Geschrieben am 1. Dezember 2019 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2019

Zum Geschwister Scholl Preis an Ahmet Altan

Verleihung des Geschwister Scholl Preises, 2019 – Foto: Geschwister Scholl Preis

Ein Aufschrei, der aussteht

Wortmeldung von Peter Christian Hall

Am Sonntag, 24.November, hat um 19:00 Uhr im vollbesetzten Audimax der Münchner Universität eine würdige und ehrenwerte Kulturveranstaltung vor geladenen Gästen stattgefunden: die Verleihung des Geschwister Scholl Preises an den türkischen Schriftsteller und Journalisten  Ahmet Altan – in Abwesenheit, denn er sitzt, mal wieder oder immer noch,  unter absurden Anschuldigungen und nach einem skandalösen Urteil in einem türkischen Gefängnis, womöglich lebenslang. Ich hatte, als Gast einer privaten Geburtstagseinladung wegen in München, die Ehre, an dieser Veranstaltung des Geschwister-Scholl-Preises und des Landesverbandes Bayern des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels teilnehmen zu dürfen und habe im Nachhinein den beklemmenden Eindruck, mir sei in einem geradezu verniedlichend verharmlosenden Treffen lauter kultivierter und wohlerzogener Bildungsbürger mein lauter Aufschrei wilder Empörung in den Hals zurückgedrängt worden, zumal, wenn ich nur fünf Tage später in meiner Frühstückszeitung lese, die Bundeskanzlerin Angela Merkel habe während der Haushaltsrede  die Frage gestellt, ob wir die Türkei in der Nato halten wollten und sie umgehend wegen deren geostrategischen Bedeutung bejaht.

Die Münchner Universität ist der Ort, an dem die Namensgeber des Preises im Februar 1943 Flugblätter gegen das NS-Regime ausgelegt hatten und deswegen noch im gleichen Monat hingerichtet worden sind. Ahmet Altan wurde im Februar 2018 in der Türkei aufgrund einer Meinungsäußerung in einer Fernsehtalkshow zu lebenslanger Haft verurteilt (denn die Todesstrafe ist, gegen den Willen des regierenden Präsidenten Erdogan, abgeschafft). Ein höheres Gericht hat dieses Urteil im Juli 2019 zwar aufgehoben, woraufhin Altan Anfang November, nachdem seine Strafe im Revisionsverfahren auf etwas über zehn Jahre abgemildert worden war, für ein paar Tage freigelassen wurde, um dann, aufgrund eines neuen Haftbefehls einer unteren Instanz, erneut verhaftet zu werden.

Ahmet Altan hat im Gefängnis eine menschlich anrührende, herzergreifende Rede geschrieben, die seine Englisch-Übersetzerin Yasemin Çongar bei der Preisverleihung stellvertretend verlesen hat. Sie gipfelt in seiner Überzeugung, „dass die Literatur mächtiger ist als die Tyrannei“. Sein Buch, für das er den Preis erhalten hat, trägt den Titel „Ich werde die Welt nie wiedersehen. Texte aus dem Gefängnis“ (S. Fischer Verlag, Frankfurt 2018). Das gelassene Selbstbewusstsein seiner leidenschaftlichen Rede gegen Dummheit, Nationalismus, Militarismus und Hass beruht auf seinem Wissen, dass er als Schriftsteller die Kraft habe, mit seiner Stimme durch die Gefängnismauern zu dringen. Das ihm nun wahrlich zu gönnende Preisgeld von (doch eher mickrigen) 10.000E€ sei ihm von Herzen gegönnt. Aber unser aller angemessene Reaktion auf das, was ihm widerfahren ist und noch immer widerfährt, kann das meiner Ansicht nach unmöglich sein. Was mir, persönlich und kollektiv, fehlt, ist ein gellender, ein die Welt erreichender und selbst den türkischen Präsidialpopanz Erdogan erschreckender Aufschrei. Es kann doch nicht angehen, dass wir alle, sogar die Journalisten und die Juristen unseres so vorbildlich freien Landes es als gegeben hinnehmen, dass in einem so wunderbaren und von den Spuren der gemeinsamen antiken Kultur gesättigten Land wie der Türkei eine schlichte Meinungsäußerung zum Verbrechen erklärt und mit lebenslanger Haft geahndet wird; dass sich die Justiz durch die Missachtung der Urteile ranghöherer Gerichte lächerlich und zum Spielball politischer Machtinteressen macht; dass unserem Staat und also uns allen geostrategische Rücksichten wichtiger sind als die elementarsten Menschenrechte. Und ich finde, wir sollten es auch nicht schweigend hinnehmen, dass es offenbar in unserem freien Staat keine zivilgesellschaftliche Initiative der hier lebenden türkischen Mitbürger gibt, die ihre Stimme unmissverständlich und laut vernehmbar gegen so aberwitziges Unrecht erhebt, wie es der schmähliche gegenwärtige türkische Staat (dem sein Beschweigen des Genozids an den Armeniern und sein aktueller Krieg gegen die Kurden nie nachzusehen ist) gegen seine angesehensten, achtenswertesten und unersetzlichsten Bürger ausübt.

Der Preis für Ahmet Altan ist eine höchst zivilisierte, kulturell angemessene, überfällige Tat. Aber sie reicht, gerade angesichts der jungen Münchner Studenten, die ihr Leben für ihre freie Meinungsäußerung gegeben haben, bei weitem nicht aus, uns allen ein gutes Gewissen zu machen. Mir wäre, wie sehr ich Radau und Radikalität auch immer verabscheue, ein lauter Aufschrei aus unserer Gesellschaft angemessener erschienen. Schon die offene Aufforderung aller Teilnehmer an der Preisverleihung zum öffentlichen Protest hätte mir gutgetan. Das brav zelebrierte Kulturereignis für eine beschlossene Gesellschaft Gutmeinder und Gebildeter ist denn doch ums Entscheidende zu wenig.

Peter Christian Hall

Die Begründung der Jury hier. Ahmet Altans Dankesrede hier.

  • Ahmet Altan: Ich werde die Welt nie wiedersehen. Texte aus dem Gefängnis. Aus dem Türkischen von Ute Birgi-Knellessen. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2018. 176 Seiten, gebunden, 12 Euro. Verlagsinformationen.

Von Peter Christian Hall ist kürzlich erschienen: Grotesk. Der Vermittlungsmodus ‚falsches Zugleich‘. Textem Verlag, Hamburg 2019. 380 Seiten, 16 Euro. – Besprechung von Alf Mayer hier bei CulturMag.

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