
Ein wundersames Buch …
Natürlich sind Duelle sowas von bescheuert. Obwohl, manchmal ertappt man sich schon bei dem Gedanken, dass es Kränkungen oder Übergriffigkeiten gibt, die man am liebsten morgens um fünf im Festungsgraben aus der Welt räumen möchte. Vorzugsweise mit schweren Säbeln. Aber das ist natürlich nur mal wieder ein Anfall von toxischer Männlichkeit. Und das Schicksal von Alexander Puschkin oder Ferdinand Lassalle ist auch nicht unbedingt erstrebenswert. Und überhaupt: Wer wäre eigentlich heutzutage sanktionsfähig? Sie sehen, alles absurd, aus der Zeit gefallen, anachronistisch.
Und aus einer solchen Absurdität mach Rayk Wieland einen vergnüglichen und ziemlich komischen Roman. Denn die „Verführung von Frauenspersonen“ sind ein „klassischer Fall einer Beleidigung des dritten Grades“. Und das führt nun einmal zu einem „Pistolenduell mit festem Standpunkt, ein Schuss für jede Seite, auf die Distanz von fünfzig Metern“. Die Forderung stellt der Antiquar Alexander Schill an den Psychotherapeuten Oskar B. Markov, zwecks „Wiederherstellung meiner Ehre, die durch Ihre geschmacklose Verführung von Constanze Kamp verletzt wurde.“ Allerdings war besagte Constance Kamp dem todeslangweiligen Antiquar entlaufen (würde er sagen), weil sie seinen Fimmel mit allerlei historischen Duellen, seine Duell-Bibliothek, sein Alles-über-Duelle-Wissen und seine Steinesammlung, die allesamt von den Orten bekannter und unbekannter Duelle stammen, nicht mehr ertragen hat. Markov, auf seine Weise genau so ein neurosenbepackter Mensch wie Schill, rennt sofort zu Polizei, um den zu erwartenden Mord an ihm anzuzeigen. Die Polizei in Person der Kommissarin Tannenschmidt muss ihm mitteilen, dass sie leider nichts tun kann – eine Aufforderung zum Duell ist kein Straftatbestand – und überlegt, ob der Mann vielleicht einen an der Wurfel hat. Hat er, denn Markov startet ein paar sehr hysterische Aktionen, während Schill stur auf sein Ziel hinarbeitet.

Diese Geschichte ist allerdings nur der rote narrative Leitfaden des Romans. Ansonsten erfreut uns Rayk Wieland mit allerlei kulturhistorischen Exkursionen zur Geschichte des Duells, und das wiederum führt zum „letzten Duell“ auf deutschem Boden – eine ihrerseits völlig absurde Geschichte. Dieses letzte Duell in Hohenlychen fand 1937 zwischen dem SS-Mann Strunk und dem SA-Mann Krutschinna statt, der eine ein Protegé von Hitler, der andere einer von Himmler. Ausgefochten wird das Duell in der Nähe eines SS-Sanatoriums, wo sich allerlei Celebrities des 3. Reiches von ihren Wehwehchen luxuriös kurieren lassen – und auf der After-Show-Party nach dem Duell hat dann auch, neben einer Menge NS-Prominenz, Leni Riefenstahl ihren Cameo-Auftritt, und ist beleidigt, dass sie das Spektakel nicht filmen konnte.
Das biographische Schicksal der SS-Hierarchen, die formal penibel auf die Regeln des Duells geachtet haben (auch das grotesk: Die Herren Massenmörder und Massenmörder in spe ehrpuzzeln wichtigtuerisch bei einem lächerlichen Duell, denn Krutschinna hatte mit der Gattin Strunk gevögelt und war in flagranti erwischt worden, wobei diese Frauensperson auf einem Leopardenfell verführt wurde, das dann im weiteren Verlauf des Romans eine erstaunliche Karriere macht), diese Biographien also und die anderer Nazi-Grüßen verfolgt Wieland bis zu deren durchweg unehrenhaftem Tod. Ebenfalls zu schönen Abschweifungen führt ein Koffer, in dem unter anderem die damals benutzten deutschen Wehrmachtspistolen liegen, und der von dem sowjetischen Soldaten Wladimir Petrowitsch Wenzel bei der Einnahme von Hohenlychen erbeutet wird, im Museum des Vaterländischen Krieges in Wolgograd landet und dann auf Umwegen zu dem Händler von Militaria kommt, bei dem Schill sich mit Duellbedarf und intellektueller Aufrüstung versorgt. Insofern hat Wielands Mäandern durchaus erzählstrategischen Sinn. Und er kommt ja auch wieder bei dem Duell zwischen Schill und Markov heraus, das hier und heute im Tunnel unter der Spree tatsächlich stattfindet. Obwohl Kommissarin Tannenschmidt dann am Ende auch nichts anderes tun kann, als ein „Unfallgeschehen“ zu Protokoll zu geben.
„Beleidigung Dritten Grades“ ist ein Roman, der sehr ausdrücklich nicht nach Interpretation verlangt. Natürlich könnte man Bedeutsames zur aktuellen Lage sagen à la reden ist besser als schießen. Oder über Männerphantasien phantasieren oder aus den ganzen Absurditäten irgendeinen Sinn herauswringen. Könnte man. Definitiv aber kann man sich sehr angenehm amüsieren, an Geist, Witz und Verstand.
Thomas Wörtche
Rayk Wieland: Beleidigung Dritten Grades. Verlag Antje Kunstmann, München 2022. 366 Seiten, 24 Euro.
