Geschrieben am 1. August 2020 von für Crimemag, CrimeMag August 2020

Wolfgang Schweiger: Ulf Miehe zum 80.

Szene aus „Jaider – Der einsame Jäger“ (1970/1971)

Ulf Miehe – Der einsame Jäger

Ich kann nicht behaupten, dass ich Ulf Miehe besonders gut gekannt hätte. Dazu waren unsere Kontakte zu spärlich. Wenn er dennoch eine immens wichtige Rolle in meinem Leben gespielt hat, dann nicht nur, weil ich ihn als Kollegen bewundert und auch als Vorbild angesehen habe. Nein, er war es auch, der mir Anfang der 80er Jahre, als ich frustriert auf einem Krimi-Drehbuch saß, für das sich keiner interessierte, den folgenreichen Rat gab, aus der Geschichte doch einen Roman zu machen. Ich hatte bis dahin zwar keine Zeile Prosa geschrieben, aber der Gedanke war verlockend. Ulf stellte daraufhin den Kontakt zu Bernhard Matt vom Heyne Verlag her, der das Drehbuch auch las und auf meine Anfrage, ob er sich vorstellen könne, dass ich daraus einen Roman anfertige, einen Vertrag und einen Vorschuss schickte. Goldene Zeiten! 

Ein gutes Jahr später erschien in der „Blauen Krimi-Reihe“ dann mein erster Roman „Durch die Nacht“.  

   Kennengelernt habe ich Ulf im Herbst 1976 bei einer Lesung in der Münchner Autorenbuchhandlung, wo er seinen gerade erschienenen Roman „Puma“ vorstellte. Danach blieben wir lose in Verbindung, wobei auch mal eine Zusammenarbeit bei einem Filmprojekt im Raum stand. Jedenfalls kann ich mich an einen Besuch bei ihm in Kreuzpullach (im Süden von München) erinnern, wohin ich zusammen mit dem Münchner Filmproduzenten Peter Zenk gefahren war und Ulf uns mit seinem VW-Käfer am S-Bahnhof abgeholt hatte. Meine letzte Begegnung mit ihm fand im Jahr 1986 statt, kurz nach seinem Herzinfarkt, als ich ihn in einer Reha-Klinik bei Rosenheim besuchte und wir uns über James Ellroy, den damaligen neuen Stern der Krimi-Szene, austauschten: „Mann, ist der gut …“, so Ulf. 

   Jetzt hat der Berliner Fotograf, Autor und Gestalter Horst Kløver in Zusammenarbeit mit Angelika Miehe, der Lebensgefährtin von Ulf, und dem Wegemuseum Wusterhausen/Dosse zwei Bücher herausgebracht, die so anschaulich wie kurzweilig das vielfältige Schaffen Miehes beleuchten. „Ulf Miehe – Facetten eines Autors“ ist der Versuch einer Biografie in Essays, Selbstzeugnissen und Dokumenten, eine lockere Mischung aus Bildern, Texten und grafisch gestalteten Informationen, die Publikationen von und über Miehe entnommen sind. Im Mittelpunkt steht dabei ein Essay von Karl Wolfgang Flender über „Ich hab noch einen Toten in Berlin“, diesem Meilenstein in der Geschichte des deutschen Kriminalromans. Sehr aufschlussreich ist auch ein Interview von Peter Henning mit Angelika Miehe zu der Frage: „Wer war Ulf Miehe?“, und über Miehe den Lyriker erfährt man vieles in dem Essay von Lutz Steinbrück.   

   Abgedruckt ist auch die erste von 13 Erzählungen aus seinem Buch „Die Zeit in W und anderswo“, die eindrucksvoll belegt, was für ein trefflicher Erzähler Miehe auch außerhalb des Krimi-Genres war. So entsteht auf knapp 80 Seiten ein spannendes, vielschichtiges Bild des am 11. Mai 1940 in Wusterhausen/Dosse geborenen und am 13. Juli 1989 in München verstorbenen Schriftstellers, Filmautors und Regisseurs, ohne den mein Leben möglicherweise einen ganz anderen Verlauf genommen hätte.  

   Als Begleitwerk und basierend auf einer Ausstellung im Literaturhaus Berlin ist zugleichmit „Drehorte – Fotografien von Horst Kløver nach dem Kriminalroman ‚Ich hab noch einen Toten in Berlin‘ von Ulf Miehe“ ein Band mit Fotografien erschienen, die 2019 in Berlin entstanden sind und eine Art Location Scouting oder fotografisches Storyboard bilden, das sich spielerisch mit den literarischen Motiven des Romans auseinandersetzt. Oder wie Horst Kløver in der Einleitung dazu schreibt: „Die Fotografien erspüren das im Roman so feinfühlig gezeichnete Zeitkolorit des Westteils von Berlin in den politisch hochsensiblen siebziger Jahren. Darin enthalten könnte die Forderung sein, ‚Ich hab noch einen Toten in Berlin‘ als Schlüsselwerk der deutschen Kriminalliteratur neu zu verfilmen. Dem Realismus verpflichtet, und nicht wie 1974 in Michael Fenglers ‚Output‘ überfrachtet mit dramatischen Bedeutungskonstruktionen, die nicht tragen und schleppend erzählen – ganz im Gegensatz zu Ulf Miehes Roman“.   

   Genau das wäre es: Dass (deutsche) Regisseure, statt sich an James M. Cain zu vergreifen, diesen Roman und natürlich auch den „Puma“ endlich mal adäquat verfilmen.  Und dass ein Wahnsinnsfilm wie „Jaider – Der einsame Jäger“, zu dem Miehe zusammen mit Volker Vogeler das Drehbuch geschrieben hat, endlich mal wieder ausgestrahlt wird oder eine DVD-Ausgabe davon erscheint.  

Wolfgang Schweiger

Ulf Miehe – Facetten eine Autors – Ein Buch von Horst Kløver, Angelika Miehe und dem Wegemuseum gibt es online zu lesen (einfach auf das Titelbild klicken) oder als Book-on-demand zu kaufen.
82 Seiten, 24,50 Euro. ISBN-13: 9783751936316.

Drehorte –
 Fotografien von Horst Kløver nach dem Kriminalroman „Ich hab noch einen Toten in Berlin“ von Ulf Miehe. 25. Juni – 9. August 2020 im Wegemuseum. Ausstellung und Buch zum 80. Geburtstag des Autors und Regisseurs Ulf Miehe (11.5.1940 – 13.7.1989). Als Book-on-demand erhältlich. 48 Seiten, 15,80 Euro. ISBN-13: 9783751948654

Von Wolfgang Schweiger ist gerade als Book-on-demand der Heimatkrimi „Land der bösen Dinge“ erschienen. Besprechung hier nebenan in unseren „Bloody Chops“.


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