Zeitungskrise? Trotzdem macht der NZZ-Verlag ein Filmmagazin
– Ein Blick über den Gartenzaun, von Alf Mayer.
Der „Bayernkurier“ wird vom Wochenblatt zum Monatsmagazin, bei der „Liberation“ werden 93 der 250 Stellen gestrichen, auch beim Wiener „Standard“ wird die Axt an die Redaktion gelegt, der „stern“ spart 26 Fachkräfte ein und setzt den Henri-Nannen-Preis aus, angeblich aus Pietätsgründen, weil eine Zwei-Mio-Preisfeier nicht in die Landschaft passe – welch eine verlogene Krokodilsträne, gegen die zu Recht demonstriert wurde, blieb doch die jährliche Rote-Teppich-Gala von Gruner + Jahr (minus 400 Stellen) von Einsparungen unberührt und es reichte dort noch für 10.000 Swarowski-Diamanten. Bei der ohnehin schon seit dem Frühjahr 2014 empfindlich in Umfang und Leistung verschlankten FAZ müssen 200 Mitarbeiter gehen, mehr als 40 aus der Redaktion. Betriebswirtschaftlich lässt sich vermutlich sogar aus dem Tod von Frank Schirrmacher ein kapitalisierbares Einsparpotential verbuchen. (Siehe dazu auch unbedingt Wolfram Schütte „Die Lücke Schirrmacher“ bei LitMag.) Die Printzeitungen werden gequetscht wie Zitronen, ihre Verlage haben statt in die eigene Qualität seit 30 Jahren erst in Fernsehsender investiert, dann in allerlei Apps und Online-Auftritte, während die Anzeigenmärkte sich verlagerten und verdünnisierten. Wenn „FAZ“, „Süddeutsche Zeitung“, „Zeit“ und „Handelsblatt“ jetzt einen gemeinsamen Anzeigenteil erwägen, kann man ahnen, wie schmal das Kuchenstück geworden ist.
Errettung aus dem Magazin?
Bei der FAZ gilt derzeit beinahe nur noch das „Magazin“ als zukunftsträchtig, es wird über häufigere Erscheinungstermine spekuliert. Anzeigenkunden scheinen das großformartige Luxusheft zu lieben, das acht Mal im Jahr als Uhren- oder Mode-Journal erscheint und inhaltlich so blutleer und anämisch daherkommt wie die dort immer dekadenter in Szene gesetzten Models. „Magazin“, das war einmal ein Wertbegriff, aber das können sie bei Deutschlands Zeitungen wohl nicht mehr so recht, auch die Hochglanzbeilagen von „Zeit“ und „Süddeutsche“ sind in den letzten zehn Jahren immer blässer geworden. Deshalb hier ein kleiner Blick über den Gartenzaun. In die Schweiz.
Eine Filmzeitschrift mit Auflage 140.000
Dort leistet sich die Neue Zürcher Zeitung, die es ebenfalls nicht einfach und ebenfalls noch kein rettendes Ufer erreicht hat, ein Magazin, nach dem man sich die Finger schlecken kann. Ein Film-Magazin nämlich, inhaltlich qualitätsvoll und in einer Auflage, von der die hiesigen Filmzeitschriften wie „epd-Film“ und „Filmdienst“ (leider) nur träumen können. Während diese beiden Filmmagazine wohl je auf keine 7.000 Abonnenten kommen, von kleineren Partisanen wie „Revolver“ oder „Cargo“ ganz zu schweigen, hier der Link zu einer Liste, hat die glückliche Schweiz seit dem 23. Februar diesen Jahres eine vierteljährige Filmzeitschrift mit einer Auflage von 140.000 Exemplaren. Für NZZ am Sonntag-Abonnenten ist sie kostenlos, für NZZ-Bezieher ebenso kostenpflichtig wie für alle anderen am Kiosk (9.80 Franken) oder digital als iPad-App (für 9 CHF als E-Paper angeboten). Als Herausgeber fungieren das „Zurich Film Festival“ und die „NZZ am Sonntag“ (NZZaS).
Jene Zeitung von der Limmat also, deren Geschäftsführer Veit Dengler sagt, „Hinter uns brennen die Brücken“ und die ebenfalls Leser verliert, setzt auf journalistische Offensive und auf Qualität, nicht auf Verdünnung. Während anderswo gespart, Print eingestampft und Kulturkritiker entlassen werden, hat die Schweiz nun die größte Filmzeitschrift im deutschsprachigen Raum – und setzt tatsächlich Maßstäbe.
