Geschrieben am 31. Dezember 2022 von für Highlights, Highlights 2022

Friedemann Hahn – Rückblick und ein Porträt des Malers Gregor Hildebrandt

Friedemann Hahn: Leben und Kunst machen und dabei nicht vor die Hunde gehen

Stills. Eine Frage der Einstellung

„I’m American-trained“ (Alfred Hitchcock)

Eigentlich kennt das wohl jeder: dreaming along … Was geht im Traum schon zu Ende? Es kann doch immer weitergehen, da du die Zeit doch auf deiner Seite hast, Konzentration und Ruhe … (`Fortsetzung folgt´ nicht unbedingt in der nächsten Nacht) … Seiner Zeit hatte irgendein surrealistischer Dichter an seiner Schlafzimmertür das vielversprechende Schild mit der Aufschrift er `arbeite´; – dazu reichte ihm ein Bett.

   Damals in Freiburg, `Haus zum geilen Fisch´ (Villa Pescara), Fischerau 32 (wo heute die Evangelische Stadtmission ihre Büros hat); – es geht über diese Holzbohlen auf denen der betrunkene Leo aus dem Nachbarhaus manchmal seine Mülltüten abstellt, die Glühbirne ist sowieso andauernd kaputt, dann eine schräge Holztreppe hoch, weiter mit eingezogenem Kopf an den Balken vorbei, dem Geräusch des Gewerbebachs entgegen, endlich im Dunkeln die Tür … zu einer Art Foto-Labor, wie es mir heute vorkommt: rechts an der Wand ein langes volles Bücherregal in dem die gelb leuchtenden März-Rücken verteilt sind (Friedemann hatte mal einen Ruf als prä-feministischer Porno-Schreiber, – so wurde er mir von Bernd-Otto vorgestellt (F. hat es – wie Humphrey – nicht versäumt, in jungen Jahren von zu Hause wegzulaufen und sich in der Schule unmöglich zu machen, als er mit 16 während der Schulzeit mit seiner Turnlehrerin von Hinterzarten nach Paris fuhr, ins `Hotel Monsieur le Prince´ in der rue Monsieur le Prince – auch das vielleicht keine Vorsehung, aber doch immerhin eine tolle Voraussetzung.); in dem Zimmer ist die Hauptsache das große Bett, irgendwo versucht der gutmütige Hund Lenau (s/w) sich kleinzumachen, auf einer Ecke sitzt Silke und putzt sich vielleicht die Schuhe mit Schuhcreme, weil sie gleich irgendwo hin muss, dazwischen, ausgestreckt, im Fernsehlicht, um Ruhe und Ordnung bittend, in Jeanszeug und Stiefeln, er will doch noch Malen in die Akademie, je nach dem Programm (Spielfilme: — der Künstler bei der Arbeit, auch wenn draußen die Sonne schien, an den stillen Sonntagnachmittagen, abends sowieso, so liegt er vor seinem kleinen tragbaren Schwarzweißgerät in meiner Erinnerung. – „Es hat etwas zu tun mit magic und emotion und vision, mit dem freien Fließen von Bildern, Gedanken und Vorstellungen, mit Disziplin, die von innen kommt und nicht von außen verordnet wird. Es hat was zu tun mit dem Gefühl von Macht über das eigene Material, oft kommt das nicht und dauert nicht lange, und es ist eins der am wenigsten ich-bezogenen Gefühle der Welt, weil man genau weiß, dass da nur eine Verbindung hergestellt ist zu der unbewussten Seele (mind)“. (Raymond Chandler, `Farewell, My Hollywood´, Antaeus No. 2/22, Tanger 1976).

Martin Langbein (1945 – 2006). Autor, Film- und Literatur-Forscher, auch Forscher im Leben.STILLS. Eine Frage der Einstellung (und eine Vorlage) zu Friedemann Hahn´s Emotion Pictures, in: F. H., Ausstellungskatalog, Kunstverein Wolfsburg 1984.

In Memoriam Ulf Miehe (1940 – 1989) … Es braucht immer jemanden, der etwas erkennt, was andere nicht erkennen wollen oder können. Er hat mich ermutigt, als ich nicht wusste, ob das etwas taugt, ob es sich lohnt, weiter zu schreiben, ob irgendwer außer mir sich dafür interessiert. Und Klaus Hoffmann (1934 – 2004) … Als die Zweifel weiter zu malen, und mit der Malerei eine Zukunft zu wagen, so groß waren, dass ein noch so kleiner Funke das Ende für alle künstlerischen Bemühungen bedeutet hätte, war der Zuspruch von Klaus Hoffmann das erhoffte Licht am Ende einer schon allzu langen Nacht. Als Ulf Miehe mich bestärkte weiter zu schreiben und Klaus Bär überzeugte, zwei schmale Bändchen: Fick in Gotham City und Anarcho – Er kannte kein Gesetz zu verlegen, war ich mir sicher, dass es richtig war, mit der Erforschung der unbewussten Seelefortzufahren. Es war sicher keine neue Erfindung, aber es entsprach auch nicht dem Zeitgeist, diesem unseligen Gespenst, Gedichte zu schreiben. Oder Bilder malen, die nichts darstellen wollen, nichts erzählen wollen, die nichts wollen, als da sein. Nur da sein. Weiter nichts.

So fängt das immer an, oder so ähnlich. In engen Immobilien Slums, in Hinterhöfen, im heruntergekommenen Großstadtdschungel, Banlieue eben, auch wenn die private Scholle im Auge des Orkans liegt, wo es so angenehm ruhig sein soll, wie man sagt. Dann kommt die Chance, der Durchbruch, du hast alle Möglichkeit, endlich deine Ideen zu entwickeln, zu verwirklichen, wenn die Sterne gutstehen, was auch heißt: wenn es an der Zeit ist, denn die Zeit muss bereit sein für dich. Doch du musst sie erkennen, die Chance, musst die Kraft haben, deine Träume zu verwirklichen, von Horizont zu Horizont zu fliegen und den Glauben zu bewahren … ihn darfst du nie verlieren. 

