Geschrieben am 26. April 2014 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Zoë Beck: Von hängenden Latten und Werken aus dem luftleeren Raum

zoe_beck_porträt… nur ein Krimi?

– Iris Radisch findet im Interview mit Kulturzeit, man müsse die Latte bei Sibylle Lewitscharoffs „Killmousky“ etwas niedriger hängen, da es sich nur um einen Krimi handele. Nach all den gewichtigen Themen in den vergangenen Romanen gönne sich die Hochliteratin eine Entspannungsübung. Zoë Beck findet diese Haltung etwas zu entspannt.

Es gibt Gründe, warum sich sogenannte Hochliteraten beim „Wechsel in ein leichteres Genre schwer tun“. Der Grund ist nicht, dass es ihnen von wem auch immer „übel genommen“ wird, sondern dass Genreliteratur nicht per se eine leichtere Angelegenheit ist, weshalb man das Schreiben eines Kriminalromans nun auch nicht als „Entspannungsübung“ bezeichnen kann. (Ich setze hier so viele Anführungszeichen, weil ich Radisch zitiere.)

Ich sage das nicht, weil ich zufällig schon mal den ein- oder anderen Kriminalroman geschrieben habe und dabei unentspannt war, sondern weil ich mindestens ebenso zufällig weiß, dass Genrewechsel schwer sind, und ich weiß auch warum: Dazu muss erst einmal akzeptiert werden, dass das Schreiben von egal welcher Textsorte ein Handwerk ist, das Menschen mit unterschiedlichem Talent und unterschiedlichem Lernwillen unterschiedlich gut beherrschen. Um Genreliteratur zu schreiben, sollte man Genreregeln kennen. Um sie zu befolgen oder zu brechen, um Traditionen zu bedienen, mit ihnen zu spielen, was auch immer. Es hilft, sich auszukennen. Dinge zu unterschätzen ist immer schlecht und führt häufig dazu, dass man sich schwer tut/blamiert/verzettelt und am Ende grandios scheitert. (Fußnote: Das Scheitern wird dann allerdings, wie wir jetzt gelernt haben, als „Entspannungsübung“ deklariert.) Jeder Mensch, der einem handwerklichen Beruf nachgeht, kann das bestätigen.

Seltsamerweise ist das Schreiben von Geschichten etwas, von dem viele Menschen denken, es sei etwas Intuitives, das man eben mal so macht. Besonders das Schreiben von Geschichten, die man buchhandelsregalgerecht kategorisieren kann.

Der Krimi also. Ein putziges Ding, eine Entspannungsübung für den Hochliteraten (m/w). Nach schwergewichtigen Themen kann man beim Krimi endlich mal ein bisschen locker werden. Wüsste der Hochliterat (oder der dazu gehörige Kritiker (m/w)) um die Bandbreite innerhalb der Genres, gäbe es solche Interviews wie das mit Radisch nicht. Dann wäre klar, dass es mindestens ebenso viele grandiose Meisterwerke von Weltrang im Krimigenre gibt, wie es Schund, Unfug und Banalitätenschwurbel in der nichtgenrekategorisierten Literatur gibt. Genreliteratur das Prädikat Groschenroman zu geben, ist ungefähr so, als würde man sagen: Lyrik ist grundsätzlich gereimt und beschreibt die Natur, und deshalb ist Lyrik mal so grundsätzlich doof.

Lewitscharoff muss ich noch lesen. Ich bin aber fast sicher, dass es sich nicht um einen „Antikrimi“ handelt, wie Radisch sagt, einfach deshalb, weil Radisch unter Antikrimi zu verstehen scheint: Da ist ja noch etwas mehr drin als in so einem normalen Krimi. Und unter dem normalen Krimi versteht sie, dass ein Kommissar (m) direkt aufs Ziel hin ermittelt, d. h. der Krimi hat außer der Auflösung eines Rätsels nichts zu bieten. Keine großen Themen. Kein Nichts am Wegesrand der Ermittlung. Das ist grober Unfug und zeugt, Entschuldigung, von für eine Literaturkritikerin sträflicher Unwissenheit. Natürlich gibt es Agatha Christie, aber die war zu ihrer Zeit schon schwer angestaubt. Zu sagen, der schwarze Humor, diese ehrenwerte Sache, rette das Buch vor der Krimibanalitätsebene, lässt mich innerlich eine Liste mit schwarzhumorigen Kriminalschriftsteller_innen durchgehen und vermuten, dass Radisch diese nicht kennt. Auch Formulierungen wie „anders als im richtigen Krimi“ machen mich fragen: Was genau ist eigentlich ein richtiger Krimi? Die Mitschrift eines Münchner Tatorts oder einer SOKO-Leipzig-Folge?

Ich bin es leid, immer wieder sagen zu müssen, dass es gute und schlechte Krimis gibt, dazwischen eine Menge durchschnittliche, so wie es eben gute und schlechte Texte welcher Ausrichtung auch immer gibt. Aber wenn man sich damit nicht auseinandersetzen will oder kann oder muss, woher soll man das wissen, Vorurteile haben und nähren und züchten macht das Leben übrigens in den meisten Bereichen sehr viel leichter, da ist die Literaturkritik keine Ausnahme.

Jetzt kommt die viel unbequemere Frage, die in diesem unglücklichen Interview merkwürdig gestellt wurde, obwohl sie zugleich negiert sein wollte: Geht das mit der Trennung von Autor_in und Werk? Moderatorin Schortmann sagt so leichthin, man solle das ja eigentlich trennen.

