Geschrieben am 3. Oktober 2009 von für Crimemag, Porträts / Interviews

Thomas Raab beim “HarbourFront”-Festival

Spielendes Kind im Sandkasterl

Eigentlich war nur ein Interview mit Thomas Raab geplant, dann aber wurde eine Art kleines Manifest von Peter Münder über Plaudereien, Alfred Polgar und richtige Kriminalliteratur daraus …

Ist er als ehrgeiziger Tabu-Verletzer angetreten, um das Krimi-Genre mal ordentlich durcheinander zu wirbeln? Wollte Thomas Raab mit seiner komischen Figur des Möbel-Restaurateurs und Freizeit-Ermittlers Willibald Adrian Metzger zeigen, dass die Zeiten eines hardboiled private eye wie Philip Marlowe oder Sam Spade vorbei sind, weil es heute nicht mehr um die hartnäckige Suche nach einem kriminellen Täter, sondern eher um die weichgespülte, groteske Satire geht, weil die aus den Fugen krachende österreichische Provinz mit ihren geradezu mittelalterlich-intransigenten Familienbanden sowieso völlig unkontrollierbar und unüberschaubar geworden ist?

Haifischerl

Bei der vom Zeit-Kolumnisten und „Krimi-Bestenliste“-Sprecher Tobias Gohlis spannend und informativ moderierten Lesung im Hamburger Kesselhaus im Hafencity-Center brillierte der sympathische, mit einer enorm positiven Ausstrahlung ausgestattete Raab, 39, nicht nur mit einer schauspielerischen Glanzleistung, er verblüffte auch mit seinen Antworten. Die laufen nämlich auf den „Sandkisterl-Faktor“ hinaus: „Ich bin doch nur das spielende Kind im Sandkisterl“, meinte der milde lächelnde Raab. Das Tolle an diesen Sandkisten-Aktivitäten sei doch: „Niemand kommt und macht mir Vorschriften, was ich jetzt zu tun habe! Ich kann ungestört spielen und dabei mit allen möglichen Ideen experimentieren. Wenn ich schreibe, bin ich wie im Fieberwahn, dann vergesse ich alles andere. Meine Frau ist dann sehr zu bedauern; dass sie das aushält, ist absolut bewundernswert!“

Übrigens schreibt Raab seine Bücher in einem kommoden Wiener Kellerraum, der seine Phantasie beflügelt. „Da unten sah ich dann plötzlich über mir die beiden Haifischerl ihre Bahnen ziehen, die unterhielten sich über die Monotonie ihres Daseins im Wasser und darüber, ob es außerhalb ihres Beckens abwechslungsreicher wäre. Das Gegen-den-Strom-Schwimmen verwerfen sie ja dann aber und drehen weiter ihre eintönige Runden.“

Mit fundierten Theorien oder systematischen Tabuverletzungen hat er jedenfalls nichts am Hut. Schließlich sei er früher Legastheniker gewesen, habe Sport und Mathematik studiert, sich als Sänger, Pianist und Komponist betätigt und dann eines Tages mal aus lauter Langeweile einfach mit dem Schreiben angefangen. „Das würde ich Ihnen übrigens auch empfehlen“, erklärte Raab den Zuhörern, die sich auch aufs Schreiben kaprizieren wollten, „nicht lange überlegen, sondern einfach drauflos schreiben!“

Es ist schon kurios: Den Hinweis von Tobias Gohlis auf die beiden anderen bekannten österreichischen Krimi-Schreiber mit starkem Faible für Situationskomik empfindet Raab als große Ehre, „denn nach nur drei Romanen mit den berühmten Kollegen Wolf Haas und Heinrich Steinfest verglichen zu werden, das hätte ich mir nie träumen lassen“. Andererseits möchte er sich beim Schreiben nur „a bisserl austoben“.