Eine Erfolgsgeschichte. Gregor Hildebrandt und Alicja Kwade sind das in dieser Zeit wohl überzeugendste Künstlerpaar und mit Horatio Asta Elis ein unschlagbares Team. Warum ich über Gregor Hildebrandt schreibe? Weil sich vor mehr als zwanzig Jahren unsere Wege kreuzten. Und ich mich noch gut daran erinnern kann. Und er schon alles mitbrachte, was man so braucht an Rüstzeug, wenn man Kunst machen will. Gute Kunst, das heißt interessante Kunst, denn langweilig darf es nie werden (erinnert sei auch in diesem Zusammenhang an einen anderen Schulversager von der Saar, ebenso einer, der schon reichlich Rüstzeug eingepackt hatte, als er sich auf die Wanderschaft machte: Johannes Lotz; wenn auch seine Geschichte dann nicht so groß rauskam, wie vielleicht erhofft … was er macht, ohne nachzulassen, ist überzeugend).

  Diese Geschichten haben auch etwas mit Welt erobern zu tun, mit da sein wollen, sich zeigen, sich stellen. Kunst machen ist wie Bergsteigen. Wie Klettern ohne Seil. Kunst machen ist die Geschichte von mutigen Taten.

*****

Gregor Hildebrandt: „Romy mit Nay (Kasten)“ 2022 
Tintenstrahldruck, Kassetteninlays und Kassettenhüllen in Holzsetzkasten
159.5 x 111.5 x 9 cm
Courtesy of the artist and Wentrup
Private collection

Liste von Einzelausstellungen Gregor Hildebrandt 2022:

A Blink of an Eye and the Years Are Behind Us, Kunsthalle Praha, Prague
Das Café de Flore im Spiegel, Café de Flore, Paris
Reglos nachtet das Meer, Galerie Isa, Mumbai 
Wo Du mich liebst beginnt der Wald, Perrotin, Shanghai
Was geht uns die Sonne an, Perrotin, New York
Die Arrivederci-Show , Galerie Klüser, Munich
Ein Wimpernschlag und hinter uns die Stunden, Wentrup, Berlin

Gregor Hildebrandt. Durch den Spiegel gehen oder I walk through the park in the evening

Ein Porträt von Friedemann Hahn

Im Atelier lehnte ein großes Bild
an der Wand, offensichtlich frisch begonnen,
eine wirre Masse aus schmutzigen Blau-, Purpurund Schwarztönen. 
Auf die Rückseite war der Titel
Orizaba/Return to Union Beach gekritzelt,
und weder Janet noch Barkasian begriffen seine Bedeutung.
(William Boyd, Nat Tate – Ein amerikanischer Künstler)

Die Sonne scheint,
aber was geht diese Menschen die Sonne an? (Straßen in Berlin und anderswo, Siegfried Kracauer)

Du machst mir Angst. 
Ich mache mir Angst. 
Vergiss mich ganz schnell. 
Aber bitte sage mir noch gute Nacht. 
(Romy Schneider)

Die wahren Bilder. Das sind die verborgenen Bilder. Die Bilder, die wir nicht sehen können, denn sie sind im Bild verborgen. Das Bild im Bild. Das ist die Seele des Bildes. Bilder ohne Seele gehen an uns vorüber, als sei nichts gewesen; sie ergreifen uns nicht, halten uns nicht fest, fordern uns nicht auf zum Verweilen, nicht zum Nachdenken. Der Künstler ist ein Diktator. Er fordert die Welt auf, das zu akzeptieren, was er erschaffen hat. Natürlich ist es anmaßend, solches zu fordern. Der Künstler muss besessen sein, von seinem Schaffen, von seinem Werk. Und er muss überzeugen. Und das hat mit bedingungsloser Wahrhaftigkeit zu tun, und mit Wahrheit. Werner Herzog, der Filmemacher, Autor und Philosoph, fordert in seiner jüngst erschienenen Autobiographie Jeder für sich und Gott gegen alle diese messianische Überzeugungskraft des Künstlers und gibt einen entscheidenden Hinweis, wenn er schreibt: „Erst die Poesie, erst die Erfindung der Dichter kann eine tiefere Schicht, eine Art von Wahrheit sichtbar machen. Ich habe dafür den Begriff ekstatische Wahrheit geprägt.“ 

   Gregor Hildebrand ist ein Besessener. In noch recht jungen Jahren hat er ein vielseitiges – ich scheue das Wort vom `früh vollendenten Werk´, denn der Vulkan sprüht unaufhörlich –, weitreichende Ideen und Vorstellungen umfassendes, ein gewaltiges Werk geschaffen. Gregor Hildebrandt ist ein Dichter. Er hat seine spröden, teilweise auch banalen Materialien mit Poesie umhüllt. Er hat seine Bilder, seine Objekte, er hat die Installationen mit Glamour überzogen und haucht ihnen ewigen Glanz ein. Er ist ein Poet. Ein Lyriker, der diese ganz besondere Art von Wahrheit verkündet. Es ist eine einsame Wahrheit, die nur in ihrer Tiefe der verstehen kann, der sie in sich trägt. Diese Art der Einsamkeit ist voller Ruhe, und sie ist schön. Sie gehört dem Künstler ganz allein.

