Geschrieben am 13. Juni 2012 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Aus neuen Literaturzeitschriften

Interessante Literaturzeitschriften gibt es viele und in ihnen verstecken sich so manche Perlen. „Am Erker“-Redakteur Andreas Heckmann sorgt dafür, dass wir den Überblick behalten; er berichtet regelmäßig über spannende Hefte.

Kultur & Gespenster 13

Die 13. Ausgabe von Kultur & Gespenster kommt wieder in altgewohnter Pracht daher. Größter Leckerbissen und der Reproduktionen wegen auch optisch ein Lesevergnügen ist eine Auswahl Briefe, die Theodor W. Adorno in den 60er Jahren mit alten Bekannten und Jugendfreunden, Studenten, Lesern und Rezensenten gewechselt hat. Da meldet sich eine 92-jährige Pädagogin, die den Professor noch als Knaben gekannt haben will (sie verwechselt ihn allerdings mit seinem Cousin). Da schreibt „ein alter, längst verschollener Freund“ und steuert schon im zweiten Satz auf einen „bösen Schnitzer“ in den Minima Moralia zu, den es „auszumerzen“ gelte.

Da erkundigt sich ein Rezensent von Quasi una fantasia nach dem „Bindungscharakter“ der Beiträge und wird von Adorno mit einer die Konstellation der Essays erläuternden Antwort bedacht, die wohl unterblieben wäre, wenn er gewusst hätte, dass sein Briefpartner 1946 in Chur zu zwanzig Jahren Zuchthaus verurteilt worden war, u.a. weil er den Anschluss der Schweiz ans Großdeutsche Reich betrieben haben soll. Und beantwortet werden will auch ein Brief vom März 1968, der mit dem Satz beginnt: „Ihre Einstellung zur Homosexualität, die ich als Homosexueller als die einzig richtige anerkennen muß, ermutigt mich, [mich] mit einer kleinen Bitte an Sie zu wenden.“ Adornos stets um Freundlichkeit bemühte Antwortschreiben (Typoskriptdurchschläge auf Pergamentpapier) sind eine Wonne, auch wegen Formeln wie „Schönsten Dank für Ihren Brief; er hat mich sehr bewegt“ oder „Ich selbst bin nicht, wie Sie anzunehmen scheinen, homosexuell, verspüre auch nicht die leisesten Neigungen nach dieser Richtung.“

Kultur & Gespenster 13: Stabile Seitenlage. 12,00  Euro. Mehr hier.

Krachkultur 14

Dass das Schreiben wie Träume der Wunscherfüllung dienen kann, ruft immer wieder Eskapismus-Vorwürfe auf den Plan. In der neuen Krachkultur wird bisweilen deftig aufgetischt, von Frank Hertel zumal, dessen Romananfang „Susi vom Mars“ vor keiner pubertären Erfüllungsfantasie zurückschreckt und dem Helden nicht nur eine marsianische Traumfrau gönnt, die aus Kippen aufersteht, sondern auch glorreiche Sauftouren und unfassbare Spielbankgewinne, alles reulos natürlich. Dass der Text dennoch weder verspannt wirkt noch ermüdet, sondern ironische und sprachspielerische Volten schlägt, hat etwas Befreiendes: Man fühlt sich nicht unter Niveau unterhalten und empfindet das Beglückende naiv geglaubter Groschenromanversprechungen – ein schöner Drahtseilakt, der dem Autor auch auf der Langstrecke gelingen möge.

Krachkultur 14. 12,00 Euro. Mehr hier.

allmende 88

Mit einem Füllhorn, aus dem Ersehntes purzelt, ist auch Peter Stamm unterwegs, und zwar in Nr. 88 der allmende. In „Das schönste Kleid“ lernt Brigitte, Mauerblümchen einer Zürcher Werbeagentur, zufällig den umschwärmten Archäologen Felix kennen. Bei der Feier der 20.000. Holzprobe einer prähistorischen Pfahlbausiedlung dann, die in einem Bad am See stattfindet, geht Brigitte nackt schwimmen und entsteigt vor versammelter Mannschaft den Fluten. Monate später, der Skandal ist längst verklungen, kommt es tatsächlich zum Happy Ending: „’Ich habe Sie erwartet‘, sagte ich. ‚Ich Sie auch‘, sagte er, streckte mir die Hand hin und half mir hoch. Dann, ohne dass noch ein Wort gefallen wäre, umarmten und küssten wir uns, als hätten wir fünftausend Jahre lang auf diesen Moment gewartet.“

allmende 88: Literarische Landschaften: Die Schweiz. 12,00 Euro. Mehr hier.

Testcard 21

„Überleben. Pop und Antipop im Zeichen des Weniger“ lautet das Thema von Testcard 21. Peter Glaser, Bachmann-Preisträger 2002, erzählt in dem Gespräch „Als Freiberufler kennt man das Wort ‚nein‘ ja nicht“ bemerkenswert offen, wie es war als Journalist und Kolumnist in den goldenen 80ern und den silbernen 90ern und wie schwierig es inzwischen ist, sich unter den Bedingungen des Internets mit Anstand durchzuschlagen. Berührend auch Wolfgangs Seidels Nachruf auf Conrad Schnitzler (1937-2011) von „Kluster“ und „Tangerine Dream“, Beuys-Schüler und Gründer des legendären Zodiac-Club in Berlin (1967/68) – ein aus großer persönlicher Nähe verfasster Beitrag über einen Gründervater der elektronischen Musik.

Andreas Heckmann

Testcard 21: Überleben. Pop und Antipop in Zeiten des Weniger. 15,00 Euro. Mehr hier. Diese Zeitschriftenschau ist zuerst in unserem Partnermedium „Am Erker“ erschienen.

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