Geschrieben am 1. Juni 2022 von für Crimemag, CrimeMag Juni 2022

Thomas Wörtche: Einige Bücher zur Polizei

 Very true crime …

Man muss TRUE CRIME nicht nur als nicht ganz so Neues, neuerdings aber erstaunlich beliebtes Subgenre der Kriminalliteratur verstehen, in dem Kriminalfälle aus der Realität rekonstruiert werden, mit dem Grusel des Authentischen anstatt mit der Angstlust des Fiktiven. Es ist aber schon bemerkenswert, dass True Crime sich meistens auf die verbrecherische Tat konzentriert, auf die Ermittlungsarbeit, manchmal auch auf die juristische Nachbearbeitung. Bei True Crime ist das dualistische Weltbild womöglich noch ausgeprägter als in den jeweiligen fiktionalen Pendants: Hier das Skandalon, das Verbrechen, der Fall, dort die Aufklärungsinstitutionen mitsamt dem ganzen Apparat, der dann hinzukommt. Als ob die nicht auch in den Fokus von True Crime gehörten, wenn das Konzept sich ernst nehmen sollte. Da wird es dann problematisch, weil Polizei und Justiz ihrerseits keine unschuldigen Institutionen sind. Hin und wieder durchbricht die gute, alte Gerichtsreportage diese Fokussierung (ein Genre, das durch den Terminus „True Crime“ auch überwölbt zu werden droht).

Deswegen plädiere ich dafür, die Erkenntnisse, die man aus den folgenden Sach-Büchern gewinnen kann, auch bei der Betrachtung von True Crime nicht aus den Augen zu verlieren. Da ist einmal die lange erwartete Studie von Benjamin Derin und Tobias Singelnstein: „Die Polizei. Helfer, Gegner, Staatsgewalt. Inspektion einer mächtigen Organistion“. Besonders Tobias Singelnstein, Kriminologe an der Goethe-Universität Frankfurt, ist immer wieder mit seinen brillanten Analysen zum Thema „Polizeigewalt“ angeeckt, aber nie belastbar widerlegt worden. Zusammen mit dem Rechtsanwalt Benjamin Derin legt er jetzt eine umfassende Analyse der Polizei als eine Institution im Wandel vor. Unaufgeregt und klug argumentierend, stets belegt, kommt das Buch zu dem Schluss, dass „Sicherheit“ als „Kern polizeilicher Tätigkeit“ nicht automatisch Sicherheit für alle bedeutet, denn das, was Sicherheit ist, ist „geprägt durch die bestehende soziale Ordnung, durch die Verteilung von Macht und gesellschaftliche Positionierung“.  Und die sind eben nicht „gleich“. „Konservative Hardliner“ und „Polizeihasser“ „beschreiben verschiedene Aspekte derselben Organisation“ und „gegen Teile derselben Realität wieder, nur aus unterschiedlichen Perspektiven“. Das zu verstehen, hilft auch zu verstehen, wo „Gewalt, Rassismus und Fehlerkultur“ bei der Polizei wurzeln. 

Flankiert wird diese Studie durch eine Art Chronique Scandaleuse von Jan Keuchel und Christina Zühlke: „Tatort Polizei. Gewalt, Rassismus und mangelnde Kontrolle. Ein Report.“ Auch Keuchel und Zühlke betonen, dass es nicht um einen „Generalverdacht“ gegen die Polizei geht, sondern auch um die Stärkung einer Polizei, die im Sinne der Bedürfnisse von allen Bürger:innen agiert. Die gebündelten Fälle von rassistisch motivierter illegaler Polizeigewalt, Racial Profiling oder des fragwürdigen Umgangs mit Marginalisierten und psychisch kranken Menschen zeigen die Rede von „Einzelfällen“ und „Schwarzen Schafen“ als Trugbild. Gegen die politische Verhärtung gegenüber solchen  Zuständen („Es gibt kein Racial Profiling, weil es verboten ist“, Ex-Innenminister Seehofer) setzt dieser Report auf die Kraft der Evidenz. Die gedanklichen Grundlagen für polizeilichen (und jeglichen) Rassismus fasst übrigens der französische Ex-Fußballer und jetzige Soziologe Lilian Thuram kompakt zusammen: „Das weiße Denken.“ 

Natürlich agiert auch die Polizei nicht im luftleeren Raum. Ihr engster Partner ist die Justiz, die eigentlich dafür sorgen soll, dass vor dem Gesetz alle Menschen gleich sind. Welch fataler Irrtum das ist, fächert der promovierte Jurist Ronen Steinke auf: „Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich. Die neue Klassenjustiz“. Akribisch dokumentiert zeigt Steinke, welche Vorteile es vor Gericht hat, wenn man sich teuren Beistand leisten kann, und welche Nachteile, wenn nicht. Die Lektüre ist deprimierend. Ein weiterer Vorteil von Steinkes Buch ist, dass er „Verbrechen und Kriminalität“ nicht nur bei Gewalttaten verortete, wie es True Crime meistens tut, denn die machen nur ca. 3,3% der Delikte aus, sondern auf Eigentums- und Vermögensdelikte – satte 57,7%. Daraus erklärt sich dann wieder, warum man bei jeder Shisha Bar organisiertes Verbrechen vermutet, bei VW allerdings eher selten.  

Und wenn dann noch „Rechte Richter“ dazu kommen, wie es Joachim Wagner in seinem gleichnamigen Band mit dem Untertitel „AfD-Richter, -Staatsanwälte und-Schöffen – eine Gefahr für den Rechtsstaat“ sehr kleinteilig, sehr fachbezogen, aber deswegen auch sehr überzeugend aufdröselt, wird noch deutlicher, wie brüchig die Rede vom „Rechtstaat für alle“ inzwischen geworden ist. Entgegen aller ideologisch besetzten Narrative à la von Schirach oder Zillionen von staatsfrommen Ermittlergeschichten nebst benevolenten Staatsanwaltschaften. 

True Crime – in der Tat, aber nichts als neues Bespaßungstoy, sondern bittere Realität. 

Thomas Wörtche

Benjamin Derin und Tobias Singelnstein: Die Polizei. Helfer, Gegner, Staatsgewalt. Inspektion einer mächtigen Organistion, Econ, München 2022. 438 Seiten, 24,99 Euro.

Jan Keuchel/ Christina Zühlke: Tatort Polizei. Gewalt, Rassismus und mangelnde Kontrolle. Ein Report.C.H. Beck, München 2021. 220 Seiten, 14,95 Euro.

Lilian Thuram: Das weisse Denken. Deutsch von Cornelia Wend. Nautilus Flugschrift, Hamburg 2022. 304 Seiten, 22 Euro.

Ronen Steinke: Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich. Die neue Klassenjustiz. Piper, München 2022. 272 Seiten, 20 Euro.

Joachim Wagner: Rechte Richter. AfD-Richter, -Staatsanwälte und -Schöffen: eine Gefahr für den Rechtstaat? Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2021. 194 Seiten, 29 Euro.

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