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Brigitte Helbling
Als man wieder ins Museum konnte:
Entdeckungen, Wiederbegegnungen,
die beiden Jaguare aus 1639 (Jacob Gerritsz. Cuyp)
oder der Falke auf der Schildkröte (Unbekannt, Italien, um 1200).


Das war im Kunsthaus Zürich, im April.
Much beloved! Seit ich 15 bin.
Und neuerdings in Frage gestellt.

Unter anderem durch Hulda Zwinglis Instagram:
Für mich ein weiteres Highlight.
Jägerinnen, Sammlerinnen von weiblichem Kunstschaffen.
Die Stimmen darin: selbstbewusst, ungeduldig, unstillbar, neugierig.
Das auch: Ein Kollektiv, das sich gewitzt und klug zu schützen weiß.
Und gerade dadurch im Auge behält, was zählt.
(Jedenfalls für mich.)
Brigitte Helbling ist CulturMag-Mitarbeiterin und Autorin und schreibt seit zwei Jahrzehnten eine ganze Menge für Theater. Ihre Lecture Performance Die Mondmaschine von 2019 (inszeniert von Niklaus Helbling, mit Antonia Labs) tourt auch 2022 über die Bühnen, ebenso der „Revue-Hit“von 2021, Der neue Prinzenspiegel (mit Niklaus Helbling, Fabienne Hadorn, Barbara Terpoorten). 2022 erscheint ihr Roman Meine Schwiegermutter, der Mondmann und ich beim Verlag Rüffer und Rub. Ihr Text „Why I Write“ ist in unserem Verlust-Special DUE.
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Henny Hidden: Anne G.

Die Schriftstellerin Anne Goldmann ist am 11. Oktober 2021 gestorben. Ihr Tod hat mich sehr betroffen gemacht. Dabei hatten wir keine engere Beziehung. Bis auf ein paar E-Mail-Kontakte, die mit einem Interview zusammenhingen, habe ich sie nicht weiter kennengelernt, habe aber gemerkt, dass sie eine Autorin ist, die ihre Meinung zu vertreten wusste und nicht so leicht zu irritieren war.
Ich habe nie auf das Erscheinen ihrer Bücher gewartet, es hat sich gefügt, dass ich alle gelesen habe. Weil ich neugierig war. Ihre Figuren bisweilen fremd und dann doch sehr nah. Ich nahm mir vor, ihr letztes Buch zu besprechen, habe es verworfen, weil ich immer noch voller Hemmungen stecke, kritische Worte zu äußern. Das Buch ließ mich nicht los, ihre detailverliebte Figurenentwicklung faszinierte mich, und ich begann ein zweites Mal zu lesen. Und wusste dann, welche Richtung ich einschlagen musste, um ihre Lebensregeln zu erfassen. Mit ihrem gesellschaftskritischen Blick nimmt uns die Autorin zu einer Reise in unsere spätmoderne Welt mit.
Vorweg kann man Anne Goldmann als eine Schriftstellerin betrachten, die mit sehr viel Gründlichkeit ihre Protagonisten entwickelte und dabei viel Wert auf eine atmosphärische Dichte ihres Umfeldes legte. In all ihren Krimis zeigt sich, dass sie der Entwicklung der Figuren den größten Wert beimisst. Das hat mir immer gefallen. Ihr Krimi „Alle kleinen Tiere“, um den es hier geht, bewegt sich in einem geografischen Raum, in dem vier Personen versuchen, ihr Glück und ihre Freiheit zu finden. Das Konstrukt mutet wie eine Aufstellung an, drei Frauen und ein Mann bewegen sich aufeinander zu, stoßen sich ab und schaffen so neue Konstellationen. Bis auf eine Frau ist allen Figuren gemeinsam, dass sie als Außenseiter in der Gesellschaft angesehen werden.

Zum Krimi:
Zuerst lernen wir Rita kennen, eine junge Frau mit einer kognitiven Beeinträchtigung, die aus einem Missverständnis heraus auf ein Polizeirevier gebracht wird und anschließend in einer psychiatrischen Klinik landet. Rita lebt allein, arbeitet in einem Supermarkt und ihr größtes Problem besteht darin, eine Betreuerin an ihrer Seite zu haben, die ihr Leben misstrauisch beäugt, kontrolliert, Anweisungen gibt, die tief in die Privatsphäre reichen. Meistenteils hängt sie am Smartphone und interessiert sich wenig für ihren Schützling. Dabei ist Rita eine liebenswerte Person, getragen von einer optimistischen Einstellung, die den Menschen aufgeschlossen gegenübersteht und manches Mal auch Probleme kleinredet.
