Geschrieben am 4. März 2019 von für Crimemag, CrimeMag März 2019

Wolfgang Franßen über Paul Beatty „Der Verräter“

„Ich finde, ein bisschen Sklaverei und Rassentrennung haben noch niemandem geschadet“

Allein schon ein Zitat aus dem Buch als Überschrift zu wählen, bringt einen bei Google in Gefahr, die falschen Leser anzuziehen. Paul Beatty hat für seinen Roman „Der Verräter“ in der Übersetzung von Henning Ahrens die Grenzen der political correctness weit hinter sich gelassen, indem der afroamerikanische Autor mitten in Amerika eine Enklave ausruft, in der die Bürgerrechte aufgehoben und die Rassentrennung wiedereingeführt wird. Vor allem spüren wir Leser hinter jeder Slapstickeinlage das über Jahrhunderte aufgestaute Entsetzen, das nur zum Schein polierte Veränderungen nach sich zog. Der Roman tritt die Frage los: Ihr wollt es so haben? Dann schauen wir doch mal, ob wir Schwarze es nicht besser können. 

Feinsinnig, in Teilen burlesk, entreißt Beatty den von der Karte verschwundenen Ort Dickens, einen Vorort von Los Angeles, der Bedeutungslosigkeit. Ausgerechnet ein schwarzer Wassermelonenzüchter und Marihuanaanbauer schwingt sich durch einen alten Leinwandhelden gedrängt zum Anführer des Rassismus auf. 

Hominy, der kongeniale Partner des Ich-Erzählers, ist ein ehemaliger Darsteller der erfolgreichen TV-Serie „Die kleinen Strolche“. Eine lebende Legende. Von Fans bedrängt fristet er sein Leben, indem er immer wieder die alten Geschichten herauskramt, was hinter den Kulissen an sexuellen Gefälligkeiten abgelaufen ist oder wie alle Darsteller der Serie auf ihre Art gescheitert sind. Er will nach einem langen Leben der Enttäuschungen nur noch eins: wieder Sklave sein. Er will ausgepeitscht werden. Als Herren wählt er sich ausgerechnet den Ich-Erzähler aus. Den Sohn eines Psychologen, der selbst eine leidvolle Kindheit hinter sich gebracht hat, in der er durch drastische Studien am eigenen Leib ein Martyrium aufgebürdet bekam. Alles als Dienst an der Forschung, um die Tiefen des Rassismus auszuloten. Mit einem einzigen Ziel: den Sohn für eine Welt zu stählen, in der Weiße das Sagen haben.

Natürlich endet die Sklavenhaltung des Ich-Erzählers vor dem Supreme Court. Schließlich gibt es da eine je nach Mehrheitsverhältnis ausgerichtete moralische Instanz, vor die sein Held sich gleich zu Anfang des Romans rechtfertigen muss. 

Als Auslöser für dessen Loslösung von dem, was zu denken erlaubt ist, dient der Moment, als sein Vater an einer Ampel von Polizisten in den Rücken geschossen wird und stirbt. Ein ganz normaler Vorgang. Irgendwo in den USA wird immer ein Schwarzer erschossen. Wenn daraus keine Unruhen entstehen, interessiert das die Medien nur am Rande. Sollte es zu Plünderungen kommen, ist es Tag für Tag die Top-Nachricht. 

Paul Beatty besitzt selbst einen Master in Psychologie, trat als Poetryslammer auf, schrieb Gedichtbände und Romane. 2008 erschien „Slumberland“ über einen US-amerikanischen DJ in Berlin. Seine Anthologie „Hokum“ beschäftigt sich mit dem Humor der Afroamerikaner. Für „Der Verräter“ wurde er mit dem National Book Critics Circle Award sowie dem Man Booker Prize ausgezeichnet. Er lebt in New York. 

Was will der Autor also? Schockieren? Amüsieren? Belehren? Den berühmten Spiegel vorhalten? Es wird wohl eher so sein, dass ihn eine diebische Freude beim Schreiben vorangetrieben hat, wenn er sich Szenen wie jene im Bus ausmalte, bei denen sein Ich-Erzähler die getrennten Sitzreihen zwischen Schwarz und Weiß wiedereinführt, und feststellen muss, dass sich alle plötzlich zu benehmen wissen. Oder, wenn Beatty den Kampf um die Oberhand an den Schulen einfach umkehrt, sodass die Trennung zwischen schwarzen und weißen Schulen dazu führt, dass die schwarzen Schulen bessere Ergebnisse erzielen als die weißen. Plötzlich empört sich die weiße Bevölkerung, spricht von Diskriminierung, weil ihre Kinder diese Schule nicht besuchen dürfen. 

In einer verquasten schwarzen Community setzt der Erzähler durch, dass eine auf den Boden eingezeichnete Markierung Dickens vom Rest der Welt abschneidet. Ganz ohne Mauer und Stacheldraht. Mit einem Schritt ist man halt drinnen oder draußen. Gehört man dazu oder nicht. Neben derartigen Umwälzungen gibt es die private Seite, den persönlichen Sklaven, für den eine Domina engagiert wird, die seinem Verlangen nach Züchtigung nachkommt. Was natürlich nicht dasselbe ist, als würde sein Herr selbst zur Peitsche greifen. 

Durch die Wiedereinführung der Rassentrennung in Dickens, lebt der zuvor verarmte, sich selbst überlassene, zum Sterben verfluchte Vorort, auf. Sein Name erscheint wieder auf der Landkarte, von dem er zuvor getilgt war. Die Welt hatte Dickens vergessen, sich selbst überlassen. Jetzt jedoch ist er wieder eine Nachricht Wert. 

Paul Beatty ist nicht nur ein Meister der Travestie, indem er Geschichten zu einem Netz von radikalen Absurditäten verwebt. Seine Komik beruht auf der Kraft, einen unerhörten Gedanken zu Ende denken. Wer dies als Satire lesen mag, entschärft die politische Brisanz. 

Hier kennt sich ein Autor bestens mit der Comédie Humaine aus. Vermag Entblößung und Schrecken zu bündeln. Willst du den Lesern nachhaltig verunsichern, bring ihn zum Lachen. Lass ihn zufrieden und glücklich mit dem Finger auf andere zeigen. 

Beatty hat begriffen, dass die Political Correctness ein Beruhigungsmittel für ausbalancierte Normalbürger ist, und schert sich einen Dreck darum, was man denken, was man fühlen, was man leben darf.

Umso schallender klingt die Ohrfeige für jene, die rechtsradikal und menschenverachtend die gute alte Zeit heraufbeschwören. Es ist doch so, sagt Beatty, Schwarze verstehen sich viel besser auf den Rassismus als Weiße. Wie viele Weiße würde nicht gerne für andersdenkende Weiße eine Rassentrennung einführen? Sie sollten Paul Beatty lesen. 

Der weiß, wie es geht.

Wolfgang Franßen

  • Paul Beatty: Der Verräter (The Sellout, 2015). Aus dem Englischen von Henning Ahrens. Luchterhand Literaturverlag, München 2019. 352 Seiten, 20 Euro.

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