Geschrieben am 22. Oktober 2014 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Autor und Übersetzer Jürgen Neubauer zu Amazons neuer Flatrate Kindle Unlimited

Die Betriebswirtschaftler des Digitalen, die Bücher als Produkte und Inhalte als substituierbaren Content betrachten, verkaufen sie uns aus eigenen ökonomischen Interessen als unvermeidliches Naturgesetzt: Die Bücher-Flatrate. Die Kollateralschäden (eine Verknappung der literarischen Vielfalt, ein Aufweichen der Buchpreisbindung, Minderung der „Wertigkeit“ eines literarischen Werkes, weitere Konzentration der Marktmacht) werden schulterzuckend in Kauf genommen. Nicht vollkommen überraschend tut sich bei diesem fragwürdigen Geschäftsmodell ein Wettbewerber besonders hervor: Amazon mit seiner Flatrate Kindle Unlimited. Einige Verlage machen mit, andere haben Konkurrenz-Flatrates aufgebaut, viele warten ab, was dort auf sie zukommt. Und die Autoren? Die wurden bisher so gut wie gar nicht gefragt – erstaunlich, wenn man bedenkt, was für einen Paradigmenwechsel es für die Branche bedeuten könnte, wenn sich Amazons Flatrate-Modell flächendeckend durchsetzen würde. Doch soweit ist es glücklicherweise noch nicht – und soweit muss es auch nicht kommen, meint der Autor und Übersetzer Jürgen Neubauer.

E-Book-Flatrate_Kindle_Unlimited_gestartetUmsonst ist der Tod

Nachdem seit einiger Zeit Amazons Kindle Unlimited-Flatratedurch die Medien geistert, habe ich bei meinem Verlag angefragt, was man dort davon hält. Der Vertriebsleiter antwortete mir eilig von der Buchmesse: „Die Offerte von Amazon klingt zunächst einmal ganz fair: sobald ein Amazon-Kunde 10% des Inhalts eines über die Amazon-Flatrate ausgeliehenen E-Books angesehen hat, erhält der Verlag die Hälfte der sonst bei einem Kauf anfallenden Vergütung. 10% ist ein erstaunlich niedriger Wert (wie wir finden.) … Ich denke, wir sollten es für sechs Monate einmal versuchen. Ich glaube kaum, dass wir als Buchbranche um das Thema Flatrate herumkommen werden. Dies haben die Erfahrungen in der Film- und Musikindustrie mehr als deutlich gezeigt.“

Ich weiß nicht, was mich an dieser Antwort mehr verblüffte: Die Arglosigkeit gegenüber dem kommenden Monopolisten Amazon, dessen Gründer Jeff Bezos Verhandlungen mit Verlagen als „Gazellenjagd“ bezeichnet; die Tatsache, dass der Verlag es nicht einmal für nötig befindet, seine Autoren über diesen für die Zukunft des Buchmarkts so entscheidenden Schritt zu informieren; der Fatalismus gegenüber dem neuen Verkaufsmodell; oder der Verweis auf die Musikbranche, deren beispielloser Abstieg eng mit den neuen „Verkaufs“-Modellen zusammenhängt.

Der Absturz des Musikmarktes als Vorbild?

Die Musikbranche ist das beste Beispiel dafür, dass die Flatrate nicht funktioniert und eine für Künstler katastrophale Option ist. Dank P2P-Piraterie und YouTube sind die Einnahmen der Plattenlabels in den letzten fünfzehn Jahren um mehr als die Hälfte eingebrochen, kleine Labels sind verschwunden. Streamingdienste wie Spotify, die Musik per Flatrate anbieten, wurden als Alternative gefeiert, mit der Musiker im Internet Geld verdienen können. Das sei die Lösung, heißt es von Seiten der Anbieter, doch Musiker widersprechen. Sven Regener bezeichnet die Streamingdienste als “Ein Euro-Shop der Musik“ und weigert sich, das neue Album von Element of Crime streamen zu lassen, und Herbert Grönemeyer sagt zur Flatrate von Spotify: „Das ist, wie wenn du zehn Euro zahlst und dafür in allen Hamburger Restaurants essen darfst“. Wobei 10 Euro noch viel wäre, denn drei Viertel der bislang 40 Millionen Spotify-Nutzer zahlen keinen Cent, und selbst wenn, wäre die monatliche Flatrate von 9,99 Euro für den Premiumdienst ein Witz.

