Geschrieben am 11. Februar 2012 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Zoë Beck über Bezahlverlage

Im Netz kann jeder schwafeln, wie er will und sich für einen Dichter und Denker halten – kost‘ ja nix. Wenn man aber ein richtiges Buch (aus Papier und so) haben möchte, das aber kein seriöser Verlag nimmt, dann kann es teuer werden. Denn die sogenannten „Bezahlverlage“ warten nur auf ihre Opfer. Gut, dass Dr. Müller-Böhne Zoë Beck getroffen hat …

„Ich bezahl mir einen Bestseller“

Dr. Müller-Böhne, das ist mein Nachbar, er ist Richter und der Meinung, er hätte genug Stoff, um mindestens zehn Bücher zu schreiben, die dann auch alle Bestseller werden. Dr. Müller-Böhne sagt zu mir Dinge wie: „Wenn Sie mal Ideen brauchen, ich erzähl Ihnen was. Dürfen Sie alles verwenden. Schenk ich Ihnen.“ Und: „Sie müssen sich einfach mal von dem Jauch einladen lassen, dann verkaufen Sie richtig viele Bücher.“ Oft auch: „Haben Sie schon mal drüber nachgedacht, Ihre Bücher zu verfilmen? Das wäre doch bestimmt toll.“ Dr. Müller Böhne weiß nämlich genau, wie es geht. Und das bezieht sich auf alles.

Vermutlich merkt man mir heute mehr als sonst an, dass ich ein wenig, sagen wir mal, ungeduldig mit dem netten Herrn bin. Er sitzt nämlich mit einem breiten Grinsen in meinem Arbeitszimmer und legt mir seinen ersten Buchvertrag vor. Auf den er wahnsinnig stolz ist. Leider kann ich mich nicht so richtig für ihn freuen, und natürlich unterstellt er mir – Neid.

„Hätten Sie nicht gedacht, was? Das seh ich Ihnen doch an, dass Sie das nicht gedacht hätten.“

„Nein, es ist nur …“

„Ich hab doch immer gesagt, ich habe Stoff für zehn Bücher. Und die hier, die interessieren sich für mein ganzes Leben. Meine komplette Laufbahn. Alle meine Fälle, die ich verhandelt habe. Die haben gesagt: Herr Brown – das ist mein Künstlername, ich kann ja nicht unter meinem Namen so etwas schreiben, versteht sich – also, Herr Brown – ich nenne mich John G. Brown, das ist eine Mischung aus John Grisham und Dan Brown, so was fördert den Verkauf und erhöht den Wiedererkennungswert, haben die gesagt, und dass die Leute dann gleich wissen, womit sie es zu tun haben, nämlich mit Bestsellermaterial, jedenfalls, die haben also gesagt, Herr Brown, Sie kommen damit ganz groß raus. Ganz groß. Sie liegen voll im Trend, haben die gesagt. Wie der Schirach, Frau Beck. Kennen Sie den? Schirach? Von dem redet in zwei Jahren keiner mehr.“ Dr. Müller-Böhne strahlt mich an, aber ich kann mich immer noch nicht für ihn freuen.

Wie sag ich’s dem armen Mann?

„Wie ähm haben Sie denn Kontakt zu dem Verlag … also …  haben Sie eine Agentur?“

„Über einen Freund. Der schreibt da auch.“ Er nennt mir den Namen, und ich sehe schnell im Internet nach diesem Freund.

Ah ja.

Jemand muss es ihm sagen.

Ich muss es ihm sagen.

„Herr Dr. Müller-Böhne, ich fürchte, Ihr Freund ist entweder sehr schlecht informiert, oder er ist nicht wirklich Ihr Freund“, sage ich. „Sie zahlen ja dafür, dass Ihr Buch gedruckt wird.“

Er erklärt mir, dass alles mit rechten Dingen zugeht: Er zahlt den Lektor, er zahlt das Korrektorat, und er gibt was zum Druck dazu. Und der Verlag übernimmt Presse, Marketing und Vertrieb. Nun gehe ich mal davon aus, dass Dr. Müller-Böhne in der glücklichen Lage ist, keinen Kredit für dieses Projekt aufnehmen zu müssen, aber ich versuche, ihm so zart wie möglich klar zu machen, dass er nicht für das Verlegen seines Buches bezahlen sollte. Schon gar keine 5000 Euro.

