Geschrieben am 15. Dezember 2010 von für Kunst, Litmag

Kunst: Peter Rösel – Tizian, Rembrandt, Leonardo Special Automatic

Kunstwerke aus Polizeiklamotten

– Der Künstler Peter Rösel arbeitet mit viel Witz und Fantasie – Peter Münder hat sich die Hamburger Ausstellung im Ernst Barlach Haus angesehen.

Eine schrumpelige kaktusartige Dornenhecke an der Eingangstür des Barlach Hauses, prächtige grün-weiß schimmernde Seerosen im geräumigen Atrium: Man könnte das für dekoratives Beiwerk für eine dieser nervtötenden Klimakatastrophenkonferenzen halten. Doch Peter Rösel, 44, in Marokko und dem Irak aufgewachsen und in Berlin-Weißensee lehrender Kunstprofessor, fordert dem Betrachter mit seinen Installationen, Skulpturen und Bildern gern den zweiten Blick, das genauere Hinsehen ab: Die Dornenhecke besteht aus verbogenem, mit grünen Filzteilen versehenen Stacheldraht, die Seerosen im großen Atrium sind ebenfalls aus grünen Filzstücken zusammengeschnippelt. Dieser Filz stammt übrigens aus teutschen Polizeiuniformen! Schwerter zu Pflugscharen, das war einmal, heute ist also Kunst aus Polizeifilz angesagt. Offenbar ist der Künstler mit gesundem Humor gesegnet; jedenfalls ist es eine Wohltat, auch bei den meisten anderen Exponaten dieses souverän subversive Unterlaufen eingefahrener Sehgewohnheiten und Erwartungshaltungen zu erleben.

AH-2668

So schön krypto-dadaistisch dekonstruierend geht es weiter: Statt der erwarteten betulichen bildungsbürgerlich überfrachteten Konfrontation mit dem klassischen Künstlererbe – schließlich nennt sich die Ausstellung „Tizian, Rembrandt, Leonardo Special Automatic“ – steht man dann zwar vor diesen drei Kunsttitanen, die sich jedoch als uralte Fernsehgeräte (Modell „Tizian“ usw.) aus den 50er- und 60er-Jahren entpuppen. Und wer dann in die Röhre dieser hübschen alten Standgeräte aus der prähistorischen Adenauer-Zeit blickt und sich ein Video ansieht, wird von einer böse glotzenden Killerwespe im Spielzeughubschrauber AH-2668 angestarrt, die gerade im verwegenen Spiralflug abhebt. Ob die Wespe nun in geheimer Stinger-Mission Richtung Orient unterwegs ist oder gegen grüne Killer-Tomaten kämpft, bleibt unklar.

In einem anderen Video zeigt sich der Meister selbst im allmählich erreichten Schwebezustand: Erst hat er noch Bodenhaftung, dann geht er in sich, meditiert innigst und dann – zack! – hebt er ab vom Boden Richtung Nirwana. Diese originellen Überraschungsmomente, mit denen er unterschiedliche Sphären verknüpft, sind Rösels Arbeitsprinzip. Plastikflaschen, die mit kleinen implantierten Spielzeugelementen zur altmodischen Flaschenpost mutieren,  eingerahmte Geldscheine aus Zimbabwe im Nominalwert von mehreren Milliarden (!!!) Dollar entpuppen sich als Spielgeld: Nicht nur wegen der Hyperinflation in Mugabes Vorhölle, sondern auch wegen der kleinen Comic-Männchen, die Rösel mit Filzstift auf die Noten gemalt hat. Diese Männchen versuchen nämlich, den Gipfel der Felsbrocken zu erklimmen, die auf den Scheinen mit den vielen Nullen abgebildet sind. So erfährt der Betrachter nebenbei, dass die Bank von Zimbabwe Scheine im Wert von zehn Trillionen Dollar auf den Markt wirft – ein Blick auf die endlosen Nullen führt zu leichtem Schwindel.

Ohne Titel

Wer es dann etwas beschaulicher haben möchte, der sollte sich die wunderbar leichten, ätherisch anmutenden Aquarelle mit Strandszenen aus Nordafrika ansehen. Pastellfarbene, herrlich subtil nuancierte Luftspiegelungen über Sand, Wasser und Luft gehen so unmerklich ineinander über, dass sich beim Betrachter ein befreiender mentaler Schwebezustand einstellt.

Mit einer Erleuchtung der anderen Art beschäftigt sich Rösel in seiner skurrilen Installation 100y: Das sind einfach nur übereinander gestapelte Uraltkartons aus der DDR, in denen 900 Glühbirnen der altbewährten Marke Narva enthalten sind. Es ist Rösels originelle Protestinstallation, mit der er das Brüsseler Glühbirnenverbot als bürokratischen Humbug entlarven will. Denn diese alten DDR-Birnen leuchteten ewig und enthielten kein hochgiftiges Quecksilber wie diese modernen Energiespardinger, die kein Mensch richtig entsorgen kann.

Einzelbild aus der Animation I promise

Beeindruckend schließlich auch, mit welch lockerer Souveränität und Eindringlichkeit Rösel den Kriegstod von Tausenden vor Augen führt: Auf einer Kommode liegen ein rotes und ein gelbes Telefonbuch: Der voluminöse links liegende rote Band von 1941 – mit Hakenkreuz im Hoheitsadler – hat den Umfang eines Lexikons, der rechts liegende gelbe von 1945 – mit harmlosem Berliner Bären – ist nur noch so dick wie ein kleines Taschenbuch. Auch wenn einige Videoinstallationen zu selbstreferentiell eine hedonistische Ästhetik zelebrieren und offenbar noch Paul Virilios Verdikt vom „rasenden Stillstand“ der Moderne übertrumpfen wollen, ist dies doch eine starke, eindrucksvolle und abwechslungsreiche Ausstellung. Unbedingt ansehen!

Peter Münder

Peter Rösel – Tizian, Rembrandt, Leonardo Special Automatic. Ausstellung im Ernst Barlach Haus, Hamburg.  www.barlach-haus.de. Noch bis 9. Januar 2011, Di–So 11–18 Uhr. Dienstag, 4. Januar 2011, 18 Uhr: Kuratorenführung. Ausstellungsrundgang mit Dr. Karsten Müller

Bild 1: Peter Rösel: Dornenhecke (Detail), 2010. Stacheldraht, deutsche Polizeiuniformen, Unterwäsche. Größe variabel. © und Foto: Peter Rösel
Bild 2: Peter Rösel: AH-2668 (Detail: Tizian), 2010. Digitalvideo, 3 Loops (je 1:15 Min., stumm), Rembrandt, Tizian, Leonardo Spezial Automatic TV. 3-teilig, Größe variabel. © und Foto: Peter Rösel
Bild 3: Peter Rösel: Seerosenteich (Detail), 1997. Deutsche Polizeiuniformen und -mützen. Größe variabel. Sammlung MMK Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main. © Peter Rösel, Foto: Axel Schneider
Bild 4: Peter Rösel: Ohne Titel, 2010. Aquarell. 18 x 18 cm. © und Foto: Peter Rösel
Bild 5: Peter Rösel: Einzelbild aus der Animation I promise…, 2010. Loop (4,2 Sek.), Buntstift auf Geldschein. 7 x 15 cm. © und Foto: Peter Rösel