Geschrieben am 4. Oktober 2015 von für Crimemag, Film/Fernsehen

TV-Serie: The Affair

affair_TVseriesKomplizierte Wahrheitsfindungsstörungen

Mit der Wahrheit ist das immer so eine Sache: „Sometimes the only way to get at objective truth is to have multiple people tell their own version of the same event”, sagt Sarah Treem, die mit Hagai Levi die mit zwei Golden Globes ausgezeichnete Serie “The Affair” (bestes Drama; beste Hauptdarstellerin) für den US-Sender Showtime kreierte. Treem schrieb vorher an der fein ambivalent vieldeutig austarierten Serie “In Treatment – Der Therapeut” sowie an dem grandiosen Serienauftakt von “House of Cards”.

Seit Mitte August ist nun die erste Staffel von “The Affair” über den Streaming-Dienst amazon in deutscher Fassung anzuschauen. Zehn einstündige Episoden, die ganz dem obigen Motto folgend, jeweils alternierend dasselbe Geschehen aus zwei Perspektiven erzählen. Obwohl in Amerika der große Publikumserfolg ausblieb, wurde bereits eine zweite Staffel abgedreht, die im Herbst dieses Jahres auf Showtime ausgestrahlt werden wird und die zwei bislang erzählten Perspektiven um weitere erweitert.

Nun ist die Idee einer komplizierten Wahrheitsfindung nicht neu, bietet sie doch dem Krimi vor allem seinen Nährboden. Lügen, Falschaussagen, irreführende Geständnisse, falsch interpretierte, bruchstückhafte Erinnerungen verdrehen die Realität und lassen die Suche nach Wahrheit zu einer kleinteiligen, beschwerlichen, oft wirr wirkenden Mosaikbastelei werden. Überhaupt wird die Wahrnehmung wie auch die Erfahrung von Realität in objektiven Kategorien, da braucht es gar keinen methodischen Solipsismus, seit Jahrtausenden angezweifelt. So gesehen konfrontiert uns “The Affair” mit nichts Neuem, greift aber philosophische Fragen auf, die sich mit dem Sein, der Logik, Rationalität, Relativierung, Relationen, Determinismen und vor allem der Perzeption, der Erfassung und Erfahrung des Selbst, beschäftigen. In diesem so intrigant wirkenden Spiel um das denkbar Mögliche macht “The Affair” den Zuschauer selbstredend zum Komplizen, der dem Erzählten, dem Gesehenen nicht mehr Vertrauen schenken kann und sich als Spürhund selbst aus der Summe aller Kontradiktionen ein eigenes Bild zusammensetzen wird.

Doch kurz zurück zur Relativierung. Perspektivisches Erzählen, der Schabernack, den ein nicht vertrauenswürdiger Erzähler mit seinem Publikum treibt, wird hier ebenfalls nicht neu erfunden und muss sich, was allein den Film betrifft u. a. mit größeren und kleineren Meisterwerken wie “Citizen Kane”, “Rashomon”, “Babel” und vielen anderen messen. Lohnt sich also ein Blick auf die Serien-Spielerei mit Schein und Sein, mit der Unmittelbarkeit der Eindrücke, der scheinbaren Überlegenheit und allzu leichten Fehlinterpretation von Fakten?

THE AFFAIR

“The Affair” erzählt die Geschichte eines Sommers, eines Flirts, einer Liebelei, einer ganz großen Liebe. Noah Solloway (gespielt von Dominic West, dem unvergesslichen McNulty aus “The Wire”) ist vierfacher Vater und scheint ein glücklicher Ehemann, der einen Flirt lieber ausschlägt und das Glück in den legitimen, ehelichen Gefilden sucht und findet. Sein Job als Lehrer füllt ihn aus, oder auch nicht, denn nebenbei hegt er Schriftsteller-Ambitionen. Sein erstes Buch wurde zwar weder ein Publikumserfolg noch ein Liebling der Kritiker, doch immerhin ist ein Verleger interessiert genug, um Noah ein Angebot für ein zweites Buch zu unterbreiten.

