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Ivy Pochoda

It’s been a weird year—the world opens up, kinda. It shuts down, kinda. For some reason I found myself reading books about the American west. I reread my terrific friend Hernan Diaz’s masterpiece In the Distance which I loved even more the second go round. The lonely solitude of his prose seemed to be a perfect coda to this attempt to reenter the world.
The other thing I kept returning to is the quasi-documentary Bloody Noses, Empty Pockets about the final night at a dive bar before it closes forever. This film so perfectly captures the spirit of transitory camaraderie that I miss the most about my barstool years—the strange friendships that run their course over years or over hours.
Ivy Pochoda’s These Women was named by the New York Times as one of the best mystery books of 2020. It was published to great acclaim by ars vivendi in Germany, as Wonder Valley was before, and it just made our own TOP 15 2021. Andrea O’Brien has interviewed her for her website Krimiscout (the Interview is in German). Ivy’s website, her appearance in our magazine.
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Robert Rescue: Ein Plan für die Zukunft

Da las ich in den Nachrichten, dass die Paketdienstleister für das Weihnachtsgeschäft 2021 mit einem gleich hohen oder etwas höheren Paketvolumen rechnen als Weihnachten 2020. Verwunderlich, denn im Anbetracht der ganzen Horrormeldungen, die in den letzten Wochen zu lesen waren, frage ich mich – was wollen die da transportieren, es gibt doch nichts?
Die Holzpreise sind enorm gestiegen, weil Holz knapp ist, deshalb gibt es weniger Zellstoffe, weshalb Papier knapp wird, der Chinese kauft massenweise Altpapier (keine Ahnung, was die damit wollen, aber es wird ein Plan dahinterstecken), und weil das Papier knapp ist, können Verlage nicht die komplette Auflage drucken, weshalb man schon Anfang November den Bildband über die Hitlerjugend kaufen muss, damit man diesen dem Opa unter den Weihnachtsbaum legen kann, wobei nicht sicher ist, in welchem Jahr das sein wird. Nudeln werden aufgrund von Missernten knapp, so dass die Double Income, No Kids Zielgruppe im Prenzlauer Berg fürchten muss, dass es dieses Jahr mit der 500 Gramm Packung Bärlauch-Ingwer Spaghetti, handgeerntet aus dem Tessin, nichts wird und man sich stattdessen mit der ALDI Eigenmarke aus zweifelhafter Herkunft begnügen muss. Bei IKEA gibt es keine Bürostühle mehr zu kaufen, nur noch den sauteuren OLFSKROG in beige und ohne Armlehnen. Benzin wird knapp und teuer, Container fehlen, China macht alles dicht, wenn einer Corona hat, Lagerhallen brennen ab, Häfen kommen mit der Abfertigung nicht hinterher und ein Schiff verkeilt sich im Suez-Kanal. Das alles gipfelt im „Mangel“ an dem, was jedes Weihnachten leuchtende Augen bereitet – Computerchips und damit Elektronik.
Das, was die Paketdienstleister vor Weihnachten durch die Gegend kutschieren, sind von der Menge her nicht die Bärlauch-Ingwer Spaghetti, der handgestrickte Pulli von Oma Bärbel für den Enkel, der Bildband über die Hitlerjugend oder der LEGO-Fusionsreaktor mit drölf Millionen Teile, sondern das IPhone, das neue, geile MacBook, die Playstation 5, die Xbox, die neue, geile Grafikkarte zum zocken oder der neue, geile Thermomix mit dem neuen, geilen Update für Käsespätzle und Tomaten-Reispfanne.
Seit Wochen rätseln Eltern, wie sie ihren Kindern beibringen, dass sie dieses Jahr keinen Wunschzettel schreiben brauchen, dass dieses Jahr ein „ungewöhnliches“ Weihnachten ins Haus steht, dass Verzicht eine Tugend ist, dass man nach dem Krieg auch nicht viel hatte und eine neue Hose doch auch toll ist.
Die Kinder, welche die Nachrichten verfolgen, ahnen das Ungemach und pochen auf ihr Grundrecht auf ein hemmungsloses Weihnachten mit dem neuen geilen Scheiß, ansonsten würden sie ausziehen, den Eltern das Sorgerecht entziehen oder des nächtens das elterliche Schlafzimmer mit einem Messer in der Hand aufsuchen.
