Geschrieben am 1. Mai 2019 von für Crimemag, CrimeMag Mai 2019

Ute Cohen zu Pierre Lemaitre „Die Farben des Feuers“

Rache in Ruinen

Von Ute Cohen

15. September 2008. Die Investmentbank „Lehman Brothers“ beantragt Insolvenz. Die Finanzkrise ist auf ihrem Höhepunkt angelangt. Jahrelang hantieren amerikanische Banken mit faulen Krediten und schieben sich den Schwarzen Peter hin- und her, bis sie selbst wie bei einem überdimensionalen Hütchenspiel den Überblick verlieren. Bang! Nicht nur die Immobilienblase platzt, sondern auch der Traum vom dicken Sparschweinchen.

Die Spirale dreht sich weiter, Zinsen sinken, Immobilienpreise steigen, Banker setzen sich auf die Cayman Islands ab oder versteuern in Luxemburg. Die nächste Blase droht, der Kollaps ist nur eine Frage der Zeit. Florian Corinth riecht Business Opportunities wie ein Bluthund das verletzte Reh. An der Spitze eines Fonds grast er den Markt nach Unternehmen ab, die er durch radikales Cost-Cutting und Facelifts zu Superstars aufbauen will. Flankiert wird er von seiner Influencer-Gattin, die in ihrer Mutter- und Hausfrauenrolle das Clean-Ideal des neo-autoritären Saubermanns propagiert. Corinth ist getrieben von einer Vision: Deutschland in ein Neo-Sparta zu verwandeln. Die Auserwählten sind seine Anhänger, Corinth’sche Klone, die … 

Das könnte der Plot für einen hochaktuellen Roman sein. Geld aber, geschweige denn die Bankenkrise, unter deren Auswirkungen alle Sparer immer noch leiden, wird außer von ein paar Streaming-Anbietern künstlerisch derzeit kaum thematisiert. Literaten leben oft in ihrer eigenen Welt, die über den Berliner S-Bahn-Ring kaum hinausreicht. Mammon wird verteufelt, als regnete es Manna ganz allein vom Himmel. Dass Geld meist der Dreh- und Angelpunkt aller Dramen und emotionaler Tragödien ist, wird nicht ohne intellektuellen Snobismus gern ignoriert. Wer aber glaubt, dass Kunst, Kultur und Currywurst Freundschaften unzerbrechlich machen, irrt gewaltig. Das Mitleid mit den Losern hält sich schnell in Grenzen. Abgelöst wird es von der animalischen Angst, selbst zum Aussätzigen zu werden. Rache in einer von Geld regierten Welt funktioniert nur über finanzielle Macht. 

Ob sich die nächste Krise mit belletristischer Lektüre abwenden lässt, bleibt zu bezweifeln, zumal sich Zeitgenössisches kaum aufspüren lässt. Fündig wird man jedoch, wenn man nach Frankreich lugt und aus der Historie zu schöpfen wagt. Für persönliche Vendetta-Akte sind gallische Romane eine gewinnbringende Inspiration.

Emile Zolas „Das Geld“ aus dem berühmten Rougon-Macquart-Zyklus ist der Klassiker der Kapitalismuskritik und zugleich ein Rache-Epos. Wie Aristide Saccard im Zweiten Kaiserreich mit seiner „Banque Universelle“ Tausende von Anlegern in den Ruin treibt, gemahnt nicht umsonst an die Bankenkrise und staatlich finanzierte Finanzunternehmen. Dass auch Politiker ihre Hände nicht in Unschuld waschen dürfen, war damals nicht anders als heute. Zolas Sittengemälde und Schreckensbild betrügerischer Finanzaktionen hat nichts von seiner Eindringlichkeit verloren. 

