Geschrieben am 1. Dezember 2020 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2020

TW über „Kreuzberg Blues“ von Wolfgang Schorlau

Zwei Parameter kann man bei Kreuzberg Blues von Wolfgang Schorlau (KiWi) schon mal von Anfang an aus dem Spiel nehmen. Erstens, die local knowledge – auf der Oranienstraße gibt es, weiß Schorlau, ein „kleines türkisches Restaurant namens Hasir“ (das ist so wie „ein kleines amerikanisches Restaurant namens McDonald“) – ist nicht sehr überzeugend.  Zweitens, die Qualität der Prosa  – „Lena … steckt ihr süßes Ärmchen in die Luft“ – spielt auch keine Rolle. Also geht es bei „Denglers zehnten Fall“ aus der Werkstatt des „Meisters des politischen Romans“ (U 4) um etwas anderes – nämlich um die ungeheuerlichen Machenschaften der Immobilienwirtschaft. Menschen werden entmietet, mit rüden Methoden, weil die einschlägigen Firmen Profite machen wollen, Mietendeckel und Enteignungsszenarien sind da natürlich nicht willkommen. Und noch schlimmer: Dahinter steckt natürlich das amerikanische Großkapital, das, wenn es die Immobilien doch nicht kriegt, sich an unseren Rentenkassen gütlich tun will. Gleichzeitig will eine Abteilung des Deep States (residiert in einer Wannsee-Villa), bestehend aus stramm rechten Maaßen-ähnlichen Lemuren (einer heißt Meesen) der Sicherheitsbehörden – einschließlich BND, warum eigentlich der? – die am liebsten gewalttätige Eskalation im Lande, um Recht und Ordnung durchzusetzen. Deswegen kommen die Herrschaften auf die Idee, Coronaleugner, Esoteriker und andere Spinner dem ultrarechten Spektrum, sprich der AfD oder Schlimmerem, zuzuführen und beide „Bewegungen“ zu amalgamieren. Was also sich vor aller Augen abspielt, ist eine Ranküne des Deep States. Außerdem geht es noch seitenweise und nicht unbedingt plot-notwendig um Tier-Gewalt-Porn (um Ratten-vs-Hunde-Kämpfe in Dunkeldeutschland, sprich Leipzig) und um das schlimme Leben als Waldorfschul-Kind, was zwar mit dem Plot auch nicht so recht was zu tun hat, aber schön gruselig ist. Auch erklärt wird, wie der süddeutsche, sprich Stuttgarter Typ, des Coronaleugners und Verschwörungstheoretiker so tickt. Schlimm natürlich. Und auch über das Personal dieses keinesfalls satirischen und beinhart unkomischen Szenarios lernen wir nichts Neues: Russinnen sind eiskalt und fahren schicke Autos, Autonome kiffen und haben beklagenswerte körperhygienische Standards, Schurken sind tätowiert und böse CEOs sind im Grunde und biographisch sowieso INCELS, deviante Rattenzüchter leben mit ihrer Mutter in dunklen Häusern auf dem finsteren Lande.

(cc) Wikimedia Commons

Was aber heißt: Der Roman kompiliert nicht nur so ziemlich alles, was in den letzten Jahren und Jahrzehnten an genretypischen Albernheiten erdacht wurde, sondern auch über Immobilien, Investoren, Politik etc. zu lesen war, und was wahrlich common knowledge ist, zu einem Narrativ des Offensichtlichen, ohne Überraschung, Clou oder Pointe. Da wird auf kein Problem „aufmerksam“ gemacht, kein Missstand „angeprangert“, vor keiner Entwicklung „gewarnt“ und keine unterirdischen Bezüge und Konspirationen „enttarnt“ (was an sich schon schlimm genug wäre), die nicht schon längst in aller Dreistigkeit offen zu Tage lägen. Der seit langem nicht mehr per se und per definitionem aufklärerische Polit-Thriller planscht schon fast wollüstig in seine eigene, größte Falle: Wenn schon die ganzen Sauereien der Zeit offen zu Tage liegen, muss anscheinend ein Narrativ her, das hinter dem evidenten Üblen noch ein größeres, schrecklicheres Übel postuliert, in diesem Fall eben der Deep State, hier putzig „Amt Fuhrmann“ genannt. Damit das reale Übel nicht systemisch gesehen werden muss, sondern als Ränkespiel übelgesinnter Kreaturen, die eigentlich nur eines sind: Alberne Figuren. Womit das Geschäft der „literarischen Aufklärung“ sich selbst veralbert hat. Modern Times: Als Aufklärung etikettierte Gegenaufklärung. Donald Trump hätte an dem anti-elitistischen Deep-State-Narrativ seine helle Freude, denn so wie Hillary Clinton und Bill Gates kleine Kinder schlachten, so bestimmen finstere Mächte die Geschicke der Bundesrepublik und wer stört, der wird eliminiert, ein Schicksal, dem auch Schorlaus Held Dengler zugeführt werden soll. Wenn nicht in diesem Roman, so doch als Bedrohung, die ganz gewiss als ultraspannender Cliffhanger zum nächsten Bestseller dient.  

Wolfgang Schorlau: Kreuzberg Blues. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020. 416 Seiten, 22 Euro.