Geschrieben am 22. November 2008 von für Crimemag, Porträts / Interviews

Zum Tode von Michael Crichton

There is no enough

Am 4. November 2008 ist Michael Crichton in Los Angeles gestorben. Der Romancier, Film- und Fernsehautor, Regisseur und Produzent wurde 66 Jahre alt. Die schnellen Nachrufe sind geschrieben, die einlässlicheren Würdigungen stehen noch aus. Wenn sie denn überhaupt noch kommen, denn Crichton war zwar ein Monument der „Populären Kultur“, aber auch wenig fassbar und trotz seiner Prominenz nur unscharf konturiert. Eine Würdigung von Thomas Wörtche.

Gesamtmediale Pakete

Die Liste seiner Megaerfolge ist mehr als beeindruckend: Von ihm stammen „Jurassic Park“ (1993) und das Sequel „The Lost World – Vergessene Welt“ (1995), er hat das Konzept von „Emergency Room“ erfunden – Crichton war summa cum laude-promovierter Arzt, auf seinen Klinik-Erfahrungen stützt sich die Serie.
„ER“ begründete die Weltkarriere von George Clooney, uns bescherte „ER“ seit 1994 eine Menge geklonter Krankenhaus-Serien, die zeitweise alle TV-Kanäle verstopften.

Crichton hat sich um die Beziehung der Geschlechter gekümmert – Disclosure (1994 verfilmt als „Enthüllung“ mit Demi Moore und Michael Douglas), und 1992 mit Nippon Connection (Verfilmung mit Sean Connery) die wirtschaftlichen Verflechtungen und vermeintlichen Abhängigkeiten der US-Ökonomie vom Boomland Japan warnend thematisiert. Er hat Wirbelstürme als Sensationsthema erkannt („Twister“, 1996) und spektakuläre Flugzeugabstürze (Airframe, 1996) rekonstruiert.
Spätestens mit Timeline (1999), eine Zeitreisestory ins Mittelalter, also die Welle der Historienthriller mitreitend, Prey (Beute, 2002) und State of Fear (Welt in Angst, 2004) verstanden sich seine Werke als „Wissenschaftsthriller“ mit provokativem Anspruch. Sein letzter Roman, Next (2007) polemisierte gegen den Missbrauch von Gen-Forschung.

Michael Crichton, so könnte man sagen, ist eine Art belletristisches Sensorium für Themen des Zeitgeistes, für die Dialektiken des „technischen Fortschritts“, die er massenkompatibel in gesamtmedialen Geschäftspaketen produziert. Und die dann zu höchst erfreulichen Umsatzzahlen führten, die ihm dennoch nie genug waren.

Es gibt einen Ausspruch von Crichton über Geld: „There is no enough“. Der perfekte Spruch für jemanden, dessen Wertewelt in den „Me-Decades“, also den 1980ern und 1990ern, verankert ist. Dass gerade die entfesselten 1990er, siehe die Ballung von Crichtons Erfolgen in dieser Zeit, sozusagen „seine“ Dekade waren, scheint klar zu sein. Seine Themen liegen irgendwo zwischen Spektakel („Jurassic Park“), die man mit einer gewissen Geschmeidigkeit zu einem wissenschaftlichen Anliegen („die Gefahr des Herumspielens mit der Schöpfung“) hin-interpretieren kann, und gesellschaftspolitischen Provokationen wider das juste milieu: Die sexuelle Belästigung in Disclosure geht nicht vom Mann aus, sondern von der Frau als Chefin. Crichton verdreht einfach den Anlass der Debatte.

Das las man nicht ungern, in interessierten Kreisen. Denn natürlich gab es eine völlig berechtigte Diskussion, genauer: zunächst einmal eine Thematisierung des Themas „Sexuelle Gewalt/Belästigung am Arbeitsplatz“ – mit Männern als Tätern und Frauen als Opfern und zwar statistisch überwältigend belegt.

Dass Crichton die Albernheiten des sich anschließenden, flächendeckend „Politisch-Korrekten“ zum Vorwand für seine schiefe Spiegelung nimmt, das ist ohne Zweifel clever und funktionierte prächtig. Die Essenz hingegen, die übrig bleibt, ist eher bitter.

Sex und Ökonomie

Ein ähnlich schlau-infames Prinzip hatte er schon in Nippon Connection (im Original: Rising Sun, 1992) durchgezogen. Es ist dies sein vermutlich „bester“ Roman, artig konstruiert und zumindest literatur-affin, was man von seinen anderen Büchern nicht immer sagen kann. Gleichzeitig ist der Roman aber auch ein Manifest von Crichtons Gedankenwelt, seiner „Denke“, salopp gesagt.