Sobald man aber weiß, von wem ein Text stammt, muss man sich da große Mühe geben. Man kann sich Texte anonymisiert vornehmen und überprüfen, ob dort eine Weltsicht erkennbar ist, und meistens ist sie das. Das fängt schon banal bei der Auswahl der Geschlechter an, wie die Figuren zueinander stehen, miteinander umgehen, wer welchen Beruf hat, wer wie lebt usw. Das geht damit weiter, wie Signale gesetzt werden, die auf den Charakter der Figuren schließen lassen sollen. Geht eine Figur regelmäßig in die Kirche, kann das die unterschiedlichsten Implikationen haben, ebenso wie wenn eine Figur drogenabhängig ist oder sich in psychiatrischer Behandlung befindet. Was daraus gemacht wird, was impliziert wird, wie man als Leser_in gesteuert wird – bewusst oder unbewusst, das macht kaum einen Unterschied –, wie soll hier getrennt werden zwischen Autor_in und Werk? Die Weltsicht findet immer den Weg in den Text, und Radisch bestätigt dies letztlich, während sie es gleichzeitig versucht, vom Tisch zu wischen, weil bei Lewitscharoff aus diesen Indikatoren kein großes Thema gemacht wird. Aber über große Themen breit zu schwadronieren ist einfach. Die Weltsicht beiläufig zu vermitteln ist eine ganz andere Sache. Das ist Teil der großen Kunst. Und gleichzeitig die Kunst der beiläufigen Manipulation.

Wir erinnern uns an die Zeit, in der das Rauchen verteufelt wurde. Zuvor wurde in jedem Film überall und ständig geraucht. Dann rauchte nur noch der Bösewicht. Zigarette wird angezündet und alle wissen: Ahaaa, der meint es übel, dieser Schurke! Das war jetzt ein plattes Beispiel, aber ein schönes, und was für die Zigarette gilt, das gilt auch für Berufsgruppen und welche Geschlechter/finanziellen Verhältnisse/Lebensentwürfe ihnen zugeordnet werden.

Zurück zur Frage, ob ein Werk unabhängig vom Werkschaffenden interpretiert werden sollte. Dann kämen wir in den Bereich, in dem das Werk vermeintlich kontextfrei konsumiert werden soll. Wäre es dann nicht schlicht Unterhaltung? Wogegen nichts zu sagen ist. Aber die Hochliteraten wollen ja eben genau das nicht, nämlich schlichte Unterhaltung aka Genre sein. Wenn das Werk eine Aussage haben soll, warum soll ich es denn dann von der Person, die eben diese Aussage trifft und treffen will, trennen? Kunst um der Kunst willen? Dann fehlt jede gesellschaftspolitische Dimension. Ist das gewollt? Nein, das war die falsche Frage. Geht das überhaupt?

Ich nehme wieder ein einfaches Beispiel, diesmal aus dem Krimibereich. Da haben wir den Demokraten John Grisham. Der ist erfolgreich. Und der Republikaner Michael Crichton war es auch. Je nach eigener politischer Einstellung kann man sich nun überlegen, ob man sich ideologisch in fragwürdige Gewässer begibt und zugunsten der Unterhaltung ein paar Dinge (möglicherweise sogar das gesamte Ideenfundament der Geschichte samt Figurenkonstellationen usw.) ignoriert. Oder, um weg von der Literatur und hin zur TV-Unterhaltung zu gehen: Sehe ich mir „Germany’s Next Top Model“ an, weil ich die Frauen hübsch finde, und ignoriere rassistische und sexistische Implikationen, oder lass ich die berühmten Fünfe gerade sein, weil ich keine Lust zum Nachdenken habe?

Geschichten entstehen nicht im luftleeren Raum. Werke sprechen nicht für sich selbst, denn sie wurden von jemandem geschaffen. Egal wer sie geschaffen hat, hat sich selbst, bewusst oder unbewusst, eingebracht. Ich darf einen Text nicht lesen wollen, weil mir stinkt, wer ihn geschrieben hat – weil ich eben dessen Ideologie nicht einmal beiläufig zwischen den Zeilen mitlesen möchte. Ich darf aber auch ein Werk schlecht finden, weil es schlecht gemacht ist, obwohl es von jemandem stammt, der schon viele wichtige Preise bekommen hat. Das ist etwas anderes, da geht es, siehe oben, um das Handwerk, nicht um die Ideologie. Grisham und Crichton beherrsch(t)en das Handwerk und liegen ideologisch meilenweit auseinander. Trotzdem haben sie beide Kriminalliteratur geschrieben. Sara Gran steht im selben Regal wie Rita Falk, für beides finden sich Fans. Da wird es mit der Höhenbestimmung der Messlatten schwierig.

Texte kann man daraufhin lesen, ob sie gut gemacht sind. Figurenzeichnung, Dialoge, Spannungsaufbau, Sprache etc. Ich möchte deshalb die von Radisch tiefer gehängte Latte bitte gern abschrauben und Texte von egal wem danach beurteilen bzw. beurteilt wissen, ob sie gut sind oder nicht – egal welches Etikett sie haben. Um die Qualität zu bewerten, kann man das Handwerk von der Ideologie trennen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit, siehe oben, textimmanent ist. Aber die Frage, die ich mir stelle, ist, ob ich es trennen möchte.

Zoë Beck

Zoë Beck ist Autorin (zu ihrer Homepage geht es hier) und Verlegerin des Digitalverlags CulturBooks (mehr hier). Porträtfoto: © Victoria Tomaschko.

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