Licht und Schatten in Österreichs Literaturszene
Drei Events mit unterschiedlicher Resonanz prägten den literarischen Herbst in der Alpenrepublik. Von Andreas Pittler
I. Wenn in Wien etwas länger als einige Jahre überlebt, dann wird es zur „Institution“ und damit gleichsam sakrosankt. An dieser Stelle regiert dann nämlich ein „Das war schon immer so, das bleibt auch so“. Und in einigen Fällen ist das durchaus von Vorteil. Bei der „Wiener Kriminacht“ zum Beispiel, die ihresgleichen im deutschen Sprachraum wohl vergeblich sucht. Heuer ging bereits die 14. Auflage des Festivals über die Bühnen der Donaumetropole.
Begonnen hatte die „Kriminacht“ im Jahr 2002 in mehr als bescheidenem Rahmen. Ein paar enthusiastische Autorinnen und Autoren beschlossen, in einem miefigen Keller ihre Werke gemeinsam einem hoffentlich geneigten Publikum zu präsentieren. Tatsächlich lasen dann sieben Personen für deren 70 und werteten dies als Erfolg. Zwei Jahre später hoben sie bereits 10 Euro Eintritt ein und lasen nur deshalb vor lediglich 400 Zuhörerinnen und Zuhörern, weil beim besten Willen nicht mehr Menschen in den Laden reinzuquetschen waren. Seitdem erlebte das Format „Wiener Kriminacht“ einen bemerkenswerten Höhenflug. Was in der Szene – durchaus auch international – Rang und Namen hat, gab sich irgendwann ein Stelldichein in Wien: Donna Leon, Jussi Adler-Olsen, Jo Nesbo, Petros Markaris, Qiu Xialong, Martin Walker, Hakan Nesser und und und. Wonach die staatlich kanonisierten „Literaturschmieden“ vergeblich dürsten – öffentliche Wahrnehmung -, damit wurde (und wird) die „Kriminacht“ nachgerade überschüttet. Selbst die Society-Formate im Österreichischen Rundfunk widmen dem literarischen Ereignis entsprechend Raum, und das Publikum bewegt sich stets im fünfstelligen Bereich. Oder, wie ich an anderer Stelle schrieb: die österreichischen Erstliga-Fußballklubs wären dankbar für eine solche Kulisse.
Im Oktober war es also wieder soweit. Und, so viel kann man sagen, die Begeisterung der Zuhörerschaft ist ungebrochen. Um die 15. Auflage braucht man sich also nicht lange zu sorgen.
II. Beinahe noch mehr Begeisterung findet man im „Buchquartier“, das nun auch schon einige Jahre im Bereich des sogenannten „Museumsquartiers“ den Klein- und Kleinstverlagen eine Bühne bietet. Eine Art Frankfurter Buchmesse im Miniaturformat. Geht man durch die viel zu vollen Hallen, man wähnt sich auf einem Basar. Allerseits preisen Verleger ihre Ware an, locken Kunden an ihren Stand und verweisen auf ihre literarische Produktion. Und die ist, weil eben abseits des banalen Mainstream, erfreulich interessant. Österreich hat, so zeigt sich einmal mehr, eine Vielzahl kleiner Verlage zu bieten, die erstaunlich Vielschichtiges und Spannendes zwischen Buchdeckel zu pressen wissen. Während bei den „großen Events“ der Branche mehr und mehr Eintönigkeit vorherrscht, lebt sie im Buchquartier noch, die Vielfalt. Hier die Stände der Kärntner-Slowenischen Minderheit, der Drava- und der Wieser-Verlag, die uns die Literatur ihrer Volksgruppe, aber auch jene Osteuropas nahebringen, da die Koje des Mandelbaum-Verlags, der sich auf Judaica spezialisiert hat. Und überall entdeckt man Kleinodien, die man auf der Stelle erstehen will – und im Gegensatz zu den großen „Buchmessen“ auch tatsächlich erstehen kann, weil man nicht erst doof in der „Messe-Buchhandlung“ nach seinem Buch fahnden muss. Ein Schwätzchen hier, ein Plausch da, man tauscht sich aus und erfährt so weitaus mehr als man je durch die „offiziellen Literaturvermittler“ erfahren könnte.
Vor allem aber gibt es nur eine zentrale Lese-Bühne, sodass man auch vom Rahmenprogramm nichts versäumen muss, wenn man nicht will. Einziges Manko: mitunter ist das Treiben in der literarischen Agora so laut, dass man Mühe hat, die jeweils Vortragenden auch gut zu verstehen, vor allem, wenn sie sich um einfühlsamere Zwischentöne bemühen. Ein Gewinn ist diese Veranstaltung allemal, und persönlich stellte ich fest, dass Literatur auch einen sportlichen Aspekt haben kann. Die erworbenen Werke nach Hause zu schleppen hatte bereits entschieden den Charakter der körperlichen Ertüchtigung.
