Geschrieben am 17. März 2014 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Zoë Beck über Amazon und gute Alternativen

zoe_beck_porträtAch, Amazon – Teil 2

– Buchmesse Leipzig 2014, und ich werde zitiert mit „Find ich gut“, als es um Amazon Publishing geht. Nur lobende Worte hätte ich gefunden. Damit das so nicht hängen bleibt, braucht es den notwendigen Kontext.

Ich war zu der Diskussionsrunde „Words & Money“ geladen. Außer mir noch Georg M. Oswald (Berlin Verlag), Mathias Gatza (fiktion.cc) und John Mitchinson (Unbound). Wer nicht mitdiskutieren konnte, war Laurenz Bolliger, der für die Kindle Singles bei Amazon zuständig ist. Was wir sehr schade fanden. Was auch Laurenz Bolliger schade fand. Was den Moderator Andreas Platthaus wohl dazu veranlasste, das Thema Amazon auch ohne Herrn Bolliger auf die Bühne zu bringen. Also fragte er sinngemäß: Wie finden Sie es, dass Amazon nun auch als Verlag nach Deutschland kommt? Und ich sagte, sinngemäß: Warum nicht? Das war doch abzusehen. Es ist eine konsequente Entwicklung, ich finde sie nicht überraschend, und ich bin immer der Meinung, Konkurrenz belebt das Geschäft und macht wach, und genau das finde ich gut.

Ungefähr deshalb stand in der Zwischenüberschrift vom Hamburger Abendblatt, dass ich Amazon gut finde.

„Amazon macht den stationären Buchhandel kaputt“

Damals. Amazon fing an, Bücher zu verkaufen, im Internet. Die Haltung war anfangs so, wie sie oft ist: Tritt sich fest. Versendet sich. Morgen ist das schon wieder vorbei. Dadurch wurde eine Entwicklung verschlafen, und nicht nur um wenige Jahre, sondern Jahrzehnte. Und dadurch hat sich einiges in der Buchbranche verändert.

Amazon ist aber nicht allein daran schuld, dass die großen Ketten zurückbauen müssen. Thalia hat immer davon profitiert, in der Mischkalkulation mit den Douglasfilialen und was noch alles dranhing zu sein, was ja nun ins Wanken geraten ist. (Der Einstieg ins Payback-Programm und die Forderungen an die Verlage nach noch besseren Konditionen machen nicht wirklich optimistisch.) Hugendubel hat immer geschnauft, um mithalten zu können. Jetzt werden seit einigen Jahren schon die Filialen geschlossen oder verkleinert.

(„Das Onlinegeschäft macht uns alles kaputt, die fragen hier nach Büchern, und wenn sie nicht vorrätig sind, bestellen sie sie bei Amazon“, sagte eine Frau, die für eine dieser Ketten arbeitet, mal zu mir. Ich fragte: „Was ich nie verstanden habe – Sie haben einen Online-Shop. Warum sagen Sie dann nicht: Ich nehme die Bestellung für Sie auf, morgen schicken wir Ihnen das Buch zu?“ Jemand anderes von eben dieser Kette aus den höheren Etagen erklärte mir dann, dass über Jahre ein Kommunikationsproblem vorgelegen hätte. Diese Art Service sei nicht wirklich durchgedrungen. Aha. Ob das nun irgendetwas gerettet hätte, weiß ich natürlich nicht. Das nur zum Thema „Amazon macht alles kaputt, dabei haben wir immer alles richtig gemacht“.)

Dass kleine Buchhandlungen Probleme bekamen und schließen mussten, wurde anfangs immer gern auf die Ketten geschoben, bis man vor einiger Zeit sich dann doch lieber zusammentat, was den gemeinsamen Feind anging. Überleben werden die, die einen guten und direkten Draht zu ihrer Kundschaft haben und neben der ausführlichen Beratung auch die Aspekte der Bequemlichkeit bedienen.

(Letztens erst, kleine Buchhandlung, Mann will ein Buch, Verkäuferin sagt: „Muss ich bestellen.“ Er sagt: „Nee, dann Amazon.“ Ich sage: „Die hier haben auch einen Onlineshop.“ Verkäuferin sieht mich nachdenklich an, sagt dann dankbar: „Stimmt ja. Den haben wir.“ Mann sagt: „Oh, dann werde ich ab sofort jetzt über Sie bestellen.“ So geschehen im März 2014. Den Onlineshop hat die Buchhandlung schon sehr, sehr lang. Kann aber nicht richtig damit umgehen. Das ist doch irgendwie alles schade und ärgerlich.)