Ende 2013 zahlte Spotify 0,5 Euro-Cent pro Klick; angenommen, dass davon 10 Prozent bei den Musikern und Komponisten ankommen, muss das Stück einer vierköpfigen Band 10 Millionen mal aufgerufen werden, damit jeder Musiker netto 1000 Euro verdient. Mit anderen Worten: Für die allermeisten Musiker gehen die realen Einnahmen aus Streamingdiensten gegen Null. Die Behauptung, man könne als Musiker im Internet Geld verdienen, entpuppt sich als schönes Märchen, mit dem Streamingdienste ihre Gewinne rechtfertigen und Hörer ihr schlechtes Gewissen beruhigen (wenn sie nicht sowieso davon ausgehen, dass Musik gratis sein sollte). Die wirkliche Folge eines von YouTube und Spotify beherrschten Musikmarktes ist, dass gerade junge Musiker nicht von ihrer Musik leben und deshalb auch keine Musik machen können. Streaming reduziert die Vielfalt – irgendwann gibt es nur noch einige wenige Superstars wie Lady Gaga und eine Handvoll von Apple gesponsorte Greise wie U2; die übrigen Musiker kommen nie aus der Garage heraus.

Flatrate als Kulturförderung?

Mit der Amazon-Flatrate könnte dem Buchmarkt nun dasselbe Schicksal blühen. In der Onlineausgabe der SZ jubelt Matthias Huber, „die neuen Flatrates geben dem Kunden seine Macht zurück“ und er schreibt weiter: „Flatrates belohnen Qualität anstatt des kurzfristigen Hypes um ein möglicherweise nur oberflächliches Produkt. So können sie sogar kulturfördernd sein.“ Das ist naives Nachgeplapper von neoliberalen Leerformeln über den angeblich so perfekten Markt des Internets. Wer glaubt, dass das Internet gegen Hypes gefeit ist, muss Gangnam Style verpasst und die letzten zwanzig Jahre verschlafen haben. Und wer glaubt, dass eine Flatrate Qualität und Kultur besser fördert als Verlage, hat keine Ahnung, wie Buchmarkt und Verlage funktionieren.

Warum Bücher Geld kosten

Aber Herr Huber ist nicht der Einzige, der nicht weiß, was Verlage leisten, und warum Bücher Geld kosten. In der Diskussion werden Verlage gern zu Buhmännern stilisiert, wenn sie darauf hinweisen, dass Kultur Geld kostet. Dabei sind sie entscheidende Dienstleister für Leser und Autoren: Verlagsprogramme sind ein wichtiger Filter und trennen die Spreu vom Weizen, Lektoren leisten einen entscheidenden Beitrag zur Entstehung eines Buchs (gerade im Sachbuch kommt die Idee oft von ihnen, meist leisten sie wichtige Unterstützung bei der konzeptionellen und inhaltlichen Arbeit, und in der Redaktion machen sie den Text stilistisch und inhaltlich zu einem lesbaren Buch), Verlage investieren in Übersetzungen und machen fremdsprachige Literatur zugänglich, (viele) Verlage zahlen Vorschüsse und ermöglichen Autoren überhaupt erst die Arbeit an einem Buch, und wenn das Buch auf dem Markt ist, kümmern sie sich um die Vermarktung und die Pressearbeit und bringen die Bücher ins Gespräch. Ich persönlich möchte die Arbeit der Verlage weder als Leser noch als Autor missen. Aber diese Dienstleistung kostet Geld, und dieses Geld muss über die Buchverkäufe wieder hereingeholt werden. Ohne Geld keine Autorenhonorare, keine Übersetzungen, kein Lektorat, keine Qualität und am Ende auch keine Bücher.

Flatliners

Eine Flatrate, wie sie Amazon, Skoobe oder Readfy anbieten (letzterer sogar nach dem Spotify-Vorbild kostenlos), ist daher kein Modell für eine Kulturlandschaft, die sich durch Vielfalt, Qualität und Unabhängigkeit auszeichnet. Der Gedanke der Flatrate ist vielmehr eine Ausgeburt der (nicht nur im Internet) grassierenden Piraten- und Gratis-Mentalität, die erwartet, dass Kultur am besten gar nichts mehr kostet, und die sich keine Gedanken darüber macht, dass Kulturschaffende essen müssen, um Kultur zu schaffen. Diese Mentalität bedeutet eine radikale Entwertung von Kulturprodukten – das erste Opfer war die Musik, und nun wollen Amazon und die anderen Flatrater offenbar die Buchbranche abwickeln.