                       Painting & Guns

„Comment ça va,
Cowboy?
Comment 
ça va?“

     Wir sind alle zu einem Mord fähig
 so oder so.
Das Leben ist ein geheimnisvolles Spiel

     und Sehnsucht
Sehnsucht nach der Erinnerung
und ein Lächeln.

     Das gewisse Lächeln
vor dem Ende,
und dann ist alles vorbei.

     Und dann kommt der Schuss, 
auf den du noch gewartet hast,
 als er schon gefallen war.

     „Comment ça va,
Alter?
Comment 
ça va?“

Le Samourai. Einmal sollte Gregor in einem Remake von Jean-Pierre Melvilles Klassiker Alain Delon darstellen, die Idee entstand beim Aufbau der Ausstellung Sterne in Chicago im ehemaligen Umspannwerk meiner Geburtsstadt Singen am Hohentwiel, ein Ort, den wir Kinder schon in den frühen 1950er Jahren mit unseren Räuber-und-Gendarm-Spielen unsicher machten. Zur Realisation kam es nicht. Geblieben von den ersten Überlegungen ist ein Polaroid-Bild, auf dem Gregor vor einem Pistolen-Bild von mir steht und so tut, als schieße er. Für eine Monographie ordnete die Grafikerin diese Polaroid-Aufnahme unter die Portrait-Aufnahmen ein. Da es sich gut machte, nahm ich keine Korrektur vor. Einmal, es war zu Beginn des Jugoslawien-Krieges, fuhr Gregor mit dem Rad von seiner damaligen Stammkneipe in der Mainzer Neustadt ins Atelier in der Boppstraße, als über seinen Kopf hinweg geschossen wurde. Er fuhr furchtlos weiter und malte ein Bild, vielleicht die Kreuzrippe, denn er malte damals noch.

   Sind wir wirklich das, was andere in uns sehen? Schönheit und Kälte. Geheimnis und Entschlossenheit. Sind wir nicht vor allem das, was wir sein wollen. Denn dafür leben wir doch, und dieses Streben ist die Freiheit kein Objekt zu sein. Und der geheimnisvolle Glanz? Du musst erkennen, auf welcher Seite des Traums du stehst.

  Wer soll das absolute Bild malen? Wer, wenn nicht der blinde Maler? Wenn du es dann siehst, ist es überwältigend – geheimnisvoll und banal zugleich.

   2010 hat er dieses letzte, dieses ultimative Bild gemalt. Wie lange muss man warten, um dies zu können, dies zu dürfen …? Hundert Jahre?

   Ein Assistent hält ihn beim Malen an der Hüfte, dass er nicht vornüber in den Farbenteich fällt. Das wär´s ja noch, versinken in der Farbe, ertrinken im letzten Farbensee „In 10 Sek. war´s fertig.“ Das ist Originalton K.O. Götz, absolut typisch, ganz der Alte. Das Leben taucht ins vollkommene Schwarz. Manchmal sieht er noch Bilder, Gestrüpp, als säße er im Garten. Über den Tod nachdenken …? Hat er noch nicht gemacht, bisher nicht, könnte er ja mal – nach fast hundert Jahren.

   In seinem Film Hanah Bi (Feuerblume) lässt Takeshi Kitano einen zum Krüppel geschossenen Polizisten – Horibe sitzt seit einem missglückten Einsatz im Rollstuhl – sagen: „Es ist schrecklich so viel Zeit zu haben. Um sie tot zu schlagen, male ich ein Bild nach dem anderen.“ Er sieht auf einmal die Welt in seinen Bildern und seine Bilder werden zu dieser Welt, doch diese Welt erreicht ihn nicht mehr. Während er in rauschhafter Selbsthinrichtung rote Farbe auf sein Bild – dunkler Nachthimmel mit Sternen über einer Berglandschaft im Schnee –   wirft, wütet Nishi (Takeshi Kitano); aus Schusswunden trippelt er pulsierend spritzendes Blut über weiße Hemden und die Landschaft. Und alles und jeder wird umgenietet und stirbt, während ein kleines Mädchen, ein unschuldiges Sisyphos-Kind versucht einen Drachen steigen zu lassen, an einem einsamen Strand. Die ruhigen Wellen, eine gleichmäßige, immer wiederkehrende Bewegung, werden zur letzten Einstellung. Nishi, der Rächer und konkrete Künstler, malt seinen gelben Wagen weiß. Der romantisch naive Maler Horibe pünktelt sich seine Welt aus Farbe: Schnee wird weiß, das Blut wird rot, Sterne werden gelb. Er wird den Rollstuhl nie mehr verlassen. Keiner entrinnt seinem Schicksal; es gewährt nur eine kurze Zeit des Aufschubs – „…geben Sie mir noch etwas Zeit, es wird nicht lange dauern.“ Wird das Schicksal wenigstens das kleine Mädchen verschonen? 

   Wenn du nicht bist, was du machst, hast du schon verloren.

Lametta. Die Aura, die den Star umhüllt, ist wie ein kostbarer Mantel, gewoben aus dem Höchsten und Edelsten, was an erotischer und sexueller Attraktion aufzubringen ist. Die Leidenschaft wird zum Bild, und aus Schauspielern werden Wesen einer anderen Welt, die fern ihres wirklichen Geschlechts Träume von Weiblichkeit und Männlichkeit versinnbildlichen. Doch der Traum der vollendeten Erscheinung bleibt so geheimnisvoll wie die Wirklichkeit des Lebens.