Natürlich kann er das machen. Wenn er das unbedingt will. Verlage, die das unternehmerische Risiko komplett dem Autor überlassen, heißen im Englischen nicht umsonst vanity press. Und mal unter uns, eitel ist er schon, der Herr Dr. Müller-Böhne. Wie gesagt, leisten kann er es sich wohl auch. Nur hat man vergessen ihm zu sagen, dass Dinge wie Vertrieb, Presse und Marketing nicht wirklich stattfinden werden. Seine Bücher mögen eine ISBN-Nummer bekommen und über amazon.de zu beziehen sein, aber man wird sie in keiner einzigen Buchhandlung finden. Die Buchhandlungen werden sie nicht im Computer finden, weil sie nicht im Barsortiment gelistet sind. Und so weiter. Die Pressearbeit wird aus einer lapidaren Pressemeldung bestehen, die niemand abdruckt. Und Marketing – Entschuldigung, welches Marketing? Vielleicht versteht man unter Veranstaltungsmarketing die dem Autor gegenüber groß angepriesene „Buchpräsentation auf der Leipziger/Frankfurter Buchmesse“.

Nicht schön, gar nicht schön

Der Autor weiß zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass der Messestand seines Verlags auf einen Gullideckel passt und die Lesung auf dem Gang davor stattfinden wird, während sich desinteressierte Menschen genervt auf dem Weg von Wichtig zu Nochwichtiger vorbeischieben. Keiner wird stehenbleiben. Rechts und links von ihm werden andere stehen und mit zittriger Stimme ihre Gedichte/Lebensbeichten/Memoiren vortragen. Wer das einmal gesehen hat, weiß, dass das nicht schön ist. Die oft klingenden Namen der Verlage, die gerne mit „Verlag sucht Autoren“ werben, helfen da überhaupt nicht.

Ich denke, wenn man weiß, dass man keine Bücher verkaufen wird, dass man einen Teil der Auflage verschenken und den Rest auf dem Dachboden lagern wird, wenn man sich all dieser oben genannten Dinge bewusst ist, genug Geld auf dem Konto hat und sich trotzdem entscheidet, auf diese Art ein Buch zu machen – warum nicht? Dann ist man eben sein eigener Verleger. Keiner quatscht einem rein, keiner sagt: 900 Seiten über das Leben deiner Großmutter auf Plattdeutsch sind, äh, ein paar Seiten zu viel! Keiner sagt, dass ein anderer Titel hermuss oder wie das Cover auszusehen hat. Nein, man kann absolut und vollkommen rundum sein ganz, ganz eigenes Buch machen, mit Namen drauf und ISBN-Nummer. Hat keiner was dagegen. Der Verlag, der die Sache druckt, am allerwenigsten.

Das Problem fängt aber an, wenn mit den Sehnsüchten gespielt wird. Machen nicht alle dieser Druckkostenzuschuss- oder Bezahlverlage oder wie man sie nennen will. Viele sind da ganz offen und ehrlich. Es gibt auch andere Modelle, BoD, Selbstverlag, zum Beispiel. Kostet auch, aber der einzige, der einen dann anlügen kann, ist man selbst.

Große Versprechungen, große Erwartungen

Aber dann gibt es die Leute, die eben große Dinge versprechen. Ein Bekannter von mir ist Kulturredakteur bei einer Tageszeitung. Er bekommt die Bücher der Leute auf den Tisch, die in seiner Region leben und schreiben. Darunter war eine Dame, die ein Fantasy-Werk mit ca. 1000 Seiten verfasst hatte – für schlappe 7000 Euro Kosten ihrerseits. Man sagte ihr: Sie sind die nächste Rowling. Sie glaubte es. Man ermutigte sie, ein zweites Buch zu schreiben, um gleich richtig den Markt zu erobern. Der Weg in die Bestsellerliste sei steinig und – teuer, hieß es. Die Frau nahm einen Kredit über 20.000 Euro auf. Jetzt sitzt sie mit jeweils 500 Exemplaren ihrer beiden Bücher zu Hause (gedruckt worden waren angeblich 2000, aber dann gab es diesen „Wasserschaden“ im Verlagslager, oder war es ein „Brand“?) und weiß nicht, wie sie die Schulden wieder loswerden soll. Mit Schreiben wird sie jedenfalls kein Geld verdienen, das weiß sie jetzt.

(Namen und Orte werden nicht genannt, ich lass mich doch nicht verklagen.)

