Geschrieben am 31. Dezember 2021 von für Highlights, Highlights 2021

Wolfgang Nitschke: Was is hier eigentlich los?

Mein Jahresrückblick 2021

         anhand ausgesuchter Tagebuch-Einträge
zu den Querdenkern, Pegida, allen anderen Arschlöchern für Deutschland (AfD) und anverwandtem Gesockse  

6. Januar

Trumps Pack stürmt das Kapitol
Fragen eines lesenden Mescalero …
Natürlich ist der Trump ein Idiot. 
Natürlich gehört der in die Klapse.
Natürlich ist der Trump die derzeit hohlste Nuss im wilden Westen.
Und natürlich und zu Recht der Führer seiner ebenso erstaunlich rabiaten wie schlicht strukturierten Gemeinde. Natürlich.
Natürlich, natürlich, natürlich. 
Ja selbstverständlich!

Und trotzdem. 
Die einhellige, entrüstete, abgrundtief ehrliche Frage hierzulande
„Wie können denn nach 4 Jahren ungeheuerlicher Lügerei 
so viele Amerikaner bloß immer noch diesem Riesenarschloch 
gläubig hinterherlaufen?“,
die hat doch auch etwas Komisches an sich. Oder? 
Oder simpel andersrum gefragt: 
Was sind denn knapp 50 Prozent gegen praktisch nahezu 100 Prozent? 
Und was 4 Jahre gegen 12? 
So viele Geschichten.
So viele Fragen. 

1. Februar
Im Namen des Volkes

Wenn im WDR eine Talkshow ausgebrütet wird unter dem zukunfts­weisenden Titel „Die letzte Instanz“ und der Moderatoren-Azubi Steffen Hallaschka dazu eine für das durchschnittliche deutsche Intelligenzvorkommen repräsentative Lall- und Laberrunde zusam­mencastet, dann besteht sie aus Jürgen Milski („Big Brother“ der ersten Stunde und Ballermann-Sänger der extrafeinen Art), Micky Beisen­herz ( Comedy-Literat und „Dschungelcamp“-Texter), eine Janine Kunze (selbe Branche) plus Zombie-Legende Thomas Gott­schalk, auf dass ein jeder frei Schnauze und nach Lust und Laune und Vermögen zum popoleeren Thema „Das Ende der Zigeuner­sauce: Ist das ein notwendiger Schritt?“ seinen ganz eigenen, indi­viduellen Senf ab­liefere – dann ist vor allem aber eine klassische Sternstunde des Westdeutschen Rundfunks vorprogrammiert.
Hier jetzt die Rosinen im Erbrochenen nochens zu servieren, erspar ich mir und Ihnen. Um den weiten Horizont dieser rassekundlichen Kulturamöben zu erahnen, sollte ein Halbsatz von Gottschalk rei­chen, der die in der Tat bemerkenswerte Anekdote zum Besten gab, auf einer Kostümparty in Los Angeles in Jimi-Hendrix-Verkleidung das erste Mal erfahren zu haben, „wie sich ein Schwarzer dann fühlt“. 
Unabhängig davon, dass natürlich nur schwer zu ertragen war, was da an diesem und ähnlich horrendem Stuss und locker felsenfest internalisiertem Ras­sismus kollektiv abgefeuert wurde, ist es schon sinnig, so was im Original und un­zensiert durch die offenen-recht­lichen Kanäle zu jagen. Und zwar nur aus einem einzigen Grund: Damit die Betroffenen diesmal genauer wissen, wann sie ihre Koffer packen müssen. 

