Geschrieben am 23. Januar 2013 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Aus Literaturzeitschriften

Interessante Literaturzeitschriften gibt es viele – „Am Erker“-Redakteur Andreas Heckmann sorgt dafür, dass wir den Überblick behalten; er berichtet regelmäßig über spannende Hefte. Diesmal: Edit und SpritZ.

Edit-59Edit 59

Zu definieren, was ein Essay ist, wird der Verständige sich hüten und lieber zu Umschreibungen greifen. Der Begriff kommt aus dem Französischen, wo essai Probe, Versuch bedeutet. Was im Essay versucht wird, ist nicht festgelegt, darf aber nicht langweilen, sondern soll geistreich unterhalten. Gegenüber der mächtig vorwaltenden prosaischen Großform Roman, dem Tanker der literarischen Weltmeere mit seinen dramaturgischen Geboten, kann der Essay als fürwitziger Gestaltwandler Rettungsfloß derer sein, die die kleine Form und die Anspielung dem bis ins achte Glied Ausgedeutschten gegenüber bevorzugen, zugleich aber den mitunter manierierten Verknappungs- und Formexerzitien der Lyrik mit Misstrauen begegnen. Der Essay könnte also, da Kurzprosa es jedenfalls hierzulande stets schwerer zu haben scheint, die ideale Verlautbarungsform der literarischen 400- bis 1500-Meter-Strecke werden.

Wie das geht, zeigt Edit 59. Die Zeitschrift hat einen Essaypreis ausgeschrieben, und was die hochkarätige Jury ausgezeichnet hat, lässt aufhorchen: Simone Schröder schreibt in einem autobiografisch anmutenden Text von dem, was wir zurücklassen auf unserem Lebensweg, von den Möbeln der Großmutter, die die Nachkommen nach Thailand verscherbeln, von den Festplatten, auf denen wir unsere Texte zur finalen Ruhe betten, vom Müll, den wir allerorten hinterlassen, ohne darüber – es gibt ja das Entsorgungswesen – zu Messies zu werden, und von der Konfrontation mit alten Umzugskisten, in denen unsere Lebenszeit Raum geworden ist, Raum und zugleich Tand und damit ein erschreckendes Sinnbild unserer vertanen Zeit.

Diesen Betrachtungen lässt Francis Nenik ein Porträt zweier dichtender Zeitgenossen folgen, deren Dasein so synchron verläuft, dass es in doppelspaltigem Parallelismus mit oft identischen Formulierungen erzählt werden kann. Die Misere der Poeten Nicholas Moore und Ivan Blatný, deren Leben sich in den 1940ern nach erstaunlichem Aufschwung im Gleichschritt ins Elend kehrt, hat auf Wikipedia Misstrauen erregt: „Dieses angeblich preisgekrönte, monoton zu lesende Parallelessay“, schreibt (Stand: 11.01.13) ein Beiträger verschnupft zum Moore-Eintrag, sei „kein reputabler Beleg, da es ebenso reine Fiktion sein könnte.“ Wohl wahr! Noch schlimmer mag sein, dass es im Edit-Autorenverzeichnis über Nenik heißt, er lebe auf dem Land und fahre am liebsten Traktor. Sieht so die Zukunft der Lyrikerzunft aus? Dass ihre Mitglieder von Treckerfahrern gleich garbenweis erfunden und, dem Jokus preisgegeben, wie Abziehbilder ihrer selbst in einem Storage-Center namens Wikipedia endgelagert werden wie Tand in Kisten?

Auch Bruno Preisendörfers Essay „Zeitsprünge“ bewegt sich auf mehreren Ebenen, handelt nämlich von zwei Sambesi-Bungeejumpern und von John Cages Halberstädter Orgelstück Organ 2/As Slowly as Possible, dessen Aufführung 2001 begonnen hat und 2640 zu Ende gehen soll. Wie das Seil der Springerin Erin Langworthy reißt und sie sich aus dem nicht minder reißenden Sambesi retten muss, lässt sich auf Youtube partiell verfolgen. Der zweite tollkühne Springer, Alexander Lerch, verknüpft die Wasserfälle mit dem Halberstädter Dom, denn er will sich in dieser evangelischen Kirche für tausend Euro die Stiftertafel für das (Luther-)Jahr 2017 gesichert haben, auf die dann ein von ihm festgelegter Text graviert werden soll. Wie leicht es heutzutage ist, alles mit allem zu verbinden, weil Youtube oder – weiter gefasst – das Internet die Bande ist, über die sich jeder Ball spielen lässt, zeigt dieser kunstvolle Essay, dessen Ingredienzen anscheinend nach dem Zufallsprinzip gewonnen, dann aber bemerkenswert stringent komponiert wurden.

Edit 59. 5,00 Euro. Mehr hier.

sprache im technischen ZeitalterSpritZ

202Konventionellere, aber nicht minder lesenswerte Essays versammelt Heft 202 von Sprache im technischen Zeitalter unter dem Schwerpunkt „Tabuzonen – worüber man nicht schreiben darf“. Maja Haderlap (*1961), Bachmann-Preisträgerin 2011, berichtet von dem Tabu, mit dem sie in den 60ern und 70ern in Südkärnten aufwuchs: dem unausgesprochenen Verbot der Verwendung ihrer slowenischen Muttersprache in der Öffentlichkeit als Folge der unbewältigten Geschichte Österreichs und vor allem Kärntens in der NS-Zeit. So generiert ein Tabu das nächste, und so wirkt der Bruch eines Tabus notwendig auf andere Tabus zurück. Köstlich auch, was der seit Anfang der 90er in Istrien lebende Serbe Mirko Kovač (*1938) über Tabus unter Tito berichtet – ein Plädoyer, Tabubrecher nicht per se für begabte Autoren zu halten und Bekennereifer, Skandallust und Paranoia nicht zu einer Märtyrerlegende zu verquicken: Am Ende wird man vielleicht doch nicht aufgrund mutiger Sätze inhaftiert, sondern wegen einer Eifersuchtsprügelei unter Literaten. Künstlerpech. Gut also, wenn das Werk sich nicht im Anrennen gegen Tabus erschöpft.

Andreas Heckmann

Sprache im technischen Zeitalter (SpritZ) 202. 14,00 Euro. Mehr hier.
Diese Zeitschriftenschau ist zuerst in unserem Partnermedium „Am Erker“ erschienen.

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