Was also tun? Da kommt Berlin ins Spiel. Die Stadt, in der Innovation groß gedacht wird, die Stadt, die Probleme beschaulich behebt und die jetzt den Hut in den Ring wirft, um der Welt zu zeigen, wie man logistische Probleme lösen könnte, in dem Fall mit der Betonung auf könnte. Die S-Bahn soll künftig Güter transportieren. Ein schier genialer Plan, der dereinst die Logistikbranche verändern wird, aber für das gegenwärtige Problem keine Lösung ist. Aber egal, Berlin denkt groß, Berlin denkt weiter. Die Bevölkerung hat doch nur Frust mit den Paketboten. Pakete werden beim Nachbarn zugestellt, mit dem man es sich verscherzt hat oder in einem Späti geparkt, der von all den Irren des Kiezes frequentiert wird, die einen mordgierig anglotzen und dabei eine 2 Liter Flasche tschetschenisches Liquid Ecstasy auf ex saufen.
In Zukunft laden die Paketzentren ihre Fracht einfach an einem S-Bahnhof ihrer Wahl in einen extra Waggon der S-Bahn und die Kunden holen sich ihre Sachen am Zielbahnhof ab. Dazu wird ein millionenteures und selbstverständlich fehlerhaftes System installiert, dass den Kunden eine Push-Nachricht aufs Handy schickt, dass sie um 13:53 Uhr ihr Paket am S-Bahnhof Heiligensee abholen können. Nur blöd, wenn der Empfänger in Steglitz wohnt. Aber hey, anstatt in einen ranzigen Späti zu gehen, die Fresse vom schlechtgelaunten, weil unterbezahlten und ausgebrannten Zusteller erblicken zu müssen oder vor dem ungeliebten Nachbarn zu Kreuze kriechen zu müssen, kann man doch einen Ausflug ins schöne Heiligensee machen, muss dabei aber stets die Uhr im Auge behalten. Denn sonst wird es mit der Paketzustellung erst was, wenn die gleiche S-Bahn das nächste Mal den Bahnhof wieder anfährt und das kann etwas dauern. Aber ein Ausflug nach Brandenburg, um die Wartezeit zu überbrücken, ist doch auch eine schöne Idee.
Es wird Leute geben, die sich das Auto und den Zusteller zurückwünschen, aber das sind halt Fortschrittsverweigerer, die nicht einsehen wollen, dass die Städte der Zukunft weniger Autoverkehr nötig haben wegen Klima, Lebensqualität und so. Aber Berlin ist tolerant und flexibel. Der neue Service wird auf U-Bahn, Straßenbahnen und Bussen ausgeweitet, was allerdings ein paar Jahre dauern wird.
Gewöhnen wird sich der Berliner daran, dass die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel künftig etwas mehr Zeit brauchen wird, denn der Fahrer muss ja zu dem angehängten Waggon oder Anhänger gehen und das entsprechende Paket raussuchen, was die durchschnittliche Haltezeit um etwa 8 Minuten verlängert.
Man könnte natürlich die arbeitslos gewordenen Paketboten als Mitfahrer anstellen, was zwar die verlängerte Wartezeit nicht verkürzt, aber immerhin das Problem mit den freigestellten Mitarbeitern der Logistikbranche löst. In einem weiteren Schritt könnte der öffentliche Nahverkehr ja auch die Dienstleistung der Lieferdienste übernehmen, da ja die Beschäftigten dort die ganze Zeit nur rumjammern über zu lange Arbeitszeiten, Überwachung und schlechte Bezahlung. Wenn für die kein Arbeitsplatz übrigbleibt, kann man ihnen ja den Umzug nach Großbritannien nahelegen.

Die Umweltverwaltung, so lese ich im Tagespiegel, habe eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben. Machbarkeitsstudie, das ist so ein deutsches Wort, das fürchterliches erahnen lässt, was die zeitliche Dauer anbetrifft. Und besonders in Berlin entfaltet der Begriff noch eine ungeahnt angsteinflößende Dimension mehr, die man sich nicht im Geringsten vorstellen will.