21. Februar
Kitsch as Kitsch can

Die deutsche Presse jubiliert, nicht gleichgeschaltet, doch unisono, in die Welt hinaus:
„Deutschland feiert 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland.“ 
Pardon, aber irgendetwas dünkt mich an dem Satz nicht ganz echt. Ich glaub, es sind so ungefähr 5 Sachen: 
– ad1) Was ist denn „jüdisches Leben“? Geht‘s nicht noch verdrucks­ter? Was soll das sein, „jüdisches Leben“? Gibt‘s denn auch „katholi­sches Leben“? Oder „evangelisches“? Oder gar – bei Gott! – „musli­misches“? Ich kenn nur „tierisches“! Yo! und da simma auch schon dem Täter auf der Spur.
– ad2) Was heißt denn hier „Deutschland“ feiert usw? Ganz Deutsch­land? Halb Deutschland? Wieviel Deutschland soll‘s denn sein? Oder sind‘s am Ende nur der oberste Kranzabwerfer Steinmeier, der liebe Augustin und seine willigen Gesundbeter?
– ad3) Und was heißt hier: Deutschland „feiert“? Was soll das für ’ne Feier sein? „1700 Jahre“ christlicher Antisemitismus? Also Diebstahl, Mord und Totschlag, Verfolgung und Vertreibung, Ghettos, Kreuz­zug und Holocaust?
– Und was meinen ad4) die Herren Geschichtsklitterer denn mit der gernegroßen Ortsangabe „in Deutschland“? Seit wann gibt’s das denn? Vor 1700 Jahren herrschte in der Gegend, wo heute Deutsch­land liegt, einzig & allein die „Barbarei des Landlebens“ (K. Marx). Und noch Jahrhunderte lang danach war das Brett vorm Kopp ihr Ein & Alles. Und zivilisiert hat sich da bis dato nicht gerade viel. Dieses Deutschland ist nicht gegen Ende der Antike im Namen Gottes auf wundervolle Weise plötz­lich vom Himmel gefallen; das Deutsch­land, das man zum 1. Mal „Deutschland“ nannte, existiert erst seit 1990, und was diese „Deut­schen“ heute durchweg von den Juden halten, ergibt – freundlich ausge­drückt – eher wenig Feiertaugliches. Oder mit den Worten von Max Liebermann:
„Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen könnt.“ 
So weit, so normal. Was aber unterm Strich dann doch irritiert, ist der Umstand, dass der Zentralrat der Juden nach dem und dem und alledem diese billige Verar­sche, diesen „deutsch-jüdischen Verbrü­derungskitsch“ (Eike Geisel) auch noch mitmacht.
Schade. Auch immer dasselbe. 

22. Februar
Und so geht‘s weiter

Der berühmte Rechtsextremismus-Forscher und Christdemokrat Bernhard Vogel (88) im ‚Spiegel‘-Interview:
„Die AfD ist ohne Frage eine rechtsradikale, nationalistische Partei, aber ihre Wähler sind nicht alle kleine Nazis, sondern zum größeren Teil Menschen, die aus Verdrossenheit, Zukunftsangst oder anderen Gründen für die AfD votieren.“ (Ja, oder weil se Zahnschmerzen haben oder fiese Pickel, die nicht weggehen. Egal.)
Jetzt hätte der ‚Spiegel‘ ja schön nachfragen können: „Aber warum wählen die dann zielgenau und treffsicher immer rechtsradikale Nationa­listen?“ 
(Hat er aber nicht.
Wahrscheinlich war nicht genug Zeit.) 

4. April
Was sind das eigentlich für Leute?

Und da waren se wieder. Diesmal in Stuttgart. Über 10.000 Piepel. Sog. Querdenker aller Schattierungen, Menschen, die mit einem rätselhaften Selbstbewusstsein ihre hohle Nuss durch die Gegend tragen, teilweise ganze Familien mit Kind und Kegel, freiwillig Gleichgeschaltete ohne Mund- und Nasenlappen und ohne den ge­botenen Abstand, viele unter ihnen, die bis vorgestern noch zu­frieden im Einklang mit sich selbst auf ganz andern Partys tanz­ten, heut jedoch als frischkonvertierte Totlaberer jedes Gespräch in eine kommunikative Folterhölle verwandeln, abstruse Wesen aus ande­ren Welten, Alpträume fremder Galaxien, unerreichbare Voll­blut­spinner, alternative Einzelheinze vom Stamme der Absurden.
Von weitem, aus der Entfernung betrachtet, denkt man erstmal: Och, guck ma, alles friedliche, durch die City flanierende harmlose Volksfestbesucher, die sich zusammen warum auch immer kollektiv in die Innenstadt verlaufen haben! Sobald man sich aber dem Trei­ben bis auf ein paar Schritte nähert und ihnen neugierig zuhört, wenn se den Mund auf­machen, wird man schnell eines Besseren belehrt: 
Es ist Pack! Schlicht & ergreifend: Pack. Pack ist es, war es und Pack bleibt es. Nichts anderes als ungefragt dahergelau­fenes, stinknormales Pack.
Und so sieht’s auch aus. 