Ganz anders als Ela, die Rita ihn der Klinik kennenlernt. Rita will sich mit ihr anfreunden, stößt aber auf ihre Distanziertheit. Ela ist eine Frau, die weder Enge noch Stille ertragen kann. Sie nimmt Tabletten, um mit dem Leben zurechtzukommen. Eine Zeitlang lebte sie am untersten Rand der Gesellschaft. Durch Zufall wird ihr eine Stelle als Haushälterin angeboten. Daraus entwickelt sich die Chance ihres Lebens. Um sie zu nutzen, muss sie Bedrohungen aushalten und lernen, mit ihren Ängsten zu leben.
Tom ist in Ela verknallt, hat aber Hemmungen, seine Liebe zu offenbaren. Der Grund liegt in seiner Vergangenheit. Er verbrachte acht Monate in Untersuchungshaft, weil er von einem minderjährigen Mädchen fälschlich des sexuellen Missbrauchs bezichtigt wurde. Danach ist er arbeitslos, vermeidet Kontakte, besonders zu den Nachbarn. Meistens läuft er mit gesenktem Kopf herum, wenn er fremden Personen begegnet. In diesem Verhalten äußert sich die Angst, erkannt und gemobbt zu werden. Vor seinen Augen immer die Titelseiten großer Zeitungen, die einst die vermeintliche Tat in reißerischen Artikeln vermarktet hat.
Marisa ist eine junge Frau, die zu ihrer großen Freude eine Arbeitsstelle gefunden hat. Sie arbeitet im Büro einer Baufirma. Ihr Chef umschmeichelt sie und prophezeit ihr den großen Aufstieg, wenn sie sich gut einarbeitet. Mit Eifer stürzt sie sich in das neue Wohnprojekt, das die Firma entwickelt. Dazu kauft diese Grundstücke auf und Marisa will Ela und Tom bewegen, ihre Häuser zu verkaufen. Bald muss sie begreifen, dass ihr Chef und seine treuen Mitarbeiter nicht nur ihre Arbeiter ausbeuten, sondern auch durch mafiöse Strukturen Gelder unterschlagen. Gleichzeitig verliebt sie sich Marisa in einen Mann, der vorgibt, sie zu begehren. Tatsächlich will er mit seinem Werben Firmenwissen ausspähen, um sich bei einem Zweikampf einen Vorteil um ein begehrtes Haus zu verschaffen.
Zitate:
Tom: „Alle kleinen Tiere, dachte er, werden von den großen gefressen. Das war schon immer so.“ Marisa: „Wir machen mit, weil wir nie genügen und ständig zweifeln.“ Tom: „Die Welt ist leider brutal. Die Menschen spüren, wenn du schwach bist…. Und das nützen sie dann aus.“
Resümee:
Vier Personen, die ähnliche Erfahrungen teilen. Ihr Umfeld nehmen sie anders als ihre Mitmenschen wahr. Oft glaubt man ihren Darlegungen nicht. Sie fühlen sich als Einzelgänger. Sie leben in der festen Überzeugung, dass ihre Herkunft sie zu Ausgestoßenen macht. Sie fühlen sich stigmatisiert. Sie haben das Vertrauen verloren.
Die Schuldigen sitzen überall. In den Behörden, den Wirtschaftsunternehmen, den Medien. Sie lernen schmerzhaft die Mechanismen der Macht und die Möglichkeiten ihrer Kontrolle kennen. Sie verlieren das Vertrauen letztlich auch zu sich selbst. Ängste und Zweifel begleiten sie. Den Weg zurück in die Gesellschaft finden sie nicht oder nur mit Blessuren. Ihre Strategien bei der Bewältigung des Alltags gehen oft nicht auf. Sie fühlen sich einsam.
Die Bekämpfung der sozialen Ungleichheit stößt in der spätmodernen Gesellschaft an ihre strukturellen Grenzen. Damit werden gesellschaftliche Verhältnisse, so stabil sie noch erscheinen mögen, fragiler, und der allgemeine Glaubensverlust wird zur Zündschnur bei der Schwächung der sozialen Ordnung.
Ein sehr lebendiger, bewegender und interessanter Krimi. Ich werde Anne Goldmanns Bücher vermissen.
Anne Goldmann: Alle kleinen Tiere. Argument Verlag mit Ariadne, Mai 2021.