Wieso Noah schreibt, aus einem inneren Antrieb, oder weil er sich vielleicht nur unbewusst mit seinem Schwiegervater, dem Erfolgsautor Bruce Butler (der ebenfalls u. a. aus “The Wire” bekannte, immer sexy John Doman) messen will, bleibt selbstverständlich Interpretationsfrage. Immerhin finanziert Butler das aufwendige Familienleben seiner Tochter, der erfolgreichen Geschäftsfrau Helen (Maura Tierney) in New York. Noah also kann seine Familie nicht ernähren, düstere Wolken liegen über dem Familienglück, und entladen sich, als Noah mit seiner Familie in die Sommerfrische ins mondäne Montauk zu den Schwiegereltern aufbricht. Dort lernt er die Kellnerin Allison Lockhart (die trotz ihres Globe-Awards irgendwie zerknautscht unscheinbar spielende Ruth Wilson) kennen, und das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Die beiden treffen sich zufällig, suchen sich, gehen sich aus dem Weg, provozieren sich, fallen übereinander her, können nicht voneinander lassen. Sie sind zwei tragisch Getriebene, füreinander Bestimmte. Wie sie auch zwei unglückliche Seelen sind, die eventuell nur die erste sich bietende Gelegenheit beim Schopfe packen, ihrem unbefriedigenden Leben zu entfliehen. Allison zumindest hatte es ganz offensichtlich nicht leicht in der letzten Zeit, ihr kleiner Sohn Gabriel ertrank im Meer und ihr cooler, tätowierter Ehemann Cole (Joshua Jackson) verarbeitet die Trauer um das verlorene Kind anscheinend wesentlich besser als sie selbst.

Neben den jeweils halbstündig erzählten Perspektiven, die Noahs und Allsions Affaire unterschiedlich, aber, was die Plotentwicklung betrifft, insgesamt recht zäh präsentieren, fährt “The Affair” noch eine weitere Erzählebene auf, denn (un-)eigentlich wird in einem Mord oder zumindest einem verdächtigen Todesfall ermittelt. Detective Jeffries (Victor Williams), der zwei Töchter oder zwei Söhne haben könnte, vernimmt Allison und Noah in einem kleinen, ungemütlich sterilen Verhörraum. Sie sind Zeugen oder Tatverdächtige, und warum sich der Detective auf nahezu voyeuristische Weise vornehmlich für die Beziehung, vor allem auch die sexuelle Beziehung der zwei interessiert, wird auch nach 10 Folgen nicht aufgeklärt sein.

Und überhaupt hat man nach diesen 10 “Affair-”Stunden, die ein tiefsinniges Schauerlebnis vorflunkern, kaum noch Interesse an der Wahrheit oder deren erwägenswerten Interpretationen. Diese schiebt uns “The Affair” nämlich gern an kleinen, delikaten Details unter. Verbarg Allsions Rock züchtig ihre Knie (Allisons Version) oder endete er sexy und knapp unterhalb des Pos (Noahs Version). Trug sie einen Schal oder eröffnete ihr Ausschnitt Berg- und Tallandschaft. Wie war die Absatzhöhe und trug Noah nun ein Holzfäller- oder ein Managerhemd? Selbstverständlich gesellt sich durch das suggeriert unmittelbare Erzählen in der Rückschau auch noch die Komponente des (trügerischen) Erinnerns dazu. Wie auch die aus “The Treatment” entnommene Idee, dass ein Geständnis, das Sich-Etwas-Von-Der-Seele-Reden den Druck nimmt und Ordnung schafft. Doch Sätze wie: “Ich wusste nicht, wo ich hingehörte” oder “Männer sind immer Getriebene” eröffnen keinerlei noch so schmalen Pfad ins geheimnisvolle Dickicht des großen Ganzen. Wer also war am Ende eigentlich an was Schuld? Natürlich wird das nicht geklärt, das Interesse aber an einer Antwort auf die aufgeworfenen Fragen hat sich sonderbarerweise zu guter Letzt beträchtlich verflüchtigt

Anna Veronica Wutschel

The Affair (2014), TV-Serie. 10 Folgen, 1. Staffel. Deutsche Ausstrahlung auf Amazon Instant Video. Trailer zur Serie.

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