23. April
Schausteller als Querdenker

Rund 50 Schauspieler haben sich in einer konzertierten Internet­aktion mit satirischen Spots zum Thema Corona ans ganze deutsche Volk und dessen Vertreter gewandt, um … ja, um was eigentlich? Um na …, um natürlich zu scheitern. 
Denn offensichtlich ging der Spaß nach hinten los. Das übliche Pack von A über Q bis XYZ, jedes Arschloch für Deutschland inkl. seiner Sympathisanten, Onkeln, Tanten und sonstigen Mutanten, besorgten Bürgern, Asis, Nazis, Alus, Esos, also fast alle standen jedenfalls in ihren schwersozialen Lall- & Krawallmedien mit nur 1 Click stramm, machten sich locker und klatschten begeistert Zugabe. Und so fragt sich nun bekümmert bis belämmert die komplette Schau­spiel­schule: Was ist denn da schon wieder schief gelaufen?
Kinners! Kurz ma‘ aufgemerkt!
Der erste Grundsatz aller Satire hierzulande lautet: „80 Prozent der Bevölkerung sind dafür zu doof“ oder – wie es WDR-offiziell heißt – „nicht satirefähig“ (Und das ist nur die offizielle Zahl). Erst wenn man dick & fett „Pass up, Satire!“ draufpappt, besteht die Chance, dass es vielleicht 70 Prozent wer­den. Eines Tages.
Also für die Zukunft: Immer schön „Satire“ vorne drauf kleistern. Denn ansonsten gilt die hl. Regel: Genauso, wie man im Fernsehen keine Guido-Knopp-Hitler-Doku senden kann, ohne auch den letzten Rest der Wehrmacht vor der Kiste hocken zu haben, und man kein deutsches Lied mehr hö­ren kann, ohne dass nich plötzlich Heino um die Ecke jodelt, so kann man denn auch nicht wie Joseph Goebbels „Lügenpresse“ blö­ken, ohne haargenau wie dieser Joseph Goebbels es auch so zu meinen. 
Ach, die Zeiten sind ja so komplex und kompliziert gewor­den!
Doch am Schluss, da wartet im Gelände 
dann immer noch das alt-bekannte, dicke Ende: 
Doppelpunkt
„Die Jungen werfen zum Spaß mit Steinen nach Fröschen.
Die Frösche sterben im Ernst.“ 
(E. Fried) 

28. April
„The times they‘re a-changin‘

… das wissen wa ja. Aber dass sie sich sooo ändern …!
Früher, als Otto Normal hierzulande z.B. praktisch jeden Tag be­fürchtete, dass am nächsten Morgen nicht der Postbote sondern eine Horde bis an die Zähne bewaffneter Russen vor der Haustür stünde, und der Verfassungsschutz deswegen alles, was sich links von Nor­bert Blüms Arbeitnehmer­flügel verortete, unter seine von Haus aus schon mehr als zwielichtige Lupe zu nehmen hatte, konnte sich ein kritischer Geist mit zwei drei kurzen Gedankengängen noch einiger­maßen in der deutschen Wirklichkeit zurecht finden. Die Objekte der Beobach­tung passten ja zu ihrer Umgebung, waren ja in ihrer Mehrheit Vertreter einer zumin­dest relativen Rationalität, Prakti­kanten einer wie auch immer irgendwie nachvoll­ziehbaren Denk­richtung.
Heute – die Kommunisten sind passé, die Sozialisten ebenso, die ähm, Sozialdemokratie auf gutem Weg, die Anarchisten sowieso – heute sieht die Sache etwas anders aus. Heute muss der Verfas­sungsschutz – und zum ersten Mal hätte diese Bezeichnung auch einen Sinn – die sog. „Querdenker-Bewegung“ beobachten, eine Sammlung von selbst­bewussten Vollidioten, Hohl-, Hall- und Knall­köpfen, eine bunte, militante Mischung ausgesuchter Blödmänner nebst blödem Anhang, eine – wenn die sozialen Medien rufen – sofort herbeimarschieren­de, auf Krawall gebürstete Menschenherde mit nichts als dem pu­ren Nichts in ihren leeren Hirnschalen, das zu sich gekommene „identitäre“, deutsch-egomane Nazi-Pack eben, das sich seit Pegida und AfD mehr und mehr aus den Löchern traut und wachsender Beliebtheit erfreut.
Die Situation ist so gesehen neu. Die hat es meineserachtens so auch noch nicht gegeben. Ja, die Zeiten haben sich geändert. Nur glaube ich nicht – ich kann‘s mir jedenfalls nicht so recht vorstellen -, dass uns ausge­rechnet nun der Verfassungsschutz hier … 
(Sorry, bin z.Z. wohl mit meinem Kirchenlatein ziemlich am Ende. Melde mich aber direkt zurück, sobald ich wieder etwas durchblicke … Mal sehen …)

