Interessante Literaturzeitschriften gibt es viele und in ihnen verstecken sich so manche Perlen. „Am Erker“-Redakteur Andreas Heckmann sorgt dafür, dass wir den Überblick behalten; er berichtet regelmäßig über interessante Hefte. Diesmal: Neue Rundschau und BELLA triste.
Neue Rundschau
Es mag ehrenvoll sein, ist aber gewiss heikel, wenn ein Verlag Autoren fragt, ob sie zu einer Anthologie zum Jubiläum des Hauses – und gar dem 125. – nicht etwas beisteuern möchten. 29 solcher Beiträge vereint Heft 122/3 der Neuen Rundschau unter dem Titel „Samuel Fischer, Verlag“, und bald stellt sich der Eindruck ein, die Texte leisten Ähnliches wie der FAZ-Fragebogen: dessen Beantwortung kann Ausweis von Klugheit und Souveränität sein, doch ein Fehltritt reicht, und man stürzt in Abgründe. Vier sehr gelungene Texte seien erwähnt:
Roger Willemsen bringt seinem Lektor Jürgen Hosemann eine so noble wie (selbst)ironische Eloge dar und beschreibt das erste Treffen, bei dem sie auf dem Bonner Marktplatz Kaffee tranken und Hosemann seine Rede „konzentriert vor allem an seinen Kuchen richtete“, als „Druckbetankung“.
Thorsten Palzhoff steuert eine Hommage an die Suhrkamp-Größe Wolfgang Hildesheimer und dessen „Lieblose Legenden“ bei, den Nukleus des Gesamtwerks, als dessen Kern im Kern wiederum „1956 – ein Pilzjahr“ gelten darf (zur CM-Rezension von „Tasmon“).
Michael Lentz begibt sich zum Jüdischen Friedhof Weißensee, um S. Fischers Grab zu finden, was im Chaos der Planquadrate scheitert. Parallel berichtet er von Rauchfäden, die abends ab achtzehn Uhr von der Kneipe unten durch die Dielenritzen in seine Wohnung ziehen, und bittet den aus Nürnberg angereisten Vermieter, doch die Nase nicht an die Dielen, sondern an den zwischen den Bohlen bröselnden Kitt zu halten. Ein Foto, das Lentz in Turnschuhen am Verlegergrab zeigt, verbürgt jedoch, dass seine Suche letztlich erfolgreich war (und auch die Wohnung wird gewechselt). Der durch den Film „Alles auf Zucker“ einem größeren Publikum bekannte Friedhof, ist einen Besuch unbedingt wert, aber wohl besser im Oktober.
Georges-Arthur Goldschmidt steuert einen so kargen wie bewegenden Text bei, der von einem Leseerlebnis in einem Garten an der Kieler Förde 1950 berichtet (Teile der Familie hatten dank einer „Mischehe“ die Nazi-Zeit überlebt). Dort gab ihm jemand die Schocken (Fischer) Ausgabe von „Der Prozeß“: „Kafka und Fischer ließen mich von nun an nicht mehr los, und Kafka war und bleibt ohne Fischer für mich undenkbar, und beide begleiten mich bis ans Lebensende.“
Neue Rundschau 122/3: Samuel Fischer, Verlag. 12 Euro. Mehr zur Zeitschrift finden Sie hier.
BELLA triste
Vor bald zehn Jahren kam die letzte von Jan Wagners elf Wunderschachteln heraus, literarische und grafische Loseblattsammlungen namens „Die Außenseite des Elementes“, bei denen die Leser die Abfolge der Werke selbst bestimmen können. Mit ihrer 30. Ausgabe hat die BELLA triste in Kooperation mit dem alle drei Jahre in Hildesheim stattfindenden Prosanova-Festival an diese Tradition überbietend angeknüpft und eine Sammlung grafisch ambitionierter Texte vorgelegt, deren liebevolle Präsentation freilich nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass die Substanz dessen, was da als ausfaltbarer Einblattdruck, Pseudo-Anamnesebogen oder Übereinander von Folien für den Overhead-Projektor vorgelegt wird, mitunter dürftig ist. Hier seien drei überzeugende Arbeiten genannt, die sich im spielerischen Rückgriff auf Kanonisiertestes dem Motto des diesjährigen Festivals („Literatur als Ereignis“) stellen:
Rätselhaft, ja, mysteriös erscheinen die Gedicht-Übermalungen von Christian Hawkey, bei denen mit Tipp-Ex Sonette von Elizabeth Barrett Browning und deren Übersetzung durch Rilke bis auf wenige Worte und Wortteile unkenntlich gemacht wurden: eine subtile Verführung, mal wieder zu den „Sonetten an Orpheus“ zu greifen und sie neu zu entdecken.
Judith Schalansky steuert einen Essay „Wie ich Bücher mache“ bei, hellwach und doch entspannt und in Pseudo-Gutenberg-Lettern, sodass sich der Eindruck einstellt, man lese die Heilige Schrift, aber auf den Plastiktüten der Buchhandelskette Hugendubel, könne nun jedoch – oh Wunder! – das dort Unentzifferbare lesen.
Dieter M. Gräfs „Kunstausbruch, Guerillafische“ schließlich kommt als vorgelochtes Faltblatt daher, das nach dem ziegelroten, ziegelschweren Ordner „Schönfelder: Deutsche Gesetze“ schreit.
BELLA triste 30 (Sonderausgabe). 15 Euro. Mehr zu diesem Heft und Leseproben finden Sie hier.
Andreas Heckmann
Diese Zeitschriftenschau ist zuerst in unserem Partnermedium „Am Erker“ erschienen.