Die Folgen wären schnell dieselben wie in der Musikindustrie: Kleine und mittlere Verlage verschwinden, und mit ihnen die Vielfalt; was übrig bleibt, sind einige J.K. Rowlings und Akademiker, die nicht vom Schreiben leben müssen. Der breite Mittelbau der Autoren, der schon heute nicht viel verdient, wird sich das Schreiben gar nicht mehr leisten können, oder muss wie Schriftsteller des 18. Jahrhunderts über Online-Fundraising Subskriptionen verkaufen – das werden nicht viele schaffen. Eine Alternative wäre eine staatliche Alimentierung, vielleicht eine Art Hartz IV für Kulturschaffende samt einer Behörde, die über die Leistungsansprüche befindet — ein totalitärer Alptraum, der Kulturschaffende zu Hofnarren macht. Wenn man sich an den Erfahrungen der Musikbranche orientieren kann, werden die meisten Kulturschaffenden mit der Flatrate zu Almosen-Empfängern, und wenn Amazon als Monopolist den übrigen Buchhandel verdrängt, den Verlagen seine Bedingungen diktiert und dann zum größten Verleger wird – gar kein völlig abseitiges Szenario –, dann wird es bei diesem Almosen auch bleiben.

Warum sollte Kultur nichts kosten dürfen?

Aber hat sich mal jemand überlegt, warum wir das Recht haben sollten, kostenlos oder zu einer symbolischen Flatrate Bücher zu lesen, Filme zu sehen und Musik zu hören? Wenn ich meine Küche renovieren will, zahle ich pro Fliese und Arbeitsstunde, und nicht per Flatrate. Und wenn ich mit dem Geld, das ich nun beim Kauf von Büchern und Musik spare, in Urlaub fahre, dann zahle ich für eine vierwöchige China-Rundreise mehr als für eine Woche Ballermann. Das akzeptieren wir. Aber warum sollte das bei Musik und Büchern anders sein? Ist das Schreiben, Übersetzen, Verlegen und Vermarkten von Büchern etwa keine Arbeit, die entlohnt werden sollte? Zahlen Autoren, Lektoren, Übersetzer und die vielen anderen an der Buchproduktion seit Neuestem im Supermarkt eine Flatrate? Für jeden halbwegs wirtschaftlich denkende Menschen sollten die Antworten auf der Hand liegen, aber in Zeiten wirrer Heilsversprechungen des Internets muss man sie offenbar ausbuchstabieren.

Kultur funktioniert nicht per Flatrate

Wir sollten uns eines klar machen: Amazons-Bücher-Flatrate dient ausschließlich dem angehenden Buchhandels- und Verlagsmonopolisten Amazon selbst, der sein wenig profitables Einstiegsangebot so lange halten wird, bis ihm genügend Verlage auf den Leim gegangen sind. Allen anderen – Autoren, Verlagen, Buchhändlern, aber auch den Lesern – schadet sie, weil sie die Vielfalt der Buchkultur bedroht. Dass hier nicht der „Untergang des Abendlandes” beschworen wird, wie mir sicher einige vorwerfen werden, zeigt der Blick auf die Musikbranche. Kultur funktioniert nicht per Flatrate. Liebe Verleger, liebe Vertriebsleute, überlegen Sie es sich gut, ehe Sie unsere Bücher verramschen. Die paar Cent, die Sie heute damit verdienen, werden Sie morgen bitter bereuen. Wenn Sie nicht mitmachen, kommen Sie und wir alle sehr wohl „um das Thema herum“.

Jürgen Neubauer

Jürgen Neubauer war Lektor beim Campus-Verlag und arbeitet heute als freier Übersetzer und Autor. Zusammen mit José de Villa schrieb er die Castro-Biografie „Máximo Líder“ (Berlin 2006). Zuletzt ist im Ch. Links Verlag „Mexiko: Ein Länderporträt“ (Berlin 2012) erschienen.

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