   „Technisch gesehen, entsteht der Glamour aus einem Helldunkel, dem Spiel des Lichts auf der Landschaft des Gesichts, der Wirkung des Hintergrunds, der Komposition, dem Einsatz geheimnisvoller Schatten in den Augen, um die Leere zu verbergen, der Aura des Haares und darin, alles das in einem flüchtigen Augenblick der Grazie einzufangen“, schrieb Josef von Sternberg, ein großer Meister dieser Kunst, 1963 im Esquire. Wer mehr über dieses Mysterium erfahren will, über das Leid und das Glück, denen die ausgeliefert sind, die sich der Macht des Glamours unterworfen haben, muss die gefahrenvolle Reise in die Gefangenschaft der totalen Künstlichkeit antreten. Da gibt es kein Entrinnen mehr – nur Erlösung oder Verdammnis.

   Es ist wieder Nacht und unzählige Sterne leuchten ohne Technicolor in ganz natürlichem Licht über dir und mir und über Hollywood und den Gräbern der Unsterblichen. Und ich wundere mich nicht, wie sich mir der Sternenhimmel entfremdet, und die Vorstellung von ihm zu einem Gefühl wird. „Als ginge es jeden Augenblich darum, zu lieben oder zu sterben.“

                    Ein Maler

 An einem Wintertag des Jahres 1960
springt der amerikanische Maler Nat Tate
in den New Yorker East River.
Nachdem er fast sein gesamtes Werk
vernichtete, sucht er den Tod 
in den schwarzen Fluten des eiskalten Flusses.
Für seine genialen, gedankenlos
auf die Leinwand geworfenen Farbspuren
hatte sich zeitlebens niemand interessiert
Und 100 Jahre wollte er nicht warten.

     38 Jahre nach seinem Tod
erscheint eine reich ausgestattete Biographie
bei 21 Publishing London, aus der David 
Bowie bei einer Abendveranstaltung in Jeff Koons´
New Yorker Galerie Ausschnitte aus dem kurzen,
 eher tragischen Leben eines verkannten Künstlers 
vorliest.

     So ist es eben im Leben: über den Tod nachdenken
oder nicht nachdenken.
Den Tod suchen
oder weitermalen.

Mainz Revue. Kunst und Leben. Leben und Kunst. Irgendwann Mitte der 1990er Jahre kam Gregor Hildebrand nach Mainz. Sein Freund Johannes Lotz, mit dem ihn schon damals eine unerbittliche Leidenschaft zum Kunstmachen verband, lockte ihn vom Saarland nach Mainz, an die sich allmählich, doch eher behäbig entwickelnde Kunstakademie des Landes Rheinland-Pfalz, an der ich in dieser Zeit des Aufbruchs Lehrer sein durfte. Dort war in solchen Pionierzeiten so gut wie alles zu entdecken und zu entwickeln, wohlgemerkt für einen Adepten, der sich nicht scheute alles zu wagen, nichts zu fürchten. Parzival und Brothers Grimm. Die deutsche Mythologie kennt den Langsamen, den Zurückhaltenden, den, der nicht schreit, bevor er weiß, um was es geht. Im Märchen der Gebrüder Grimm zieht der tumbe, einfältige Bub in die Welt hinaus, um das Fürchten zu lernen. In Wolfram von Eschenbachs Parzival ist er schon aufgeweckt, neugierig, doch wird er von seiner ängstlichen Mutter vor der Welt versteckt, behütet vor den Gefahren des Lebens. In Sten Nadolnys Die Entdeckung der Langsamkeit ist er einer, der seine angebliche Behinderung zur Stärke entwickeln kann. 

   Mainz war nicht und konnte nicht genug sein für einen, der es wissen wollte, der vergleichen wollte und in sich aufnehmen wollte, was möglich war. Ich denke Berlin und die dortige Universität der Künste waren für Gregor Hildebrandts Entwicklung entscheidend. Von einer Kleinstadt im Saarland über Mainz nach Berlin und München lässt er, mit einem Heißkleber und Hollywood und noch vielem mehr im Rucksack, alle Last hinter sich und erobert scheinbar ohne Mühe die Welt. Ein Wimpernschlag und hinter uns die Jahre. Was geht uns die Sonne an. Im Sturz durch Zeit und Raum. Luft in allen Zimmern. Tönend hallt die Jugend. Die Schwelle zur Treppe. Der Himmel im Raum. Fliegen weit weg vom Ufer. In meiner Wohnung gibt es viele Zimmer. Alle Schläge sind erlaubt. Die schwarze Sorge um das Segel. Sieben auf einen Streich. Auf Wasser schlafend rauscht das Meer. Sterne streifen die Fluten. Von den Sternen zu den Sternen. Shapeless in the Dark again. 

Gregor Hildebrandt: „Marlene gespiegelt im Kasten“, 2015 
Tintenstrahldruck, Kassetteninlays und Kassettenhüllen in Holzsetzkasten
159 x 111.5 x 9 cm; Courtesy of the artist and Almine Rech, Private collection

Glamour. Manchmal, wenn ich Gregor Hildebrandts Arbeiten betrachte, scheint es mir, als sei er auf dem Feld der Bildenden Kunst so etwas wie die Reinkarnation Josef von Sternbergs. Sicher muss man einige Purzelbäume schlagen, um dies darzulegen. Ich will es einmal versuchen und zitiere einen Abschnitt aus von Sternbergs Erinnerungen, und zwar aus dem Kapitel Licht, Bewegung, Ton: „Ein richtig eingesetztes Bündel weißen Lichts kann weit wirkungsvoller sein als alle Farben der Welt, wenn man sie kritiklos benutzt. Die riesige Skala von Schwarz bis Weiß mit allen ihren Varianten kann alle visuellen Dramen hervorbringen. Aber die größte Kunst der Filmphotographie ist es, dem toten Raum zwischen dem Objektiv und dem, worauf das Objektiv gerichtet ist, Leben einzuhauchen. Rauch und Regen, Nebel, Dunst und Dampf können leeren Raum mit Gefühlswerten füllen.“

Jean Seberg, gespiegelt © Gregor Hildebrandt

Zumindest ist Gregor Hildebrandt bei Josef von Sternberg und den anderen großen Meistern des Glamours und des Schwarz-Weiß-Films in die Leere gegangen, denn die glanzvollen Photographien und die langsame Bewegung der Kamera hat er studiert, und dass die Größe des Formates eine mehr als entscheidende ist, beweisen seine Bilder stets. Also ist er ein Regisseur und seine starren Bilder sind gleichzeitig und gleichsam bewegte wie bewegende Bilder. Wohlgemerkt vermögen seine Vorhänge aus Zelluloid auch leise zu rauschen. Sie sind der Schatten der Spiegelung.

