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Christoph Thoke: Blicke und Rückblicke
Warum bloss klettern Menschen auf Berge?
All diese Mühe. Und Gefahr auch. Nur um oben zu stehen, kurz zu verweilen, und dann wieder abzusteigen.
Oder ist es die Aussicht. Die Möglichkeit, den Blick schweifen zu lassen. Der weite Blick. Der freie Blick. Freiheit?
Nun was mich betrifft, so haben es mir die Blicke schon seit längerem angetan. Ich sammle sie. Ausblicke. Meine Google Datei zeigt mir Hunderte von Positionen, wo ich schon gewesen bin. Und mein Geist kann reisen. Sich erinnern,
sich verlieren.


Und ein kleine politische Einlassung muss dann auch noch sein an dieser Stelle. Ich für meinen Teil gehe davon aus, dass in meinem Land die Möglichkeit für freie, unverstellte Blicke weiter abnehmen wird, bis sie womöglich ganz verschwindet. So kennt meine Rheinhessenregion nur noch sechs Stellen, wo dies möglich ist. Die Windleute fordern eben Ihren Preis.
Nur wo war ich stehengeblieben?
Genau: die Magie des Blicks, des freien Schauens. Ja, und damit verbunden auch die Möglichkeit sich für einem Moment von sich selbst zu entfernen, seinen Obsessionen und Abgründen.
Und sich zu fokussieren. Auf die Frage: was treibt mich an? Gerade in diesen Zeiten, wo Corona wie ein sich ständig erneuernder Fluch auf unserem Leben liegt.

Und da fällt mir sofort ein Klassiker ein.
What makes Sammy run? Ein furioser, zynischer Blick auf das Filmgeschäft und Hollywood, aus dem Jahre 1941 und immer noch gültig. Unbedingt lesenwert auch wenn letztlich ungeklärt bleibt, warum Sammy zum Filmmogul aufsteigt.

Oder mein eigenes Filmtun? Ja, es fühlt sich schon gut an, wenn trotz zerbröselndem Filmsektor unser Berlinale-Winner THERE IS NO EVIL in 2021 seinen Weg um die Welt weiter fortsetzen konnte. Auf echten wie hybriden Festivals. Oder MY MOTHER’S GIRLFRIEND, ein von mir mitproduzierter kleiner bescheidener LGTBQ Titel aus Indien, der gerade überall sein Publikum findet.
Nur ich mag gerade nicht in die Zukunft schauen. Da wird mir bang ums Herz.
Lieber hätte ich einen Mutmacher. Etwas Aufbauendes.
Und es gibt es. Die Beispiele. Wie etwa mein longtime companion Alf, den kennt hier glaube ich jeder. Der hat mitten in die Corona-Katastrophe hinein zusammen mit zwei Freunden ein Kino eröffnet. Und der Laden läuft. Mit tollem Programm. Jetzt kann man sogar Stuhlpate werden. (Siehe auch hier im Jahresrückblick nebenan bei Alf Mayer, d. Red.)
Nur ist leider nicht jeder wie mein guter Freund. Ein anderer Bekannter, Schauspieler gerade noch von der CoronaSchüppe gesprungen, beklagt darüberhinaus den Verlust von Mutter und Vater. Und versteht die Welt nicht mehr, weiss selber nicht, warum er immer noch steht. STILL STANDING.
Ich gehe halt einfach weiter, sagt er. Wie Forrest Gump.
Ja, das trifft es auch für mich.
Immer weiter, und vielleicht ist ja da auch die kleine Vorfreude, dass ich auch wieder nächstes Jahr einen Jahresrückblick hier beitragen kann.
Bis dahin, Passt auf euch auf!
Christoph Thoke, Parttime Autor. Auch Filmermöglicher, Blickesammler und Flaneur sowie Berater für Erfolgsfragen und – Strategien THE RED CARPET FORMULA.
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Christopher Werth: Fünf kreative Vorsätze für 2022
Inspiriert von Peter Jacksons: The Beatles – Get Back