30. April
Allemadichtmachen

Rund um den „allesdichtmachen“-Tinnef unserer 53 Hobbysatiriker und Hoch- und Tief­karäter der deutschen Schauspielkunst, wird es von Minute zu Minute immer lustiger. In der aktuellen, für Diktatu­ren so typischen, nach allen Seiten hin offenen öffentlichen Diskus­sionsorgie meldete sich dieser Tage nun auch der Essener Klinikchef Prof. Jochen Werner zu Wort und erteilte dem »Tatort«-Nerventöter Jan Josef Liefers und dessen Plan, eine Schicht auf der Intensivsta­tion zu begleiten, eine deutliche Abfuhr:
»Für uns definitiv kein Thema. Wer bis heute nicht begriffen hat, was in Krankenhäusern geleistet wird, der begreift es auch in einer Schicht nicht«, so Werner. Er halte eine Inszenierung wie »Bergdok­tor im Ruhrgebiet« für »undenkbar«.“
Da laachse dich kapott, dat nennt man Camping! 

10. Mai
Pegida jetzt tatsächlich schlimmer als gedacht

Ganz Sachsen aus dem Häuschen! Ab heute ist es amtlich: Der sächsische Verfassungsschutz stuft Pegida als rechtsextremistisch ein!
Bisher hieß es immer, die Masse der durch Dresden marschierenden Montagsmaler seien nur be­sorgte Bürger und verunsi­cherte heimat­treue Urein­wohner von Sachsen mit berechtigten Sorgen, Ängsten und sonstwat, die von vereinzelten aus­länderun­freundlichen Einzel­heinzeln verführt worden wären.
Demnächst werden se dann wohl noch indigniert zur Kenntnis neh­men müssen, wenn der Verfassungsschutz aufgrund eigener inten­siver Forschungsarbeiten erklären wird, dass der Führer Adolf Hitler damals doch eventuell rechtsradikal gewesen sei und ein Antisemit dazu. Aber selbst wenn, ist das doch alles zusammen nur ein Flie­gen­schiss.* Wie Herr Gauleiter das mal sehr energisch ausge­drückt hat. 
Also, man erlebt in diesem Land hier ja immer wieder die erstaun­lichsten Sachsen. Ähm.
——————–
*
 Als Herr Gauleiter sein geflügeltes Wort vom „Fliegenschiss“ der staunenden Öffentlichkeit präsentierte, war es allerdings schon einige Male durch die Mühle der Lügenpresse gedreckselt und völlig entstellt worden. Herr Gauleiter hatte eigentlich seine übergroße Distanz zum 3. Reich dar­stellen wollen. Doch das wollte wiederum keiner hören. Der diesbe­zügliche Satz lautete nämlich in Wahrheit:
„Das 1000-jährige Reich der Germanen war doch ein Fliegenschiss im Vergleich zu den 12 Jahren unter Hitler.“ 
Aber was willste gegen die eiskalten Verdrehungen der Lügenpresse machen, wenn schon Juden und Neger hier und heute das Sagen haben! Die Richtig- bzw. Gegendarstellung wurde zwar gedruckt, doch in die hinterletzten Ecken verbannt. Und das Gegenteil wird nach wie vor behauptet. Lügenpresse halt.
Lügenpresse! Lügenpresse! Lügenpresse! Merkel an den Galgen! 