In Nippon Connection wird die amerikanische Ökonomie als Hure mit weit gespreizten Beinen dargestellt, an der sich der potentere Partner, nämlich Japan hemmungslos vergehen darf. So wie der Freier und auch der Konzernchef im Roman sich an der Edelhure vergehen. Die hat schließlich Freude an leicht deviantem Sex – sie steht auf Strangulationsspiele – und muss deswegen für solche Unsittlichkeiten mit dem Leben bezahlen. Der Mord als gerechte Strafe für sexuelle Autonomie. Und eben als Sinnbild. Amerika als Opfer einer überlegenen, wenn auch fremden Kultur, die man beim ersten Mal nicht radikal genug unterworfen hat. Japan hat die ökonomische Macht – und, das ist die „Moral“ des Buches, das darf nicht sein.

Diese Macht gebührt nämlich den Vereinigten Staaten von Amerika, und wie die USA diese Macht dann einsetzen möchte, ist nicht mehr das Thema von Crichton, sondern, Jahre später, das von George W. Bush.Also auch hier, wie bei Disclosure, steinharte Misogynie plus beinharter right-or-wrong-Patriotismus. Das ist der Stoff, aus dem Bestseller sind. Vor allem, weil diese Implikationen zwar manifest vorhanden sind, aber nicht oberflächlich erkennbar, sondern sozusagen erst langsam einsickern müssen.

Angriff der Nano-Partikel

Dazu hilft auch Crichtons wenig originelle, dafür aber erprobte Methode, seine Erzählschemata nach klassischen Mustern zu gestalten. Nippon Connection ist, neben all dem, was das Buch sonst noch ist, ein strukturkonservativer Sherlock-Holmes-Roman mit einem überlegenen Meisterdetektiv und seinem Doctor Watson. Das funktioniert so risikolos wie die Inszenierung in Prey (Beute), wo wildgewordene Nano-Partikel als Horde das Forschungslabor umschwirren. So wie im Hollywood-Western heulende Indianer oder dumme Mexikaner das eingeschlossen Fort oder The Alamo dümmlich umkreisen und Verluste satt kassieren. Die Forscher sind die Helden wie die Trapper und Soldaten, und nur der Opfertod der moralisch ambiguen Frau – der „Mutter“ des Nano-Projektes und seiner missratenen Brut – kann wieder für Ruhe sorgen. Das ist sehr komisch, wenn auch unfreiwillig.Auch hier gilt: Der Diskussionsanstoß – „wir müssen über Nano-Technologie reden“ – wird auf ein populäres, leicht staubiges und vor allem schon wieder misogynes Erzählmodell heruntergebrochen. Nur in den Diskurs wieder hinaufgehoben wird es nicht von Crichton. Das erledigen die Medien-Debatten um ein jedes seiner Bücher, die die Schlichtheit des Modells sozusagen mit „Substanz“ füllen und so diskutieren, als sei Crichton tatsächlich für den wissenschaftlichen Diskurs von Belang.

Vielleicht war es schon ein gewisses Anzeichen von Zynismus, der sich darauf verlassen kann, dass ein neues Crichton-Buch nach genau diesen Mustern immer ein Selbstgänger ist, als State of Fear, also der Roman über den von Umweltschützern angeblich lediglich herbeidiskurierte Klimawandel, die ganze Klima-Diskussion als ökoterroristische Machination und Intrige denunzierte. Komischerweise im engen Schulterschluss mit George W. Bushs problematischer Umweltpolitik. Da hat Crichton die Implikationen seiner Bücher schlicht offen an die Oberfläche blubbern lassen.Natürlich war Crichton nicht der Schriftsteller der NeoCons. Das wollte er vermutlich auch nie sein. Aber bei ihm kreuzte sich ökonomisches Gespür mit (gesellschafts-)politischen Positionen, die sich in den frühen 1980er formiert haben und vermutlich bis heute (oder wenn wir optimistisch sind: bis vorletzten Dienstag) fortdauern. Als multimediales Gesamtkonzept war Crichton wichtig und hoch instruktiv. Die meisten seiner 150-millionenfach verkauften Romane aber sind clevere, gut kalkulierte und sehr gewinnträchtige Gebrauchsanweisungen für die mediale Verwertung. Nach ästhetischen Maßstäben organisierter Text (also Literatur) ist das weniger. Aber das muss es ja, in dieser Logik, auch gar nicht sein.

Thomas Wörtche

Mehr Informationen finden Sie hier.