In 2021 konnte man weniger Reisen als sonst – aber dafür eine Zeitreise ins London von 1969 unternehmen. Herr der Ringe Regisseur Peter Jackson hat kilometerweise Filmmaterial aus den Get Back/Let it be Sessions der Beatles gesichtet und für uns zu einem spannenden Dreiteiler montiert.
Die Beatles haben Meilensteine in Sachen Kreativität gesetzt. Das Aufregende bei Get Back: hier sehen wir sie bei der Arbeit. Unrasiert, kettenrauchend, verkatert, mit Pickeln. Was war also ihr Geheimnis? Hier kommen fünf Anregungen, die alle Kreativen als gute Vorsätze mit ins Jahr 2022 nehmen können:
- Raus aus dem Rolls Royce:
Man muss aus dem Haus gehen, raus aus der Komfortzone, raus aus dem weißen Rolls Royce oder Mercedes und rein ins Studio. Jeden Tag in der Woche. Die Instrumente in die Hand nehmen, scharf stellen und dranbleiben. Jeden Tag gehen die Beatles ins Studio und schauen, was passiert. Bei jedem Kreativprozess ist Anfangen das Schwerste. Wenn aber schon mal der Körper in der richtigen Umgebung und Position ist, kann auch der Geist folgen. Auch im Home Office kann dieser Zustand mit ein paar Tricks erreicht werden. - Realistischer Größenwahn:
Die Beatles kommen hier mit nichts und ohne Vorbereitung ins Studio und wollen der ganzen Welt in ein paar Wochen ein neues Album, eine Show und einen Film präsentieren. Ohne den Ehrgeiz, den Willen und vor allem das Selbstvertrauen, das man auch in der Lage ist, etwas Großes zu schaffen, braucht man auch heute gar nicht erst anzufangen. - Vertrauen in sich und in die anderen:
Eigentlich hätte ich vier zerstrittene Egomanen erwartet. Aber hier sind vier enge Freunde zu sehen. Auch wenn es zwischendurch mal kracht – der künstlerische Respekt füreinander ist groß. Kreativität kann besonders da entstehen, wo man sich wohlfühlt, wo man von der Brillanz der anderen angesteckt wird. - Visionärer Pragmatismus:
Ursprünglich wollten die Beatles für ihr Get Back Projekt und den ersten Live-Auftritt seit drei Jahren zu einer ausgefallenen Location reisen, mindestens ein arabisches Amphitheater sollte es sein. Am Ende gehen sie einfach nur aufs Dach und spielen da. Genau wie später beim Abbey Road Cover. Das sollte ursprünglich im Himalaya geshootet werden – aber aus pragmatischen Gründen wählten sie den Zebrastreifen vor der Studio-Tür. Der Rest ist Geschichte. Learning: Spektakuläre Ideen sind immer gut – aber am Ende kommt es darauf an, dass auch wirklich etwas Konkretes umgesetzt wird. - Genie und Blödsinn:
Zu 80 Prozent wird hier herumgealbert. Sie covern Songs mit verstellten Stimmen, treten als Bauchredner auf, Lennon singt: Everybody had a hard-on. Aber plötzlich werden wir in dieser Doku zu Zeugen von Sternstunden der Musikgeschichte und es entstehen Songs wie Get Back oder Let it be wie aus dem Nichts. Humor ist ein Türöffner für Kreativität. Bei einem guten Witz prallen wie bei einer Idee zwei Dinge neu zusammen, wie man es nicht erwartet hätte. Spaß macht am Ende nur, was mit Spaß gemacht wird.
Christopher Werth, der bei uns die Kolumne „Playing Video Games“ schreibt und auch sonst exzellenten Geschmack hat, mit seinen Texten hier.
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David Whish-Wilson: Best of 21’
I’m a bit late to the party but after two friends gave me Otessa Moshfegh novels as presents earlier this year I’ve become an instant fan. I like her sharp wit and dark vision, as illustrated in both Eileen (2015) and the more recent My Year of Rest and Relaxation (2015).
Closer to home, I’ve also become a fan of Melbourne-based writer Laura Elizabeth Woollett, reading and enjoying this year, in order, The Love of a Bad Man (2016), the magnificent and epic Beautiful Revolutionary (2018), and finally the 2021 release The Newcomer (2021) a fearless crimey exploration of an unsympathetic character who’s surrounded by repugnant men.
I found Iain Ryan’s latest novel, The Spiral (2020) to be a brilliant and clever crime novel that in keeping with his earlier work, is characterised by evocative and fierce prose. Sara Foster’s The Hush (2021) is a disturbing YA dystopian novel that I also highly recommend, and especially paired with Melbourne-based writer Kate Mildenhall’s excellent second novel and equally dystopian The Mother Fault (2020).

Some debut’s that are worthy of mention include John Byron’s excellent and inventive crime novel, The Tribute (2021), and Ruth McIver’s deservedly much-lauded I Shot the Devil (2021). What both have in common is the fact that I can’t believe that they’re debuts – they are that accomplished. Three Fremantle Press stablemate writers that I also highly recommend are Alan Carter’s latest, Crocodile Tears (2021), Karen Herbert’s debut The River Mouth (2021), and the comic crime caper Fromage (2021) written by Sally Scott – only some of the terrific recent crime offerings of this small indy publisher.
After Evie Wyld won the Australian Stella Prize for her novel, The Bass Rock (2020), which I greatly enjoyed, I went back and reread her Miles Franklin Award-winning novel All the Birds, Singing (2013) which I enjoyed even more the second time round. I also loved the debut collection of interlinked stories by Tasmanian writer Robbie Arnott, Flames (2018), whose imagination, style and execution are extraordinary. One final recommendation is the debut collection of stories by Tasmanian Aboriginal writer Adam Thompson, Born into This (2021) – whose writing is tough, wise and very often acutely funny.
David Whish-Wilson lives in Fremantle/ Western Australia with his wife and three kids and is the author of True West (CrimeMag review here), of The Cove(CrimeMag review here) and some other fine novels, two of them shortlisted for the Ned Kelly Award for crime fiction. His first three Frank Swann novels are translated in Germany, published by Suhrkamp. Book 4 is titled Shore Leave. His non-fiction book Perth (2014) was shortlisted for the WA Premier’s Book Awards. Dave’s presence at CulturMag. His website.