17. Juni
„Things have changed“ (Bob Dylan)

Aber wie?!
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schreibt:
„Fast die Hälfte der Deutschen sieht die Meinungsfreiheit laut einer aktuellen Allensbach-Umfrage in Gefahr. Nur 45 Prozent der Befrag­ten haben noch das Gefühl, die politische Meinung in Deutschland könne frei geäußert werden. Das sei mit Abstand der niedrigste Wert, seit das Institut für Demoskopie Allensbach im Jahr 1953 zum ersten Mal danach gefragt habe.“
Demnach müsse man bei den Themen „Islam (59%), Vaterlandsliebe und Patriotismus (28%) und Gleichberechtigung von Frauen (19%)“ mehr als „vorsichtig sein“.
Die Zahlen sind natürlich auch mit ein wenig Vorsicht zu genießen. Weil gerade bei solchen Umfragen viele der Befragten noch viel vorsichtiger sind, als sie wirklich sind, kann man erfahrungsgemäß auf die 59, 28 und die 19 getrost noch jeweils ca. 30 Punkte oben dauf geben.
Demnach wären also nach meiner neuen Berechnung um die 50 % doch sehr traurig darüber, Frauen nicht mehr traditionell wie Karl Arsch behandeln zu dürfen. Und das ist doch für ein angeblich zivi­lisiertes Volk ne echt stolze Zahl.
Was nun die knapp 60 % mit ihrer Vaterlandsliebe und ihrem Patrio­tismus betrifft, bin ich meinerseits doch ziemlich enttäuscht und hätte von unsern aufrechten deutschen Arschlöchern ’n bißchen mehr Courage erwartet. Oder Mutzustolzehreheimatliebe, wie die sich’s zusammenstammeln würden.
Vollends aber verwirrt haben mich die 59 bzw. knapp 90 % beim heißgeliebten Thema „Islam“. In diesem Land wurde seit 9/11 kein einziges Buch, dass in militantem Hass auf den Islam geschrieben wurde, KEIN Bestseller! Selbst jeder der langweiligen, unlesbaren Statistik-Schinken von Sarrazin wurde für den notorisch darbenden Buchhandel zum Segen. Monatelang keine Talkshow ohne Sarrazin, monatelang kein Buchladen ohne mehrere Haufen voll mit „Deutschland schafft sich ab“. 
Was aber heißt das, wenn knapp 90 % der Deutschen gegen alle Offensichtlichkeit behaupten, dass man hierzulande mit seiner Meinung zum Islam hinterm Berg halten sollte? Daraus folgt, dass man in der Tat allmählich sehrsehr vorsichtig sein muss. 

11. Juli
Wenn Attila uns sein braunes Süppchen kredenzt 

Von der Polizei per Haftbefehl gesucht, von der Berliner Staatsan­waltschaft in 80 Fällen angeklagt und seit September ‘20 auf der Flucht mit geheimem Unterschlupft irgendwo in der Türkei – das ist Attila, nicht Attila der Hunnenkönig, sondern Attila der Hildmann, Kochbuchautor und einer unserer ganz großen Querdenker und Ver­schwörungsschamanen hierzulande und der Twitterer und Telegram­mer fleißigsten einer. Und so lautete einer seiner letzten Posts, den er da unter eine Fotomontage (A. Merkel in KZ-Kleidung) getippt hatte:
„Sperrt diese Untermenschen Jüdin endlich nach Auschwitz wo sie hingehört bevor noch mehr Kinder Selbstmord begehen und wehr­lose Alte mit Judenspritzen ermordet werden!“
Das muss ein sehr feiner Herr sein. So – und die Schreibfehler sind kein Zufall – denkt es in einem solch feinen Hirn. Und in den Hir­nen derer, die dem auf Marktplätzen applaudieren, im Wahllokal dann bei den Arschlöchern für Deutschland ihr Kreuz hinkotzen und von den anderen Parteien zurück in den Betrieb gewünscht werden. Attila, ein Vorzeigedeutscher der besonderen Art. Ich könnt mir den aber auch genauso gut als Schiffsschaukelbremser, Zwergschullehrer oder als Nachfolger von Präsident Erdogan vorstellen. 