Die Abkehr von der Vielfalt

Irgendwie ist leider gar nicht mehr die Rede davon, wie die Ketten beispielsweise die inhaltlichen Schwerpunkte verändert haben. Wie sie die Fokussierung auf Genres, auf Kategorisierung von Literatur, auf Einsortierbarkeit in Regale gefördert haben. Wie sie die Verlage aktiv dazu aufriefen, Massenware und Einheitsbrei zu produzieren. Wie die Individualität der Schreibenden in den Hintergrund rückte, und die handwerklich brauchbar produzierte, gut verkäufliche, leicht vermarktbare Auftragsarbeit in den Vordergrund trat. Und ich meine dies hier bitte beschreibend, nicht wertend. Es kam zu Aussagen von Vertriebsseite wie „Auch wenn das ein gutes Buch ist, wo sollen es die Buchhändlerinnen denn hinstellen?“ über manche Bücher, und damit waren sie als Spitzentitel gestorben. Nur mal als Beispiel. Es kam zu Aussagen von Lektoratsseite wie „Wir brauchen etwas, das genauso ist wie Bestseller X“, und damit zogen die Literaturagenturen los, um sich bei ihren Autorinnen und Autoren zu erkundigen, wer Lust auf so etwas hätte. Auch hier wieder: Zustandsbeschreibung. Nicht Wertung. So habe ich es in den letzten Jahren erlebt. Es hat sich etwas verändert. Ich hatte nicht den Eindruck, dass diese Veränderungen durch Amazon kamen. Aber Amazon nutzt sie für sich.

Was Amazon kann

Amazon brachte ganz andere Veränderungen. Es ist schon lange eine großartige Suchmaschine, besonders für nicht mehr lieferbare Titel. Für fremdsprachige Texte. Für die Darstellung der Backlist der einzelnen AutorInnen. Die Bewertungen der Bücher durch die LeserInnen hat oft mehr Überzeugungskraft als eine Rezension in den Feuilletons, weil hier viele Stimmen zu finden sind, und sie sind (mit Ausnahmen) authentisch.

Amazon bot mit Kindle Direct Publishing noch mehr: Eine Heimat für all die hoffnungsvollen Menschen, die gern schreiben. Die keinen Verlag fanden und es selbst probieren wollten. Self-Publisher? Ein interessanter Markt. Amazon legte das Pfötchen drauf, erfolgreich. Warum ist das eigene Publizieren zu einer ernsthaften Alternative geworden? Wegen Amazon? Weil es so leicht geworden ist?

Nicht nur, nicht allein. Es hat auch damit zu tun, wie Verlage zum Teil mit ihren AutorInnen umgingen und umgehen. An dieser Stelle der Einwurf: Ich bin gern Verlagsautorin. Ich glaube daran, dass für mich ein Verlag eine gute Sache ist. Ich arbeite gern im Team. Aber ich habe auch das Glück, dass ich mit Heyne sehr gute Erfahrungen gemacht habe und immer noch mache. Das Problem war, dass die Taschenbuchprogramme immer größer wurden. Zu groß. Wie soll sich da die Presseabteilung, das Marketing, der Vertrieb, oder gar das Lektorat um jeden einzelnen Titel mit ganzer Kraft kümmern können? Es geht schlicht nicht, wenn bei gleicher Personalzahl sehr viel mehr Titel produziert werden. Das ist einfach so. Es geht auch nicht, dass bei so vielen Titeln alle Bücher zu Spitzentiteln werden. Es geht schon gar nicht, dass jedes einzelne publizierte Buch in jeder Buchhandlung exklusiv und prominent präsentiert wird. Oder auch nur auf Lager ist. Es geht nicht. Und jetzt formuliere ich das mal ganz vorsichtig: Dadurch bekamen viele AutorInnen das Gefühl, in den Verlagen nicht erwünscht zu sein. Füllmaterial für die großen Kataloge. Schreibvieh, sagte mal jemand. So wie das Publikum für Fernsehshows bei Bedarf aufgefüllt wird mit Menschen, die bereitwillig auf Kommando Beifall klatschen. Schwenkfutter, sagen Kameraleute dazu. Und ebenfalls vorsichtig formuliert: Der Verdacht kam auf, dass Verlage irgendwie vergessen hatten, wovon sie eigentlich leben, nämlich von: Büchern. Die von jemandem geschrieben werden. Von AutorInnen. Hat sich da die Blickrichtung geändert? Geht man davon aus, dass die Bücher Produkte der Verlage geworden sind insofern, als sie von den Programmleitungen in Auftrag gegeben werden? So also die Meinung vieler, die sich ungerecht behandelt fühlten.

Kindle Direct Publishing war für einige die Lösung, nicht für alle. Aber wie sieht es nun mit Amazon als Verlag aus, der LektorInnen stellt, sich um das Cover kümmert, einen starken Vertriebskanal bietet (möglich, dass die schwächelnden Buchhandlungen doch noch einlenken und sagen, sie nehmen die von Amazon verlegten Titel ins Programm), bessere Konditionen und – das Gefühl, ernst genommen zu werden?

