstlers vornehmlich individuell, persönlich? Das Konzept wie die Realität Stadt unterliegen einem ständigen Wechsel, nicht zuletzt durch kriegsbedingte Totalschäden sind ganze Stadtbereiche zumindest im europäischen Raum und besonders in Berlin neu definiert und gestaltet worden. Während offizielle Neugestaltung erst durch die Mühlen des Konsens muss, erlauben sich Künstler wie Brad Downey eine persönliche, menschliche Sicht auf die Dinge, und rütteln so an den Sichten vieler.

Genauso rüttelte Matisse einst an den Sehgewohnheiten vieler im Zusammenhang von gemalter Kunst: „So sehen wir die Welt. Wir sehen sie ausserhalb unseres Selbst und haben doch nur eine Darstellung von ihr in uns. Auf dieselbe Weise versetzen wir manchmal etwas in die Vergangenheit, was in der Gegenwart geschieht.“ (wieder zitiert in Bernard Noel’s „Magritte“)

Brad Downey wunderte sich mal darüber, warum alle immer nach den Reaktionen von Passanten während seiner Aktionen fragen. Er hat sich angewöhnt, auf Fragen zu antworten, dass er nicht Kunst mache – sondern etwas, das er tun muss. Damit sie nicht aufhören, sondern anfangen zu denken: „Walking around and keeping an open mind.“

Charlotte von Bausnzern

Folgende Bücher sind, teilweise nur direkt über Brad Downey, erhältlich:

Brad Downey, Leon Reid, Swoon: The Adventures of Darius and Downey: and other true tales of street art, as told to Ed Zipco. Thames & Hudson, 2008. 256 Seiten. $29.95
Brad Downey: Spontaneous Sculptures, edited by Matthias Hübner, Brad Downey and Simon Becker. Gestalten, Berlin 2011. 159 Seiten. 25 Euro
Brad Downey, Matthew Murphy, Robert Stone: Wisdom Testicles. Verlag Gudberg. 77 Seiten. 20 Euro – hier erhältlich.
Brad Downey and Lucia: Lucia and Brad. Soft Cover, Digital Print, 44 Seiten. ALDI Publishing, 2010-2011. 30 Euro

 

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