Henny Hidden gehört zu den „Mörderischen Schwestern“, ist eine aktive Bloggerin und informiert auf Die Krimilady mit ihren „KrimiMeldungen“ großflächig über aktuelle Besprechungen im Genre.
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Felix Hofmann: Erlösungs-Demagogie, Impf-Junkie-Euphorie
. . . und die immer noch scheißübermächtige Mutter Natur
Jetzt kommt die große Ernüchterung. Allerdings nur für diejenigen, die auf Ernüchterung noch Wert legen, was offensichtlich nur für eine Minderheit zutrifft. Wenn man den ohnehin schon seit Jahren wegen der sich täglich verschlechternden Umweltsituation verängstigten Leute nochmal doppelt Angst einjagt mit einem endlich wieder mal unwiderstehlichen Welt-Virus, wie es lange keins mehr gegeben hat, und dann monatelang durch schmierige Politiker und noch schmierigere Staatsmassenmedien gleichermaßen das Impfen mit kurz zuvor neuerfundenen, experimentellen, nicht zu Ende getesteten Inhaltsstoffen marktschreierisch als Befreiungs-Programm, als goldener Schuß, propagiert, dann kriegt man natürlich ein handfestes Ergebnis und vor allem: genau das gewollte – eine Massen-Hysterie allererster Güte.
Aber – reicht das aus? Angesichts des übergeordneten Befreiungs-Programms, nämlich den Planeten vom Menschen zu befreien, sind die bisherigen Anstrengungen, die Pandemie dafür zu nutzen, doch eher kläglich ausgefallen.
Ein bißchen was wurde immerhin erreicht. Lange Monate mit schrillen und immer schrilleren Prophezeiungen und richtig geilem Untergangsgeschrei. Die Leichenberge werden uns über den Kopf wachsen; die übrigbleibenden lebenden Leichen werden sich gegenseitig fertigmachen, denn man braucht ja immer einen Schuldigen, wenns schrill wird und der Untergang des Abendlandes naht. Die Einsicht kam quasi über Nacht: schuld sind die Ungeimpften. Endlich hatte man wieder ein Lebensziel, um der Langeweile des bloßen Erduldens der immer wiederkehrenden Anfälle von schlechter Laune dieser garstigen, uns aufgezwungenen Pflanzen-, Tier- und Krankheitserreger-Welt zu entgehen, von denen wir umzingelt sind; endlich hatte man einen ebenbürten Feind (und eben nicht mehr die ewig scheißübermächtige Natur, die sich auch noch als Mutter aufspielt), einen Feind in den eigenen Reihen, endlich wieder eine echte Energiequelle: der Wille, die sogenannten Impfgegner und Impfverweigerer fertigzumachen. Und die Energiequelle für die Attackierten? Ganz einfach: sich mit allen Waffen verteidigen, die bestens geeignet sind, größtmöglichen Krach zu machen, unübertreffliche Zerwürfnisse zu erzeugen und erstklassigen Ärger zu verbreiten; das Übliche eben: Verleumdungen, Drohungen, Aufmärsche, Verbotsübertretungen, Diffamierungen, Provokationen und Weltverschwörungschorgesänge. Genau wie beim Feind.
Leider sieht es so aus, als würde das demnächst zu Ende gehen, und man wird womöglich doch noch zu einem realistischen Umgang mit dem so wunderbar depressionsfördernd funktionierenden Virus finden. Schade, schade.