Jetzt, da die Taschenbuchprogramme zurückgefahren werden, wollen doch die AutorInnen, die aussortiert werden, oder die keine Chance mehr haben, eine (neue) Heimat. Gerade für die Genretitel, die massenweise gelesen werden. Wo die literarische Qualität nicht unbedingt das wichtigste Merkmal ist, sondern eher der Plot. „Die Geister, die ich rief.“

Amazon hat via AmazonCrossing deutsche Titel auf den englischsprachigen Markt gebracht. Das ist den traditionellen Verlagen eher selten gelungen. Amazon bringt nun, wenn man sich die ersten Titel für das deutsche Programm anschaut, erfolgreiche Self-Publisher heraus. Dass das alles sehr attraktiv klingt – wen wundert das? Es gibt Marktlücken, Amazon besetzt sie, und – der Rest wundert sich?

Einmal durchrütteln

Amazon als Konzern ist mindestens mit Skepsis zu betrachten, wie alles, was eine Quasi-Monopolstellung hat. Es hat sich gezeigt, dass im Internet, trotz oder wegen der unendlichen Möglichkeiten, gern das Eine gewinnt. Ein Auktionshaus. Ein Schuhverkäufer (plus). Ein Buchhändler (plus). Eine Suchmaschine (plus). Und wer Profit machen will, ist selten Sozialpädagoge. Gerade in der Buchbranche tut das besonders weh, bedenkt man all die BuchhändlerInnen, die Kleinverlage, die AutorInnen und ÜbersetzerInnen, die für kleines Geld, oft kleinstes Geld, manchmal ohne Geld, manchmal nur dank Subventionierung, und immer mit großem Idealismus und unter Einsatz ihrer Gesundheit, der geistigen wie der körperlichen, ihre Jobs machen, weil ihre Arbeit eben ihr Leben ist. Da tut es doppelt und dreifach weh, wenn ein Konzern mit Geschäften auf deutschem Boden Steuervorteile durch den Sitz in Luxemburg hat. Dazu noch eifrig Daten sammelt. Ein in sich geschlossenes System baut. Den MitarbeiterInnen mit der Mentalität der Industrialisierung begegnet und damit ins 21. Jahrhundert einzieht.

Und alle rennen hin und kaufen dort.

Deshalb ist es grober Unfug zu denken, ich würde sagen: Toll, dass sich fast ein Monopol herausgebildet hat. Super, dass der Buchmarkt sich für uns AutorInnen gerade negativ entwickelt, die Vorschüsse sinken und die Auflagenzahlen purzeln. Warum sollte ich das sagen? Ich sage: Da tut jemand etwas, auf das ganz offenkundig viele gewartet haben. Und immer, wenn sich etwas dramatisch verändert, gibt es einen Ruck. Die einen stemmen sich gegen die Veränderung, bis sie keine Kraft mehr haben. Die anderen sagen: Hey, ich will nicht auf diesen Zug aufspringen, aber ich schau mir an, was da passiert und überlege, was das für mich bedeutet. Was kann ICH besser machen. Wo kann ICH ansetzen. Und ich denke, dass die Verlage genau das tun werden. Wenn Amazon einen Bereich besetzt, gibt es andere Bereiche, die unbesetzt bleiben. Wenn das erste Programm exemplarisch für die Ausrichtung ist, dann weiß ich, dass viel Raum für weitere Formen der Literatur bleibt, die Amazon möglicherweise (erst mal) nicht besetzen wird. *

Darf ich deshalb sagen: Gut, dass etwas passiert, dass Bewegung reinkommt? Gut, dass wir jetzt etwas haben, das endgültig wachrüttelt? Nein, „zu spät“ ist es nicht. Wofür denn? Dafür, gute Bücher zu machen? Überlegen wir uns lieber, wie wir mit Amazon umgehen. Und arbeiten wir weiter an guten Alternativen: log.os soll zu einer werden. Minimore ist für eine kleine, feine Auswahl bereits konzipiert worden. Sobooks folgt in Kürze. Sehr viel mehr ist im Entstehen. Und gute Verlagsalternativen wird es auch weiterhin in erfreulicher Bandbreite geben.

Zoë Beck

*Das elektronische Publizieren hat sich ja auch nicht als Untergang der Menschheit herausgestellt. Vielmehr als Bereicherung der Literatur mit der Renaissance vernachlässigter Formen und der Aufforderung, wieder mehr Experimente zu wagen.

Zoë Beck ist Autorin (zu ihrer Homepage geht es hier) und Verlegerin des Digitalverlags CulturBooks (mehr hier). Porträtfoto: © Victoria Tomaschko.

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