Geschrieben am 15. Juni 2016 von für Crimemag, Film/Fernsehen

TV-Serie: Game of Thrones

Kopf ab!

In der sechsten Staffel von „Game of Thrones“ herrscht erzählerische Ratlosigkeit. Claudia Schwartz wünscht Amerikas erfolgreichster Serie einen schnellen, schmerzlosen Tod.

Seit dem Beginn geht es in Amerikas populärster Serie um Macht. Um die Macht der Figuren, die im existenziellen Kampf um den eisernen Thron Wahrheit und Täuschung mehr oder weniger glücklich einsetzen. Um die Macht des Autors, wenn er unsere Sympathieträger allzu früh in den Tod schickt. Um die Macht der Erzählung, die uns bald über sechzig Stunden an den Bildschirm fesselt. Um die Macht des US-Präsidenten, der sich als Erster die neue Staffel ansehen darf. Und zusehends um die Macht des eigenen Erfolgs, der die Kunst in Bedrängnis bringt.

Seit aber der Autor George R. R. Martin mit seinem Geständnis, dass die Fortsetzung seines Romanzyklus «A Song of Ice and Fire» nicht rechtzeitig vor dem Start der sechsten TV-Staffel fertig sein würde, die Hierarchie der Künste auf den Kopf stellte, scheint diese Serie vom guten Geist verlassen. Dabei hatte sie bis dahin in epischem Drang und dramaturgisch geschickt ein bewundernswertes Beispiel dafür abgegeben, wie das Fernsehen eine neue Qualität des Erzählens entwickelt.

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Zwar bemühten sich noch im Januar die Serienmacher eiligst, das fatale Auseinanderdriften von Buch und Film herunterzuspielen, und versicherten, von Martin über das Ende seines Romanzyklus ins Bild gesetzt worden zu sein. Aber eine großartige Filmerzählung ist eben mehr als die Summe ihres Plots. „Game of Thrones“ergründet auf faszinierende Weise den Wesenskern des Menschen im reflexiven Handlungsspielraum von Vorsehung, Verfehlung, Machtgier und Idealismus.

Die Erklärung, dass die neue Staffel auf in den vorangegangenen Buchbänden herausgestrichenen Episoden beruht, verhieß schon einmal nichts Gutes. Tatsächlich arbeiteten sich die zahlreichen Handlungsebenen nur schwerfällig und uninspiriert aus den jeweiligen Cliffhangern heraus, mit denen sie zum Ende der fünften Staffel in die monatelange Sendepause geschickt worden waren. Die Wiederbelebung des bereits totgeglaubten Jon Snow durch Zauberei war dann von jämmerlichem intellektuellem und inszenatorischem Niveau.

George R. R. Martin

George R. R. Martin

Wie so oft bei überzeugenden Literaturverfilmungen besteht ein Vorzug von „Game of Thrones“im eigenen innovativen Zugang zum Stoff, hier konkret: im weitgehenden Verzicht auf die in den Romanen ungleich höher gewichteten Fantasy-Elemente. Wo die Serie bisher eine zeitgemäße, realistische Qualität auszeichnete, fallen nun also zombiehafte Wiedergänger en masse ein.

Dieses wilde Herumgeistern vermag allerdings nicht abzulenken von der allgemein herrschenden Einfallslosigkeit. Ganz im Gegenteil drehen sich derzeit die tragenden Figuren blutleer und unmotiviert im Kreis, als wüssten auch sie nicht mehr so recht, wo’s langgeht in den sieben Königreichen.

Unter dem Druck der Fankultur

Während der arme Schöpfer nun seinerseits unter dem Druck einer ungeduldigen Fankultur anfängt, einzelne Kapitel des neuen Buchs auf seiner Website zu veröffentlichen, verdichten sich die Meldungen, wonach die letzten beiden Staffeln insgesamt nur noch dreizehn Folgen umfassen sollen, wo ursprünglich deren zehn eine Saison bildeten.

Das deutet auf langsames und quälerisches Sterben eines unter die Räder des kommerziellen Erfolgs geratenen Kulturproduktes hin. Wo bleibt da – „in the name of the old gods and the new“ – die Demut vor der Kunst? Bücher sollte man lesen, wenn sie fertig sind. Und alle Serien müssen sterben. Valar morghulis!

Claudia Schwartz
Mit freundlicher Erlaubnis des Verlags der „Neuen Zürcher Zeitung“.
Claudia Schwartz ist bei der NZZ als Autorin federführend für Fernsehkritik und Fernsehserien. NZZ-Artikel von Claudia Schwartz, ihre Präsenz auf Twitter.

Claudia Schwartz über „Game of Thrones“:
April 2016: „Game of Thrones VI“: Wer dies überlebt, ist mehr als stark
Januar 2016: Ewig dauerts bis zum Frühling.
Februar 2015: Macht und Gefühl. „Game of Thrones“ ist Amerikas bisher erfolgreichste TV-Serie. Woher rührt die Faszinationskraft einer Serie, die im historischen Gewand ganz zeitgemäß Familienquerelen ausbreitet?

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