Aber vielleicht will ja gar niemand die Ernüchterung. Vielleicht entscheiden wir uns in unserer geliebten Lebenswelt-Hysterie lieber für eine Art Impf-Junkie-Programm. Man hätte es schon im Sommer wissen können, da man in Israel ehrlicher mit der eigenen Bevölkerung umgegangen ist und lustige Zahlen veröffentlich hat, die man in Europa, speziell in Deutsch-Österreich nicht haben wollte. Bei uns wurde die Erstimpfung (zwei Stiche im Abstand von wenigen Wochen) nicht als schlichtes medizinisches Angebot behandelt, auf dem Boden von Normalität also, sondern zum Erlösungsversprechen von geradezu religiösen Ausmaßen hochgejubelt. Wer sich impfen läßt, so die hinausposaunte Wunder-Botschaft, sei von da an wieder frei von den Problemen mit dem Welt-Virus. Dieser Schwachsinn (für Nachwuchs-Philosophen natürlich kein Schwachsinn sondern: staatlich doppelt eingeimpfter und anschließend auch noch geboosterter, ganz frischer Daseinsexistentialismus) wurde monatelang mit voll aufgedrehter Lautstärke verbreitet. Dann kam die unangenehm-doofe Nachricht, daß es nix wird mit dem goldenen Schuß, nix Befreiung von allen Pandemieproblemen durchs Massenimpfen . . . die Wirkung läßt nach . . . man muß erneut geimpft werden . . . zum dritten Mal . . . und die Wirkungszeit wird kürzer und kürzer . . . so kommt die 4. Impfung . . . dann die 5. (vorausgesetzt, man zählt dann noch weiter mit) . . . undsoweiter . . . und trotzdem kommt der Selbstzerstörungsprozeß der westlichen Dekadenz-Gesellschaften einfach nicht richtig vom Fleck. Mal gehts weiter, dann stockt es wieder. Dann kommt mal wieder irgend so ein aufgewärmtes Erlösungsversprechen, dann wieder dieser blöde Realismus. Und ich hatte doch inständig gehofft, daß die gut organisierte, mit industrieller Natur- und Klimazerstörung einst so vielversprechend begonnene und jetzt mit staatlicher Gesundheitszerstörung fortgesetzte finale Selbst-Annullierung der westlichen Welt beschleunigt würde durch diese großartige Pandemie und die (natürlich unweigerlich nachfolgenden) nächsten Pandemien. Man könnte – in einem neuen Denkansatz –den Vorgang so interpretieren: Die Natur zeigt uns freundlicherweise einen Weg, wie wir uns zum Verschwinden bringen können. Aber die Zerstörung der Völkergesundheit durch ein an jeder Einzel-Volksgesundheit vorgenommenem Gen-Experiment wurde von Anfang an durch ein zu amateurhaftes Management verdorben. Es ging alles viel zu holprig, viel zu langsam. Etwas mehr Professionalität beim Handhaben der Abschaffung des Menschen durch den Menschen hätte es ruhig sein dürfen. Vielleicht sollte man noch ein paar zusätzliche Schuldige finden als nur die Ungeimpften, zum Beispiel wieder mal die Schwulen, die Gitanos oder überhaupt alle Nichtarier, alle Seltsamreligiösen und sonstigen üblichen Verdächtigen, die schon oft als vorfabrizierte Opfer für die Bestrafungs- und Rache-Phantasien der geschlossenen Mehrheitsmeute herhalten mußten.
Also Leute, Hände weg von jeder Art von Ernüchterung, immer schön weiter impfen, oder auch nicht, immer schön weiter Schaden anrichten, in der Natur und im eigenen Körper, nicht aufhören, nicht nachlassen. Die Beschuldigungen müssen deutlich knalliger werden, die Aufstände größer und radikaler. Und an die Adresse der neuen Heimatschutz-Grünen: immer so weitermachen mit dem Phlegma beim Klima-, Umwelt- und Tierartenschutz. Nicht aufhören, nicht nachlassen. Das alles hilft enorm bei der Selbstauflösung der Menschenart.
Bis zum Jahr 2050, spätestens aber zum Ende des Jahrhunderts, muß Schluß sein mit der alles dominierenden Spezies Mensch, damit die anderen Tierchen besser weitermachen können; besser, das heißt: ohne uns. Folgen wir doch einfach dem Rat dieses klugen Mannes:
»Ich war ein radikaler Pessimist, der sich für die eigene Gattung schämte. Heute bin ich Optimist, aber nicht wegen uns Menschen. Unsere Spezies wird nicht überleben, wir haben auch kein Recht dazu. ( . . . ) Wir haben unseren Platz auf diesem Planeten verspielt. ( . . . ) Die Erde braucht uns nicht. Wenn wir von ihr verschwunden sind, wird sie sich von allein regenerieren.« [Sebastião Salgado / Interview — Süddeutsche Zeitung Magazin / Nr. 20 vom 21. Mai 2021 — Seite 18 / Interviewer: Sven Michaelsen]
Oder wir erfüllen die Hoffnung auf Selbstausrottung, wie der lakonische Joseph Conrad sie in einem Brief von 1899 geäußert hat:
»Der Mensch ist ein bösartiges Tier. Seine Bösartigkeit muß organisiert werden. Das Verbrechen ist eine notwendige Bedingung der organisierten Existenz. Die Gesellschaft ist ihrem Wesen nach kriminell, sonst würde sie nicht existieren. ( . . . ) Ich erhoffe die allgemeine Ausrottung.«
Felix Hofmann bei uns. Die Frist – sein Journal für kritisches Denken auf dem Onlinemagazin getidan hier.