           Vulgärimpressionismus

   Trifft ein Mann eine Frau in der Bar
und gibt sich als Künstler aus.

   „Suppendosen oder Sonnenuntergänge?“,
 fragt sie lakonisch.

   Kein Scheiß, echt!
Das hab ich jetzt nicht erfunden,
weil´s so gut passt.

   Die Szene ist aus einem der letzten Filme
von Jacques-`Out oft he Past´-Touneur
Nightfall, eine ganz große Geschichte.
Ein Mann in einem Hotelzimmer
wartet auf die Schneeschmelze und auf
die Typen, die hinter ihm her sind.

   Von dem Apartment gegenüber wird er 
mit einem Feldstecher beobachtet.
Die Rückblende enthüllt merkwürdige
Ereignisse, eine ausweglose Situation,
 ein Geisterhaus, aus dem es kein Entrinnen gibt.
   So ist das Leben,
 das ganze Leben

ROSIN – Spring 20. Wie durch einen grau schillernden, trüben Spiegel, wie durch Wasserglas dem klaren Blick entzogen, sehen wir das Mädchen … wie ein einsamer schwarzer Engel erscheint es uns. 

I walk through the park in the evening / Groups on the grass, teenagers
drinking / Post-quarantine excitement / They drink like there is no fucking
virus  / Self-love is a practice / Dont know whene I stopped it / Wishing I 

was going to somewhere / Wishing I was going somewhere else / I looke 
to the ground if someone passes / I don´t want to see my sadeness / Self-love

is a practice / Don´t know when I stopped it / Suddenly I feel so old / 
Suddenly I feel so alone / Suddenly  I feel so cold / Suddenly I feel so alone /
Suddenly I feel so old / Suddenly I feel so alone / Suddenly I feel so cold /

Suddenly I feel so alone.

 Auf der rechten Seite nun erscheint das Mädchen singend und das gebrochene Licht des Spiegels erlischt. Links das Mädchen abgewandt, doch klar, schillernd in differenzierten Grautönen. Ihr Schatten erscheint wie ein Hauch in schmutzigem Weiß. Wir sehen bewegte Bilder, im rhythmischen Wechsel dem Gesang folgend, hell, dann dunkel, in unzähligen Grautönen. Bis Flocken, Sterne, helle Schnipsel vom Himmel regnen. Die Bilder aufwühlen. Zum nahen Ende sehen wir das Mädchen auf der linken Hälfte frontal im grautrüben Spiegel, auf der rechten Hälfte halb abgewendet, ohne Schatten. Dann kommt das Ende vom Lied und es wird schwarz.

   Hätte ich das Video irgendwann, zufällig und nicht bewusst und von Gregor Hildebrandt darauf hingewiesen, gesehen, nie wären mir Verbindungen, Entsprechungen aufgefallen. Aber so …? Phantastisch, einfach genial. Und ich verstehe den Stolz des Vaters, denn Rosin ist Gregors Tochter.

Gregor Hildebrandt: „Eurydike (Marie Dea)“, 2013 
Lasergravur auf Granit, 72.25 x 92 cm, Courtesy of the artist and Almine Rech    

Noir. Quecksilber. Ich mag sie immer noch. Die frühen Bilder. Die frühen Arbeiten. 2001. Nicht ganz perfekt, gleichsam homemade, etwas ruppig. Tönende Jugend. Eine Wandbildausstellung im Atelier Jenny Rosemeyers. The Weepingsong (Nick Cave). I am Deranged (Lost Highway). Alle 2001. Mittlerweile gelingt es Gregor Hildebrandt mit großer Raffinesse aus seinen Materialien so gut wie alles herauszuholen, dass das entstehen kann, was ihm vorschwebt. So zum Beispiel Tapebänder soweit auszubleichen, dass ein Traum entsteht, der die gleiche Vorstellung suggeriert wie Jean Cocteaus Quecksilber-Versuch. Lost Highway. OrphéeDavid Lynch wird gerne als der Schöpfer des Psycho-Noir gesehen. Dann ist Gregor Hildebrand der Maler des Traum-Noir. Seine Arbeiten ziehen uns in diese Zwischenwelt aus Wunsch und Erinnerung, aus Traum und Erfahrung.

 L´Ange/Heurtebise: „D´abord les mains! Auriez – vous peur?“
Le Poète/Orphée: „Non! Mais cette glace est une glace et j´y vois un homme
malheureux.“
L´Ange/Heurtebise: „Il ne s´agit pas de comprendre, il s´agit de croire.“

Der Traum des Menschen ist auch immer geboren aus der Sehnsucht, die schrecklichsten menschlichen Eigenschaften, die Strahlenkreise der Leidenschaft, zu einer Melancholie der Vollendung zu führen, und die Orte, „wo man sich ruinieren, wo man verrückt werden und Verbrechen begehen kann“, in einem heiteren Licht der Farben, wie in einem fernen Meer, zu ertränken.