Pierre Lemaitre, ein mit dem Prix Goncourt, dem wichtigsten französischen Literaturpreis, ausgezeichneter Autor, schreibt mit seinem Roman „Die Farben des Feuers“ die Kritik an Gier und kapitalistischen Raubzügen und Finten fort. Und dies mit einer Verve, dass man sofort erahnt, wer wes Geistes Kind ist. Mit naturalistischer Gesellschaftskritik lässt er es jedoch nicht bewenden, Lemaitre zeigt Ermächtigungsstrategien auf, wie man im Kapitalismus den Gegner mit den eigenen Waffen schlägt und die Gier, die größte Triebfeder menschlichen Handelns, nutzt, um der Gerechtigkeit einen Weg zu bahnen. Zudem ist das Buch eine fabelhafte Revenge-Story, die zeigt, dass Do-it-Yourself mehr sein kann, als Kissen im Kreuzstich mit dem Namen des Geliebten zu besticken. Ökonomische Unabhängigkeit ist der Boden, auf dem Rache am besten gedeiht. Lemaitres Figur Madeleine Péricourt ist eine Heldin, wie sie von feministischen Motivations-Coaches erdacht sein könnte: Zu Beginn ein Opfer, gebeutelt vom Schicksal, am Schluss triumphierend über ihre Widersacher. Als Madeleines Vater stirbt, erbt sie Ende der Zwanzigerjahre ein traditionsreiches Bankhaus, das sie jedoch sogleich mangels Wissens und eines Übermaßes an Vertrauen gegenüber ihren engsten Mitarbeitern wieder verliert. Das ist um so tragischer, als ihr Sohn Paul auf den Rollstuhl angewiesen und schwer traumatisiert ist vom sexuellen Missbrauch durch den Hauslehrer. Anstatt mit dem Schicksal zu hadern, schmiedet Madeleine Allianzen über die Grenzen ihres Milieus hinaus, rächt sich am Vergewaltiger ihres Sohnes und legt zusammen mit Paul den Grundstein für ein Kosmetikimperium. 

Ein reales Pendant haben fast alle Figuren in „Die Farben des Feuers“, im Nachwort deckt Lemaitre selbst die historischen Anleihen auf. So mancher Widerling übertraf in der Wirklichkeit die Fiktion, so Maurice-Bunau-Varille, der Chef der Zeitung „Matin“, der in Fleisch und Blut dem fiktiven Zeitungsmacher Guilloteaux in nichts nachstand. Für jeden Historiker in nuce oder par passion ist es ein wahres Vergnügen, Wirklichkeit und Fiktion in diesem Buch aufzuspüren. Solange Gallinato, so viel sei verraten, die von Paul verehrte Sopranistin, lebte tatsächlich. 1933 starb sie in der Berliner Oper. 

Wer aber jemals vorhaben sollte, in rumänisches Erdöl zu investieren, einem Schreiberling unbedarft Glauben zu schenken oder einem Politiker Unbestechlichkeit zuzugestehen, nur weil er eine Anti-Korruptionseinheit leitet, dem kann Solange Gallinatos A-cappella-Gesang nicht lange und laut genug im Ohr erschallen: „Sind die Ruinen hier nun alles, was von uns nun bleibt?“

Ach ja, Pauls Calypso-Creme duftet vielleicht besser, ist aber auch nicht effizienter als „Sirenia“. Historia vitae magistra. 

Das gilt auch für Florian Corinth und seine Klone.

Fortsetzung folgt.

  • Pierre Lemaitre: Die Farben des Feuers (Couleurs de l‘incendie, 2018). Aus dem Französischen von Tobias Scheffel. Klett Cotta, Stuttgart 2019. 479 Seiten, Hardcover, 25 Euro.

Ute Cohen lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin. Ihr Roman Satans Spielfeld erschien 2017 bei Septime, die „Berliner Zeitung“ brachte ein zweiseitiges Interview zu den Hintergründen dieses Romans. Ute Cohen hat für CulturMag die Specials SEX- und TABUMag kuratiert. Ihre Texte bei CulturMag/ CrimeMag, ihr Interview in der „Berliner Zeitung“.

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