Geschrieben am 7. Februar 2011 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Kommentar zu den arabischen Revolten

Die Feinde der Stille

– Aus aktuellen Gründen ist einmal wieder an eine Mahnung des polnischen Journalisten Ryszard Kapuściński zu erinnern. „Es wird höchste Zeit“, schrieb Kapuściński in seiner Reportage über den historischen Fußballkrieg zwischen Honduras und El Salvador im Jahre 1969, „ der Stille mehr Beachtung zu schenken… Die Stille ist ein Vorbote des Unheils, oft sogar des Verbrechens. Sie ist ebenso ein politisches Instrument wie das Klirren der Waffen oder die Rhetorik auf einer Versammlung. Tyrannen und Okkupanten, die darauf bedacht sind, dass Schweigen ihr Werk umhüllt, brauchen diese Stille…Welche Stille alle Länder mit überfüllten Gefängnissen atmen… Die Stille verlangt einen großen Polizeiapparat. Sie verlangt ein Heer von Spitzeln. Die Stille fordert, dass Feinde der Stille plötzlich und spurlos verschwinden.“

Vielleicht könnte die Wahrnehmung der ‚Stille’ ein Kriterium für guten, aufklärenden investigativen Journalismus jenseits des Medien-Mainstreams sein. Für die globalen Medien-Networks gilt immer noch – und immer mehr: ‚Blood sells and time is money. Wo kein Blut in Strömen fließt oder keine Naturkatastrophe Touristen aus den reichen Ländern der Welt in den Tod reißt, herrscht Stille und Frieden.  Gleichzeitig wird der Zeitdruck im Journalismus immer höher. „In der politischen Berichterstattung“, so hat es einmal Christiane Grefe, Reporterin bei der ZEIT formuliert,  „geht heute ohne eilige Ereignisorientierung kaum noch etwas. Punktuelles, Situatives und vor allem Skandalisiertes ist gefragt, nicht mehr das geduldige Verfolgen von gesellschaftlichen Prozessen im In- und Ausland.“

Werden wir einmal konkreter: konfrontiert mit den sich ausbreitenden Revolten in einigen arabischen Ländern, vorneweg Tunesien und Ägypten, wird das Versagen der politischen Eliten und der Medien in der westlich-kapitalistischen Hemisphäre beklagt. Tatsächlich war es zum Beispiel jahrelang, jahrzehntelang sehr schwer für kritische Journalisten, Reportagen über ein Land wie Tunesien in den Redaktionen unterzubringen…Wen interessierte das, die Touristen, die jedes Jahr einen Pauschalurlaub an der tunesischen Mittelmeerküste buchen, sicherlich am wenigsten. Die wollten – und wollen – Sonne und Stille (s.oben ).

Und wenn man aufgrund von Informationen zum Beispiel aus Dossiers von ‚amnesty international’ die brutale Unterdrückung der freien Meinungsäußerung in Ägypten erwähnte, wurde man selbst im aufgeklärt-liberalen Bekanntenkreis als misanthropischer Urlaubsverderber angesehen. Mag sein, dass in den großen Offline-Medien nichts oder nur wenig über die tatsächlichen politischen Zustände in den Ländern der Sonne und der Stille rund ums Mittelmeer berichtet wurde. Aber von dem, was uns heute begleitend zu den sogenannten ‚Volksaufständen’ in arabischen Staaten über die politischen Zustände in Tunesien, Ägypten, dem Jemen, Algerien usw. berichtet wird, sind nur wenige Nachrichten wirklich neu. Waren doch alle Informationen über den prassenden Reichtum der Machteliten, deren unverschämter Korruption und Arroganz im Umgang mit der politischen Opposition immer schon bekannt.

Man hätte sich vor dem Urlaub, vor einer wirtschaftlichen Investition, vor einem Staatsbesuch doch nur auf den Websites von ‚amnesty International’, der ‚Reporter ohne Grenzen’, christlicher Solidaritätsgruppen oder von ‚Transparency International’ über die Menschenrechtslage in den jeweiligen Ländern informieren können. Statt zu jammern über das Versagen der Politik und der Medien im Umgang mit diktatorischen Regimes, sollte man einmal die hartnäckige Aufklärungsarbeit der kleinen ‚Human Rights-Gruppen’ und aufmerksamen ‚Blogger-Szene’ mehr würdigen.

Ohne sie hätten es viele Tyrannen, Okkupanten, Mullahs und Clans noch leichter, ihre Macht in aller Stille auszuüben. Auch diese Hoffnung vermitteln uns die Nachrichten, die uns in diesen Tagen von den arabischen Revolten erreichen.

Carl Wilhelm Macke