Aber bis diese Studie fertig ist und womöglich exakt das beschreibt, was ich mir ausgedacht habe, wird es eine Ewigkeit dauern und bis dahin gehört die globale Versorgungskrise der Vergangenheit an und der Familienfriede zu Weihnachten ist wieder gewahrt.
Robert Rescue bei CrimeMag. Zu seiner Webseite mit Terminen, Veröffentlichungen etc. geht es hier, einen einschlägigen Beitrag von ihm finden Sie in der Anthologie „Berlin Noir“ und beim Talk Noir im Neuköllner Froschkönig ist er regelmässig unser Stargast.
Im Herbst 2020 erschienen: Robert Rescue: Das Leben hält mich wach. Berlins müdester Lesebühnenautor trotzt dem alltäglichen Wahnsinn mit Humor. Edition MundWerk, Berlin 2020. 146 Seiten, 12 Euro.
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Hazel Rosenstrauch: Memo 21
Dieses Jahr: Reisen qua Lektüre, nach Aserbeidschan und Konstantinopel, nach Paris, Rom und Wien, in die brandenburgische und in die schwäbische Provinz und in die künstlich intelligente Zukunft, von dort nach Südfrankreich und in das Mesopotamien vor unserer Zeitrechnung.
Begegnungen am Bildschirm, abgesagte (und nicht bezahlte) Events. Ich installiere eine Ablage für nicht gehaltene Vorträge.
Das italienische Lokal um die Ecke, wo ich oft und gerne die Vorspeisen gegessen habe, gibt es nicht mehr. Andere Läden auch nicht. Stattdessen: neue Galerien, Feinkostläden, portugiesisches Porzellan, Mitnehmessensstationen. Die Stand-by-Cafés werde ich weiter nutzen, auch wenn es keine Pandemie mehr gibt.
Zum Glück funktioniert die Heizung wieder. Ich denke oft an die Frierenden – hier und dort.
Ich habe mehr gekocht als in meinem Leben davor.
Spät entdeckt und genossen: Texte und Filme von Wolfgang Kohlhaase. Mehr genutzt als je: Musik via You-tube.
Las (aber) einen langen Artikel, wie man Strom sparen könne: Geräte über Nacht nicht im Stand-by-Modus lassen, Herd gleich abdrehen, Licht in nicht benutzten Zimmern ausschalten, Heizung runterdrehen und vieles anderes mehr. Kein Wort über stromfressende Selfies, Twitterei, um den Globus rasende Bilder und Filmchen.
Noch etwas Unbekanntes, das schon lange existiert: Die russischen Impressionisten (im Museum Barbarini in Potsdam). Die Ausstellung in Paris konnte ich, von Flugscham angesteckt, nicht sehen.
Nicht unbekannt: Die Schrecken an den Grenzen Europas.
Ermutigend: Die Stimmung und witzigen Plakate bei der Klima-Demo im September.
Trostspruch zum Jahresende: Was erwartest du von einem Land, in dem es wichtig ist (und Wählerstimmen bringt), wenn Autofahrer mit 200 km/h über gut gepflegte Autobahnen rasen dürfen. Sie kommen, höre ich, aus fernen Ländern, um ihre und ihrer Autos Potenz auszufahren.
Mögliche positive Nebenwirkung der Pandemie: Einige Leute lernen nach und nach, mit Unsicherheit umzugehen.

Hazel E. Rosenstrauch, geb. in London, aufgewachsen in Wien, lebt in Berlin. Studium der Germanistik, Soziologie, Philosophie in Berlin, Promotion in Empirischer Kulturwissenschaft in Tübingen. Lehre und Forschung an verschiedenen Universitäten, Arbeit als Journalistin, Lektorin, Redakteurin, freie Autorin. Publikationen zu historischen und aktuellen Themen, über Aufklärer, frühe Romantiker, Juden, Henker, Frauen, Eitelkeit, Wiener Kongress, Liebe und Ausgrenzung um 1800 in Büchern und Blogs. Ihre Internetseite hier: www.hazelrosenstrauch.de
Ihre Texte bei CulturMag hier. Ihr Buch „Karl Huss, der empfindsame Henker“ hier besprochen. Aus jüngerer Zeit: „Simon Veit. Der missachtete Mann einer berühmten Frau“ (persona Verlag, 112 Seiten, 10 Euro). CulturMag-Besprechung hier.