   Sind wir wirklich das, was andere in uns sehen? Schönheit und Kälte. Geheimnis und Entschlossenheit. Sind wir nicht vor allem das, was wir sein wollen. Denn dafür leben wir doch, und dieses Streben ist die Freiheit kein Objekt zu sein. Und der geheimnisvolle Glanz? Du musst wissen, auf welcher Seite des Traums du stehst.

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Anmerkungen:

„Als ginge es jeden Augenblich darum, zu lieben oder zu sterben“ ist ein verkürztes Zitat nach Jean-Luc Godard aus dem Text „Verteidigung und Darlegung der klassischen Einstellungsfolge.“

Nat Tate hat es in Wirklichkeit nie gegeben; er ist die geniale Erfindung des englischen Schriftstellers William Boyd.

Karl Otto Götz, Maler und Dichter, geboren 1914 in Aachen, gestorben 2017 in Niederbreitbach, war der Lehrer u. a. von H. A. Schult, Sigmar Polke, Gerhard Richter, Gotthard Graubner und last not least Friedemann Hahn.

Bern-Otto ist Bernd-Otto Niederstrasser (1943 – 1992), war ein deutscher Dichter und Antiquar, gründete 1972 mit Martin Lang und Friedemann Hahn das Bette Davis Institut Freiburg.

Johannes Lotz ist ein deutscher Maler und Musiker.

Rosin ist Greta Rosina. Einmal fuhr Greta in Berlin auf ihrem Fahrrad an mir vorbei, winkte und rief: „Hallo, Herr Hahn!“ Ich erinnere mich gerne an diese Szene. 

Jenny Rosemeyer ist eine deutsche Künstlerin.

Klaus Hoffman war ein deutscher Autor und Kurator, Forscher und Entdecker. 1934 – 2004.

Das Zitat mit den Orten „wo man sich ruinieren, wo man verrückt werden und Verbrechen begehen kann“ stammt von Vincent van Gogh.

Alicja Kwade ist eine deutsche Künstlerin polnischer Herkunft; sie hat ihren Traum verwirklicht, zeigt ihre Ideen, ihre Kunst von Horizont zu Horizont und darüber hinaus bis ans Ende der Welt.

Horatio Asta Elis ist ein leidenschaftlicher ICE-Forsher aus Berlin.

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In Erinnerung Käpt´n, 19. April 2021. In Erinnerung Freiburg, 5. Dezember 1978. Diesen markanten Daten, die für uns für tief einschneidende Ereignisse stehen, haben wir – Doris und ich – mit einer spontanen Atelier-Ausstellung, wie auch mit einem Besuch im Ristorante Milano (`Fileto Mafioso´ und `Pollo alla Romana´ – original Italienische Küche, für Schleswiger Verhältnisse ein rarer Lichtblick) gewürdigt.

Jean Harlow und Franchot Tone. 1973 © Friedemann Hahn

Gedichte können wie Bilder sein. Wortbilder. Mit Worten malen. Auch das kann eine Aufgabe des Malers sein.

           Ein Blutbad und Melancholie

    1

Erinnerst du dich Jayne an jenen prachtvollen Tag 
vor der Küste von Cannes?
An die Schönheit des Augenblicks, als wir in kühnem Sprung
das Wasser teilten 
und unsere nackten Körper sich in viele kleine silberne 
Schlangen auflösten 
wie ein Sternenteppich im Meer.

Ja es war prächtig
dich unter der prallen Sonne 
an der Reling stehen zu sehen in deinen steilen Pumps
deinem tadellos sitzenden Höschen.
Ach, dein hautenger Pulli und das kecke Kapitänsmützchen!
Ja, es macht so ein sanftes Gefühl 
und macht mich melancholisch.
Waren es die aufreizenden Zurufe
die dir von dem elegant vorübergleitenden Motorboot 
zugeworfen wurden
waren es die Kerle in der Matrosenkluft?
oder kam es dir einfach so in den Sinn
unter Deck zu gehen und deine synthetischen Brüste
hervorzuholen und still in den Händen zu halten
während Paul gegen den Mast gelehnt
sich eine Kugel durch den Kopf schoss?
oder dachtest du etwa an Bobby
wie er vergiftet in jenem schäbigen
Motel in Frisco zusammenbrach – damals …
… damals – während du unbekleidet
den Werbespots im Fernsehen zusahst?

Doris mit den Hunden Lenau und Möppi, 1976; Friedemann Hahn, 4 Polaroids

2

Es ist abends spät in Freiburg
ein paar Tage vor seinem zwanzigsten Todestag
der Schnee lässt sich nicht lumpen und wir scheuchen unsere
Köter an der dreckigen Dreisam entlang
stimmt Krebs heiter wie Muschelsuppe frage ich mich
oder traurig wie Langnese-Eiscreme?
Ach was Bogie alter Junge Magenkrebs ist so langweilig wie
die Titten der Ekberg wie meine trüben Augen morgens
mittags abends hin- und hergerissen zwischen dem süßen
Pudding Normalität und der erregenden Hoffnung
das Leben in einem chinesischen Nachtclub ans Opium
oder die 45er eines eifersüchtigen schlitzäugigen Engelchens
zu verlieren das ist schon in Ordnung wirklich
in Ordnung spätestens
in einer halben Stunde haben sich die Hunde ausgepisst und
ich werde mit Doris eine Platte auflegen
und wir werden das Martyre de Saint Sébastien hören 
das sie mir kürzlich schenkte weil ich es brauche
wie ihre Liebe und Pinot d´Alsace da werden ihre Augen
zu Glitzerschnee und ihr Haar wird zu Rauschgold und
hieße ich Howard Hughs bedeckte ich den enttäuschten Leib
mit einem Hemdchen aus Tigerfellimitation
und spulte immer wieder dieselben Filme ab unzählige Male
und würde an Jean Harlow denken
und an die Gardner – Ava – und – ausgezeichnet! – an gefährliche
Augenblicke der Einsamkeit unter dem Himmel Amerikas
Ich würde ein Badezimmer vollpissen ohne ein einziges Mal abzuziehen
die Leidenschaft hat versagt
ach Hollywood du goldäugige Leiche weinst
und lachst und fickst und stirbst
in unendlichen Rollen Zelluloids funkst durch mein Hirn
und die entferntesten Sphären des Universums
ohne Hoffnung auf Erlösung.
Ich habe mir die Liebe eines Engelchens 
wie Marylin oder Lana Turner gewünscht aber 
was heißt schon Liebe bei einer dummen Gans
„… was sagt der Mensch dazu? Es ist schon wieder Tag.“ 
und: „Kommen Sie mal wieder vorbei, dann 
erzählen Sie mir Ihre Geschichte.“
Die Vorstellung vollgestopft mit Koks und Whiskey unter
Kalifornischen Palmen langsam
dahinzusterben (und selbst auf dem Totenbett 
in voller Kriegsbemalung) lähmt mich
wie die Blumen der Angst
mein Leben wäre ohne den Zauber dieser kostbaren
Filmprojektionen.