Die redaktionelle Verantwortung für „Frame“ trägt Filmredaktor Christian Jungen von der „NZZ am Sonntag“, der auch Vorsitzender der Schweizer Filmjournalisten ist. Der Beirat ist mit den beiden Gründern des ZFF, Nadja Schildknecht und Karl Spoerri, sowie dem Chefredaktor der NZZaS, Felix E. Müller, besetzt. Jungen sagt: „Wir wollen im Filmjournalismus neue Standards setzen.“
„Mitschuldig an der Ignoranz sind auch Feuilletons“
92 Seiten hatte die erste Ausgabe, 84 sollen es immer mindestens sein. Der Anzeigenplatz ist teuer, es inserieren nicht alle Schweizer Banken, aber manche. Ganz explizit – und damit wohl dem Verhalten von filmaffinen Nutzern sehr nahe – verknüpft „Frame“ den Kinofilm mit dem Home Entertainment. Während in deutschen Feuilletons DVD-Besprechungen und das Filmgeschehen jenseits der Kinos eher nur am Rande vorkommen, zeigen die Schweizer nicht nur keinerlei Hochnäsigkeit, die neue Zeitschrift stemmt sich gegen die herkömmlichen Hierarchien in der Publizistik: „Der Kinobesuch gehört laut Umfragen zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen in der Schweiz…. Trotzdem wurde in den letzten zehn Jahren jeder dritte Schweizer Filmkritiker weggespart. Wir wollen etwas gegen den Trend schaffen, weil wir weiterhin ans Kino glauben“, hieß es im ersten Editorial.
Im zweiten Heft schrieb Redaktionsleiter Christian Jungen auf Seite 5: „Film gilt an vielen Schulen nach wie vor als seichte Unterhaltung, mit der man den Jugendlichen vor den Ferien eine Freude macht – indem man ihnen eine Literaturverfilmung zeigt. Während Lehrer mit Schülern Frisch und Dürrenmatt lesen, vermitteln sie nicht, wer Jean-Luc Godard und Alain Taner sind. In einer Zeit der audiovisuellen Überflutung ist das fatal. Schüler verbringen heute zehnmal mehr Zeit mit Youtube-Clips und Filmeschauen als mit Lesen. Mitschuldig an der Ignoranz sind auch Feuilletons, die mehrere Redaktoren für Literatur und Theater haben, aber nur einen Filmkritiker im Teilpensum. Wir wollen Gegensteuer geben.“
Im Heft zwei waren das filmhistorische Beiträge zu Grace Kelly („Frame“ setzt auch auf Star-Vehikel, aber eben nicht nur), zur Notwendigkeit von Filmarchiven, zur Geschichte und Wichtigkeit von Cannes, zur Kinoindustrie in Singapur und ein Porträt des Dokumentarfilmers Frederick Wiseman. Bereits im Mai 2014 wurde die US-Serie „True Detective“ zur besten TV-Serie des Jahres ausgerufen. In der ersten Nummer war dem Magazin der Zugang zu dem überaus öffentlichkeitsscheuen Bernhard Burgemer gelungen, der als Chef der Constantin-Film einer der Topmanager der europäischen Unterhaltungsbranche ist. Christian Jungen führte mit ein überaus lesenswertes Interview, es war ein richtiger Scoop.
Die Anfang September erschienene dritte Ausgabe porträtiert den japanischen Filmkünstler Hayao Miyazaki, der seit 1985 das Tokioter Studio Ghibli leitet und handgemachte Zeichentrickfilme produziert sowie inszeniert. Dagegen gesetzt der Kult um „Star Wars“, drei neue Kinofilme aus dem Zyklus sind dazu derzeit im Entstehen. Analog der Reihe „Neue Welt Sicht“ des Zurich Film Festivals berichtet „Frame“ über eine junge Generation von indischen Filmemachern, die in sozialkritischen Werken die Realität des Subkontinents zeigt. Vom Bildungsbürgertum kaum wahrgenommen, obwohl auch Klassik dort Verbreitung findet, wird YouTube als das neue Fernsehen, die größte Musikstreaming-Plattform, zweitgrößte Suchmaschine und das Epizentrum der Celebrity-Kultur untersucht.
Natürlich könnte das immer noch ein Mehr von Themen sein. Aber ein Anfang ist das, mit „Frame“. Man könnte neidisch sein.
Alf Mayer
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