III. Fand das „Buchquartier“ Anfang November statt, so ist Mitte, Ende November traditionell die Zeit der „Buch Wien“, der sogenannten „Wiener Buchmesse“. Die war einstmals die hoch geschätzte und überaus wertvolle „Wiener Buchwoche“, die im faszinierenden Ambiente des Wiener Rathauses, direkt im Herzen der Stadt, abgehalten wurde, sodass die Massen in die Hallen strömten und sich einen umfassenden Überblick über die literarische Neuproduktion der Saison verschaffen konnten. Eine Art „Buchquartier“ also mit Beteiligung der „großen Fische“.
Vor einigen Jahren aber wollten die „Platzhirsche“ sich nicht länger mit den Kleinverlagen gemein machen – kein Wunder, deren Programm war regelmäßig bunter, spannender und ansprechender -, und so wanderten die Schwergewichte der österreichischen Literaturszene an die Peripherie aus, wo nun in kahlen Hallen im Nirgendwo vergeblich um jene Massen geworben wird, welche die „Wiener Buchwoche“ einst aufwies.
Vor allem kostet dort alles ein Vermögen. Die Standmiete, die Präsentationsmöglichkeit auf einer der unzählbaren Bühnen, ja selbst der Kaffee und das Brötchen im der „Cafeteria“ verschlingen Unsummen. Und so stellen viele Produzenten eine simple Kosten-Nutzen-Rechnung auf und bleiben der „Buch Wien“ fern. Um die so immer weiter auseinander klaffende finanzielle Lücke wenigstens oberflächlich zu kitten, kamen die Ausrichter der Messe auf die zweifelhafte Idee, Standflächen an Literaturfremde zu verkaufen. Und so wandelt man eben noch zwischen den hehren Kojen literarischer Fixsterne wie „Verlag sucht Autor“ oder „Erfüllen sie (sic) sich den Traum vom eigenen Buch“, ehe man plötzlich auf eine cinemascope-ähnliches Panoramalandschaft stößt, die, so zeigt sich, für Saudi-Arabien wirbt. Was, so fragt man sich, haben überlebensgroße Porträts von König Salman und dem Staatsgründer auf einer Buchmesse verloren? Die Antwort ist schnell gefunden. Am Stand der Saudis haben sie zwar nur ein einziges Buch, das aber in unüberschaubarer Masse. Und die freundlichen Gesichter der Herren – jene der Damen sieht man ja nicht – legen einem dieses Werk wärmstens ans Herz, damit man es genau lese und auch begreife. Inschallah.
Bei vielen anderen Verlagshäusern sieht man freilich ein gewisses Laissez-Faire, welches ihre Präsenz vor Ort bestimmt. Zwar hat man, wenn auch eher nachlässig, drei Wände zusammengebaut, um einen Ankerplatz für die eigene Produktion zu schaffen, doch bleibt die Bucht verwaist. Buchstäblich ratlos dreht man sich bald hierhin, bald dorthin, doch niemand zeigt sich, die Werke auch nur zu erläutern, geschweige denn anzupreisen.
Und da dies Verhalten beileibe keine Premiere auf der „Buch Wien“ darstellt, verwundert es auch nicht, dass das Publikum ausbleibt. Am Vormittag wird dieser Umstand noch camoufliert durch diverse Schulklassen, die, sich kollektiv langweilend, von ihren Deutschlehrern durch die Halle getrieben werden, doch nach Schulschluss ist mit einem Mal viel Platz. Sehr viel Platz. Und Langeweile. Große Langeweile. Vor allem auch beim Personal. Dieses zeigte sich von der heurigen Ausgabe der „Buch Wien“ in der Tat so angeödet, dass es bereits während der letzten Lesungen am Sonntagnachmittag mit dem Abbau der Stellflächen begann. Die Teppiche wurden eingerollt, die Mauern abgetragen, während auf der Bühne jemand aus einem Buch des Titels „Goodbye“ las. Sehr sinnfällig.
Mutmaßlich wird es die „Buch Wien“ auch nächstes Jahr wieder geben. Aber kaum jemand wird die Tage zählen, bis sie erneut ihre Pforten öffnet. Vielleicht sollten die Veranstalter einmal einen Blick auf die anderen Events riskieren. Von denen könnten sie nämlich eine Menge lernen. Und das Publikum auch. Immer wieder.
Andreas Pittler