  3

Es ist wieder Nacht geworden 
und unzählige Sterne leuchten ohne Technicolor
in ganz natürlichem Licht über dir und mir 
und über Hollywood und den Gräbern der Unsterblichen
und ich wundere mich nicht wie sich mir der Sternenhimmel
entfremdet und die Vorstellung von ihm zu einem Gefühl wird.
„Als ginge es jeden Augenblick darum zu lieben 
oder zu sterben

Dies ist so ein Gedicht, übervoll mit ekstatischer Wahrheit. Geschrieben für Doris 1976/78. In Freiburg im Breisgau, Baslerstrasse Nr. 18, mit Blick auf den nahen River Dreisam.

Jetzt sind wir also am Ende. Doch so sollte es nicht sein, ein Ende mit Verbrechen und Ruin. Also besser, wir sind am Anfang. Das gefällt mir, denn dann können wir weitermachen. Denn wo bliebe sonst der geheimnisvolle Glanz? Wir dürfen ihn nie vergessen. Wir müssen ihm eine Chance geben. Wir müssen das Licht sehen, überall, und nicht erst morgen.

Erinnerung und Ausblick. Die Begleiter des langen Jahres (die ewigen und die aktuellen)/Auswahl

Klaus Theweleit Männerphantasien 1. Frauen, Fluten, Körper, Geschichte

                           Männerphantasien 2. Männerkörper zur Psychoanalyse des          weißen Terrors (Ausg. Verlag Roter Stern, Frankfurt am Main 1977/1978

Klaus Theweleit Die Erfindung des Vokalalphabets auf See, die Entstehung des Unbewussten und der Blues (Ausg. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2023)

Frank Göhre Die Kiez-Trilogie 1. Der Schrei des Schmetterlings 

2. Der Tod des Samurai 

3. Der Tanz des Skorpions (Ausg. Verlag Pendragon, Bielefeld 2011)

Harro von Senger Strategeme – Anleitung zum Überleben (Ausg. Verlag Deutscher Taschenbuch/dtv, München 1996)

Kai Arima Das Mal der Bestie (Ausg. Verlag LUZIFER, Cyprus 2022)

Leonard Schrader Der Yakuza ( Ausg. Verlag Alexander, Berlin 2008)

Koike und Kamimura Lady Snowblood 1. Kind der Rache 

                                    Lady Snowblood 2. Karma (Ausg. Verlag Carlsen Comics, Hamburg 2006)

Yukio Mishima Unter dem Sturmgott (Ausg. Verlag Goldmann, München 1988)

Masuji Ibuse Schwarzer Regen (Ausg. Verlag Aufbau/AtV, Berlin 1995)

Hans Hahn: Wintermorgen im Löffeltal. 1963, Pastell/Papier, 40 x 58 cm

Look Back in Anger: Nein, das werde ich nicht! Heute ist der 21. Dezember. Erinnert sei an die Toten, erinnert sei an meinen Vater, den Maler Hans Hahn (1916 – 1989), der heute Geburtstag gefeiert hätte mit 106 Jahren und Georg Stefan Troller (den 101-Jährigen) übertrumpft hätte heute, an Alter sicher, an Lebenserfahrung …? Naja, darüber muss ich mir – Gott lob – nicht den Kopf zerbrechen, sein Leben ist anders verlaufen, anders als das eines gedankenschweren und wortgewaltigen jüdischen Buben aus Wien, in jener dunklen Zeit, doch auch sein Leben war geprägt vom Krieg, und was alles damit so zusammenhing (zu meinem Vater: s. a. Ausstellungskatalog: Foresta Nera. Vom Dunkeln und Einsamen oder wie man sich Leid, Schweiß und Wahnsinn erspart, MNK Freiburg im Breisgau 2021), jeder hat seine eigene glaubwürdige Geschichte; doch auch mein Vater hat seinen Beitrag geleistet zum Leben und für die, die es sehen wollten. Er hat Bilder gemalt von menschenleeren Landschaften, immer wieder, ein Leben lang. Immerhin waren es seine Bilder, die die damalige Leiterin des Schwarzwälder Skimuseums in Hinterzarten auf die Idee brachten, dass in einem Skimuseum auch Kunstausstellungen verwirklicht werden konnten. 