Eine andere Sache, die seit einer Weile immer beliebter wird: Da viele Autorenverbände nur Neumitglieder aufnehmen, die bei richtigen Verlagen publizieren, und da bei vielen Literaturpreisen nur ebensolche Bücher gewertet werden, stellen einige Verlage Verträge aus, in denen von den Kosten nicht die Rede ist. Nur von der Vergütung, die der Autor zu erwarten hat. Diese Verträge sind dazu da, sie bei diesen Verbänden, Jurys etc. vorzulegen, falls Fragen auftauchen. Es gibt eine zweite Vereinbarung, die nur der Autor zu sehen bekommt. Was dieser bis ins Grab leugnen wird, klar. Und da sind wir dann bei dem Punkt: Es gehören immer zwei dazu, einen Vertrag zu unterschreiben. Kein Mensch zwingt Dr. Müller-Böhne mit vorgehaltener Pistole, sein Manuskript zu einem solchen Verlag zu schleppen und dann blind den Vertrag zu unterschreiben. Der Mann ist Jurist. Und allen anderen Autoren würde ich auch mal unterstellen, dass sie schon lesen können. Aber an Müller-Böhne sehe ich, wie der Verstand gerne mal aussetzt, wenn irgendwo jemand mit Ruhm, Ehre und Bestsellerlisten winkt. Mit falschen Versprechungen, die große Hoffnungsseifenblasen entstehen lassen. Der Traum, ein selbst geschriebenes Buch in den Händen zu halten, auf Partys sagen zu können, man sei „Schriftsteller“, ist offenbar auch dann nicht totzukriegen, wenn dafür das Konto geplündert werden soll.

Ooch …

Was einem ja keiner sagt: Die ganze scheiß Arbeit mit so einem Buch fängt erst an, wenn das Manuskript fertig ist. Dazu braucht man Leute, die sich damit auskennen, und eine funktionierende Maschinerie, die sich Verlag nennt. Die Verlage, die ihren Autoren Geld dafür geben, dass sie es mit seinem Manuskript versuchen, haben normalerweise auch Leute, die sich damit auskennen, und eine solche Maschinerie. Marketing, Vertrieb, PR. Key Accounter für die großen Ketten. All diese Dinge, die die „Verlag sucht Autoren“-Verlage nicht haben. Ehrlich nicht.

Dr. Müller-Böhne macht ein langes Gesicht. Er zeigt mir traurig das Werk seines Freundes, der ihm den Verlag empfohlen hat: ein billiges Taschenbuch, das für 20,40 Euro verkauft werden soll. Ich sage jetzt nichts mehr.

„Ich versuch’s dann wohl noch mal woanders“, sagt er.

„Wäre eine Überlegung“, sage ich.

„Vielleicht schicke ich es zu Suhrkamp.“

Ich huste ein bisschen.

„Sagen Sie mal, kennen Sie jemanden bei Suhrkamp?“

„Nein“, sage ich, ohne nachzudenken. „Tut mir leid.“

„Aber … Sie könnten es doch mal bei Ihrem Verlag …?“

Momente, in denen man möchte, dass das Telefon klingelt oder eine Handgranate durchs Fenster fliegt. Von mir aus könnte auch ein Satellit vorm Haus abstürzen. Hauptsache, mein Nachbar würde keine Antwort mehr erwarten. Ich murmle etwas von „ganz schwierig“ und „besser Agentur suchen“ und schiebe ihn aus meiner Wohnung. Er lässt sich schieben, er ist nämlich immer noch ganz schlaff und geknickt, weil er nicht der neue Schirach wird.

Noch nicht. Wer weiß. Vielleicht nehmen sie ihn ja bei Suhrkamp, unseren John G. Brown.

PS

Allerdings bleibt als Post Scriptum die Überlegung, wie es den Bezahlverlagen ergehen wird, wenn Amazon als Verleger auftritt? Welche Konditionen werden sie wohl anbieten? Und wie viele Autoren haben sie schon verloren, weil für diese eine Publikation im e-book-Bereich einfach attraktiver ist?

Müller-Böhne hält nichts von e-books und solchem Kram, aber mir fällt nur auf, dass die Leute im Zug immer häufiger den e-reader in der Hand haben. Mal sehen, wie das in fünf Jahren ist. Ob dann noch „Verlag sucht Autoren“ als Werbeanzeige geschaltet wird.

Zoë Beck

Aktionsbündnis für faire Verlage. Zur Homepage von Zoë Beck.

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