
Frankie Boy
Gay Taleses Porträt von Frank Sinatra aus dem Jahr 1965 (erschienen im Esquire, 1966) gilt als Klassiker des New Journalism. Der Clou und das Paradigmatische an dem Text ist, dass Frank Sinatra angeblich oder tatsächlich erkältet war, aber auf jeden Fall keine große Lust hatte, sich interviewen zu lassen. Also hatte Talese, eben typisch für den New Journalism, das Umfeld von Sinatra befragt, hat ihn aus der Distanz beobachtet – bei Schallplattenaufnahmen, in Bars und Clubs, bei einem TV-Konzert. Immer beäugt von Sinatras PR-Manager, notfalls abgeschirmt von der Entourage des Crooners. So entstand ein ziemlich ambiguer Text, dessen Faszination auf unausgesprochenen Implikationen beruht. Hatte Sinatra nun Mafia-Connections oder nicht? Talese weiß, dass Frankie Boy es hasste, mit La Cosa Nostra in Verbindung gebracht zu werden (verständlicherweise), also erwähnt er diesen Verdacht mit keinem Wort, beschreibt aber Sinatras Gehabe in seiner New Yorker Stammkneipe mit dem Vokabular und den Bildern, die man mit jemandem assoziiert, der klar und deutlich in seinem Umfeld als „il Padrone“ bezeichnet wird und sich so aufführt. Das ist wunderbar maliziös. Und wenn man meint, Bewunderung aus Taleses Text herauslesen zu können – er hält Sinatra für „… the embodiement of the fully emancipated male, perhaps the only man in America, the man who can do anything he wants” – folgt prompt eine Anekdote, die Sinatra als Arschloch zeigt. In einem Club in Palm Springs pampt il padrone den jungen Harlan Ellison an, weil ihm dessen Stiefel nicht gefallen und Ellison nicht den Schwanz einzieht, aber von Sinatras Sykophanten aus dem Laden gemobbt wird (by the way: In Palm Springs, wo Sinatra eine Villa hatte, herrschte ein befremdlicher, irrer Sinatra-Kult, den ich selbst in den frühen 90er noch beobachten durfte. In einem Schickimicki-Lokal inmitten der trockenen Wüstenhitze, aparterweise aufgezogen wie ein englischer Pub des 19. Jahrhunderts, was wohl die Dekolletees der Servierinnen legitimieren sollte, war ein Tisch permanent für Sinatra reserviert. Die ganze Kundschaft, vermutlich nur aus Millionären bestehend, starrte den ganzen Abend manisch auf diesen Tisch, der natürlich leer blieb. Bestellt wurde übrigens nur, was „Frankie am liebsten isst“). Anyway, auch diese Harlan-Ellison-Episode ist ein schönes Beispiel für Taleses dialektische Methode.

Ob Talese Sinatra nun tatsächlich bewunderte oder ihm kritisch gegenüberstand oder beides gleichzeitig, lässt sich aus seinem Porträt nicht ableiten, mindestens nicht eindeutig. Beide sind immerhin Ikonen der weißen, ungebrochen männlichen Dominanz-Kultur der USA. Ein eindeutig der politischen Rechten zugehöriger Autor, mit dem ich in Mexiko unterwegs war, erklärte mir, als er genervt von dem ganzen „Spanish tooting“ endlich einen amerikanischen Sender im Autoradio fand, der Sinatra spielte, erleichtert: „Finally, decent music for decent men“. Klar, Sinatra, auch wenn er für die Kennedy-Demokraten engagiert war, war ein wichtiger Teil der blütenweißen Popkultur, die zwar Leute wie Sammy Davis jr. oder Harry Belafonte zuließ und das Repertoire des schwarzen Jazz plünderte (oder für ein weißes Massenpublikum kompatibel machte). Die Photos von Phil Stern, die unseren Band begleiten, sagen genau all das.

Stern stilisiert Sinatra etwa mit Trenchcoat und Hut von hinten als nahen Verwandten des Chandler’schen Privatdetektiv, als Lebemann mit dem Rat Pack, als Saufkumpan unter Kumpanen, als oft melancholischen Einzelgänger oder als hart arbeitender Musiker, der – so behaupten die Fotos – seine eigene Produktion fest im Griff hat. Nur Count Basie lacht. (Sorry, noch eine Anekdote: Frankie Laine, eine zeitlang Sinatras härtester Konkurrent als Big Band Crooner und Las Vegas-Act, erzählte mir, dass Sinatra vor Aufnahmen mit der Basie Band, gespickt mit Großmeistern ihres Fachs, entsetzliche Angst gehabt hatte. Inwieweit das faktensicher ist oder ein bisschen Nachtreten, weiß ich nicht, erscheint mir aber nicht unplausibel. Allerdings ist mir Sinatra, bis auf ein paar wenige andere Titel, nur in eben dieser Kombination einigermaßen erträglich, was aber sicher meine Idiosynkrasie ist).
Letztendlich ist es vermutlich egal, was Talese und Stern von Sinatra hielten. Text und Bilder sind nolens volens Teil einer Stilisierung und Inszenierung oder auch Re-Vitalisierung eines Stars auf der Kippe seiner Karriere und seiner Bedeutung. Und insofern ein bemerkenswertes Stück Kulturgeschichte der weißen Dominanzkultur, die zunehmend fragwürdiger wurde, deren Residuen aber heute noch politischen Ärger machen.
© 09/2021 Thomas Wörtche
Gay Talese, Phil Stern: Frank Sinatra Has a Cold. Verlag Taschen, Köln 2021. Hardcover, eine Ausklappseite, Format 23,6 x 33,3 cm, Gewicht 1,88 Kilo. 250 Seiten, viele Abbildungen, 50 Euro. – Bisher nur als signierte Collectors Edition erhältlich. Verlagsinformationen.