27.Oktober
Der kleine Notgedanke für zwischendurch

Ob Leugner*pipapo, Getesteter*pp, Genesener*tüdelü oder kom­plott Geömpfter/tata, seit knapp 2 Jahren dekliniert die Gemeinde den Corona-Virus rauf und runter. Inzwischen expertisen allein in deutschen Landen an die 80 Millionen Virologen und ihre Innen an den Käsetheken sich und andere dumm und dämlich. Es steht zu befürchten, dass, wenn sich dieser allzu reale Spuk endlich in Luft verdünnisiert hat, all die Leute in ein großes, dunkles Loch driften, weil se kein Thema mehr zum Totlabern haben. Es ist zwar nicht amtlich, aber so wird kolportiert, Adorno soll mal zu diesem ganzen Scheißdreck verlautet haben:
„Was nützt einem die ganze Gesundheit, wenn man ansonsten ein Idiot ist.“
Doch mein Problem wird eher sein: Mir werden irgendwie …
die Nasenlappen fehlen. 

19. Dezember
Was is hier eigentlich los?

Da latschen zur Zeit Zigtausende seelenruhig durch diverse leere Innen­städte und protestieren gegen die Pandemiebekämpfung der staat­lichen Anti-Corona-Politik.
Sie tackern sich ’nen selbstgemalten „Judenstern“ an ihren warmen Wintermantel und gerieren sich als Opfer einer von ihnen herbei halluzi­nierten Nazidiktatur. 
Zwei, drei Schritte weiter laufen Leute mit, die sich durch ihre Fah­nen und Transparente als organisierte Hobby-Nazis und Berufsfa­schisten zu erkennen geben und die aktuelle Bundesregierung für die sog. „Weisen von Zion“ halten.
Zehn Meter hinter denen laufen Leute mit, die, wenn man sie vom Straßenrand aus etwas fragen will, einem entgegenschnauzen:
„Halt die Fresse, Lügenpresse! Lügenlaus, geh nach Haus!“
Da marschieren Leute mit, die auf ihre Plakate mit Buntstiften liebe­voll geschrieben haben: „Mehr menschliche Politik wagen!“, und dazu Hakenkreuz-Tattoos auf den Oberarmen tragen!
Bei manchen Protestschildern ist man leicht irritiert, versteht man doch die message, auch nach längerem Gegrübel, nicht so recht: Merkel in KZ-Kla­mot­ten mit der Forderung „Merkel an den Galgen!“ Oder auch Olaf Scholz in derselben Verkleidung und dem Zu­satz „Schuldig!“ Ja, wat denn nu? Was woll’n uns die Künstler usw. damit sagen?
Desweiteren laufen da Leute mit – und die werden wohl mindestens die Hälfte der Masse, die da langläuft, insgesamt ausmachen – alles Leute, die mit Politik, wie sie selber sagen, nix am Hut haben, die „nur“ Angst vor der Spritze, Angst vor der Spritzdose oder Angst vor dem Spritzendoktor haben, oder Angst vor der „Genmanipulation“, Angst vor irgendwelchen Strahlen und dem unbekannten Langzeit­schaden oder Angst vor der Einschränkung von Freiheitsrechten, die sie ansonsten noch nie in ihrem Leben genutzt, geschweigedenn davon überhaupt Kenntnis hatten, alles Leute, die sich niemals als Nazis bezeichnen würden, aber immer zu den ersten gehören, die ihr „Deutsch­land über alles!“ brüllen, alles Leute, die von Nazis absolut und überhaupt nichts halten, aber nichts dagegen haben, zusammen mit Nazis durch die Gegend zu laufen und deshalb auch Mitläufer genannt werden. 
Und nicht zu vergessen die Leute, die alle die Politiker abgrundtief hassen, die/weil die/ihnen vor der Wahl Freibier versprochen hat­ten und sie es bis heute nicht bekommen haben. 
Und natürlich die Leute, die Angst vor den Türken haben, vor den Polen, vor den Ungarn, vor den Juden und Angst vor all denen, deren braune Hautfarbe nicht vom Rumliegen auf Sonnenbänken herrühren.
Dann hammer da noch vereinzelt Leute laufen, die allen Ernstes z.B. davon überzeugt sind, dass Lauterbach nicht Lauterbach heißt, sondern der uneheliche Sohn ist von … hahaha, nee, nicht von Adolf Hitler … hahaha, der war jut … nein, von … ja genau, von Hermann Göring.
Andere wiede­rum halten es eher für möglich, dass der berühmte Zwillingsfor­scher und SS-Hauptsturmrottenführer Josef Mengele zwar in den 60er Jahren im Toten Meer oder so ertrunken sei, aber schon kurz darauf als ein gewisser … ja, genau, als ein gewisser Dr. Karl Lauterbach, auch „Professor Pimpf“ (!) genannt, auf dem 2. Bildungsweg wiedergeboren worden ist, und sich jetzt als „demo­kratischer Bundesge­sundheitsminister“ mit seinen wahnsinnigen Pimpfplänen am groß­deutschen Volk rächen will. Mit in Israel herge­stellten, genmanipu­lierenden Spritzdosen.
Als einzige, im Reichstag vertretene Partei übrigens tritt hier nur die AfD in Erscheinung.
Na ja, wie dem auch sei: 
So vielfältig und unterschiedlich es in den Runkel­rüben all dieser Demoteilnehmer auch ausschauen mag, einig sind sich die Desola­ten, die zornigen, besorgten Bürger, aber allent­halben in der Ge­wissheit, dass sie alle­samt Opfer sind, und zwar Opfer einer ganz bestimmten, ausländischen Supermacht, eines kommunis­tischen Kapitalistensyndikats, ja, einer geheim operierenden interna­tio­nalen Finanzoligarchie, die wiederum sie, die Desolaten, die einzig wahren Ver­teidiger der Demokratie, der Volksherr­schaft,­ mit dem Stumpf und Stiel aus­zurotten gedenkt.
Tja, so sieht’s anscheinend aus. Oder scheinbar oder wie auch immer.
Nun, man kann jetzt davon halten, was man will. Eine Frage bleibt damit allerdings immer noch ungeklärt:
Was is hier eigentlich los?!?!