Weihnachten 1972 (das ist jetzt 50 Jahre her) feierte Bob Hope (Komiker, 1903 – 2003) – wer noch alles dabei war, bei der Truppenbetreuung, erspar ich uns, aber für die Jungs dort war´s okay … das ist schon okay – sein letztes christmas special (ganz große Show) in Vietnam … I´m dreaming of a white christmas, / Just like the ones I used to know / Where the treetops glisten and children listen 7 To hear steight belis in the snow /// I´m dreaming of a white christmas, / With every christmas card I write / May your days be merry and bright, / And may all your Christmases be white. Blick zurück oder voran: Was soll´s, wenn es keiner merkt, was er sieht, weil er es nicht erkennt (oder der König fährt eine andere Strecke, oder er kommt gar nicht an, das Benzin war alle, oder er hat´s einfach nicht gewusst). 

Roi du Belges. 1996, Öl/Lwd., 80 x 70 cm © Friedemann Hahn

Roi du Belges. 1996, Öl/Lwd., 80 x 70 cm. 2008 hatte die eben erwähnte Museumsleiterin die Eingebung – sie kannte dieses grüne Bild mit Blau von mir –, anlässlich eines hohen Besuches im Dorf (er war im einzigen `Internationalen Hotel´ der Gemeinde avisiert, im Skimuseum eine Ausstellung zu veranstalten und den Belgischen König einzuladen. Er kam auch tatsächlich ins Dorf, Albert II, gebürtig Prinz Albert Felix Humbert Theodor Christian Eugen Maria von Sachsen-Coburg (* 6. Juni 1934 auf Schloss Stuyvenberg zu Brüssel); er kam tatsächlich in Lederkluft, der 74jährige Monarch mit seinen Bodyguards, seiner Gang, alle im Lederzeug, schwere Maschinen, große Schwarzwaldfahrt usw.; dass er dann nicht ins Schwarzwälder Skimuseum gelangte, wo speziell für ihn eine Ausstellung arrangiert war (ich bin mir sicher, die Museumsleiterin hatte sich lediglich am Titel meines Bildes, eben Roi du Belge, aufgerichtet, ohne die tiefen Zusammenhänge ausgemacht zu haben, aber was für ein Zufall, und das Bild war bereit) … woran es lag letztendlich …? ich denke, eine Frage des Protokolls, vielleicht fehlender Kommunikation. 

Kongo und das Herz der Finsternis. Joseph Conrad und Kurtz. Apocalypse Now 1979 und Platoon 1986. Über `Die grünen Teufel´ … Schweigen und Schwamm drüber … ich liebe John Wayne. Roi Albert II. Was hätte er ins Gästebuch geschrieben, wenn überhaupt? Hätte er dieses eine schilfgrüne Bild mit der indigofarbenen Zeichnung, Ölfarbe nass in nass, der Roi du Belges, des Flussdampfers (den Kongo rauf und runter), Joseph Conrads erstes Kommando als Kapitän, erkannt, wahrgenommen, unter all den alten Skistiefel, Schneebrettern und Erinnerungsstücken an die Zeit des aufkommenden Skisports im Schwarzwald (in just der Zeit der Landnahme im fernen Afrika durch Leopold II) …? Zusammenhänge müssen nicht konstruiert werden, sie ergeben sich auch immer wieder zufällig, sie müssen nur gesehen werden. Einen Nachfahren des grausamen Königs hätte das kleine grüne Bild nachdenklich stimmen können. Das Bild hing. Es erfüllte seine Aufgabe. Ob es will oder nicht. Ein Bild hat keine Wahl. Ob ein Bild etwas bewirken kann? Wirkung zeigen, kann es alle Mal. Doch man muss sehen können, was in ihm steckt, in der Ölfarbe, hinter der Leinwand. Das Geheimnis der wahren Bilder. Bilder müssen eine Seele haben. Doch wer nicht sieht, was ist, hat schon verloren. 

  Georg Stefan Troller und Leonard Cohen (1934 – 2016). Der große Meister der barocken Lakonik fragt den großen Barden: „Was bedeutet das also für Sie, Jude sein?“ „Jude sein, das heißt Zeugnis ablegen, auserwählt sein zur Zeugenschaft, dass Gott vorhanden ist. Aber nicht, sich in die Brust werfen, weil angeblich 32 % aller Nobelpreisträger Juden wären. Vielleicht stimmt es, keine Ahnung. Aber dann muss man auch dazusetzen, dass 62 % aller großen Jazzkünstler Schwarze sind. Jedes Volk hat eben sein besonderes Genie.“ „Und wofür werden Sie einmal bekannt sein?“ Leonard, statt aller Antwort, klimpert auf der Gitarre, die er schon längst wie eine Geliebte an den Schoß gepresst hält. Singt probeweise seine tragische Ballade „The Captain“, immer nur von der eigenen methaphysischen Fragestellung erschüttert. (Und wofür er nicht weniger als 60 Strophen und fünf Melodien schrieb, die letzte als fast fröhlichen Country Song): Der Captain rief mich an sein Bett … … …

In Erinnerung Käpt´n, 19. April 2021. „O Captain! My Captain!“ Hiermit sei auch erinnert an Walt Whitman (1819 – 1892),  auch so eine Vaterfigur und an meine 2 „Ballad(s) pour un Chien.

  • Friedemann Hahn, Gut Falkenberg, Schleswig/Lürschau, 21. Dezember 2022 – Fortsetzung folgt.

     Siehe auch bei uns:
August Heuser über die Totenbilder von Friedemann Hahn
Friedemann Hahn: Meine Noir-Malerei 
Friedemann Hahn: Die wahren Bilder
Friedemann Hahn: Jahresrückblick 2021
Alf Mayer: Charakterporträt des Zuschauers im Film Noir – Friedemann Hahns „Bugsys Tod“ und „Black Dahlia“   
Alf Mayer: Schwärzer kann der Tann nicht sein. Über Friedemann Hahns Roman „Foresta Nera“        

                     

                                     

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