23. Dezember
Und es begab sich …

Ja, und so kann‘s kommen:
Der Nervtöter und Schwurbelsänger Xavier Naidoo hatte 2017 gegen eine Referentin der Amadeu Antonio Stiftung geklagt, die ihn in einem wissen­schaftlichen Vortrag über „Reichsbürger“ als Antisemit bezeichnet hatte. Das Nürnberger (!) Landgericht verbot daraufhin der Ange­klagten im Namen des Volkes, den extrem populären Anti­semiten Xavier Naidoo weiterhin als Antisemiten zu bezeichnen.
Nun hat das Bundesverfassungsgericht aber anders entschieden und das Nürnberger Urteil in die dafür vorgesehene Sondermülltonne gekloppt. Demnach darf er jetzt zumindest in einem wissenschaftli­chen Vortrag als Antisemit bezeichnet werden. 
Was heißt ‘n das? Fazit: 
76 Jahre nach Auschwitz muss man sich in Deutschland immer noch bis zum Bundesverfassungsgericht durchklagen, ehe man einen er­klärten, offen­sichtlichen Antisemiten ungestraft einen Antisemiten nennen darf. In einem wissenschaftlichen Aufsatz.
Frohe Weihnachten  

Wolfgang Nitschke: Jahrgang 56, seit dem Deutschen Herbst ’77 wohnhaft in Köln, beteiligte sich in den Jahren ’84-’89 an den Witzen der „Stunksitzung“, wurde nach dem Fall der Mauer dann Vollblutkomiker und war 13 Jahre lang Mitglied der Kabaretttruppe „3Gestirn“ (2001 mit dem sagenumwobenen „Deutschen Kleinkunstpreis / Kabarett“ bedacht, whow!).
Dann 15 Jahre solo und in verschiedenen Gruppen und seit 2015 mit der Diagnose Parkinson als Rentner unterwegs. Was ich witze- und humortechnisch noch mache, ist nur das „Tagebuch“, dem ich mich täglich seit über 20 Jahren widme,(aber erst seit Jan. 2010 auch archiviert auf der www.bestsellerfressen.de nachzulesen ist).
Öffentliche Auftritte sind wegen der Krankheit nicht mehr drin.
Aber es geht auch so.

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