Fingerl

Das sei ihm natürlich auch gegönnt – aber wo bleibt der Spannungsbogen, der Nervenkitzel, den man von einem Krimi doch wenigstens sporadisch erwarten dürfte? Der Metzger fährt in die Provinz, um seine Danjela in einer Kurklinik zu besuchen. Die braucht nämlich moralischen Beistand, weil man hier gleich zwei Wasserleichen in den Schwimmbecken fand: Eine im Becken für die Gäste, eine andere im Becken für die Haifischerl. Der Metzger muss also von seiner kleinen Pension mit dem Rad bergab fahren, um in diese Klinik zu gelangen und landet sofort im Gras, weil er die Bremse nicht findet – es gibt nämlich keinen Rücktritt. Dann entdeckt er im Grünen einen roten Wurm, der sich als abgetrennter Ringfinger mit dazu gehörendem Ring entpuppt. Solche effektheischenden drolligen Szenen reiht Raab unermüdlich aneinander – das ist sein Konstruktionsprinzip und soll offenbar einen stringenten Plot ersetzen. Immerhin stößt der Metzger dann auf die düsteren Familienfehden und Intrigen des Friedmann-Clans („Verschollene, Verstorbene, Verstoßene“) die für das unerklärliche Verschwinden einiger Kinder und für diverse Todesfälle verantwortlich sind.

Man könnte sich ja einfach mit diesem Grund-Dissens abfinden und sagen: Warum soll er nicht seinen komischen Krimi, garniert mit putzigen Petitessen schreiben, der sympathische Thomas Raab? Ist das Leben nicht oft genug ein tristes Jammertal? Kommt uns da ein unbedarfter, tölpelhafter Möbeltischler nicht gerade recht, der für Amüsement und gute Laune sorgt? Und dann noch im Gespann mit der kroatischen Stimmungskanone Danjela („ist ziemlich schlechte Überlebendendurchschnitt hier in Kuranstalt bei zwei Leichen pro Woche“), die trotz ihrer beeindruckenden Korpulenz behände über Außenbalkons klettert und in leerstehenden Gästezimmern herumschnüffelt? Nein – ich finde, Raab unterschätzt das kritisch-aufklärerische Potential des Krimis, er setzt zu einseitig auf den kuriosen Spaß-Faktor, um eine betuliche Biedermeier-Spielwiese mit ziemlich uninteressanten Figuren und irritierenden Handlungssegmenten vor uns auszubreiten.

Metzgerl

Aber offenbar schätzen österreichische Leser die sanfte, mit ironischen Eskapaden, grotesken Einfällen und paradoxen Spitzfindigkeiten angereicherte sanfte Tour: Was Wolf Haas und Steinfest mit ihren Krimis vormachten, das scheint Thomas Raab offenbar noch auf die Spitze treiben zu wollen. Hier ist von spannender Action, einem ehernen Kausalitätsprinzip oder schweißtreibenden Ermittlungen jedenfalls nichts mehr zu spüren. Der bedächtige Stoiker Willibald Adrian Metzger schlurft durchs Leben, zimmert an seinen Tischchen und Schränkchen herum und rasselt irgendwie zufällig in diverse Kalamitäten (Fußball-Hooligans in Der Metzger sieht rot, problematische Familienbande in Der Metzger geht fremd), die sich dann auch irgendwie von selbst erledigen. Der Metzger auf der Spur eines kriminellen Kartells oder in einem gefährlichen Duell mit einem Bösewicht – das ist jedenfalls nicht vorstellbar. Kann man diesen harmlos-verstörten, blauäugigen Metzger daher überhaupt noch als klassischen Ermittler betrachten? „Na ja, wer ist denn schon ein perfekter Ermittler?“, fragt Raab. „Sind wir eigentlich nicht alle Privatdetektive? Schnüffeln wir nicht alle den Nachbarn hinterher, belauern wir nicht permanent unsere Umwelt, den Fahrer im Auto neben uns? Wann ermitteln wir denn eigentlich nicht“? So unterläuft Thomas Raab alle kritischen Fragen zum Krimi-Genre. Er hat einfach eine völlig andere Erwartungshaltung und Absicht. Ist er vielleicht ein verkappter Feuilletonist der alten Schule, der einen elegant-eloquenten Stil pflegen und das auf Hochglanz polierte schöne Nichts möglichst dekorativ verpacken will?

Nagelpickerl

Über einen Plot mache er sich keine großen Gedanken, erklärte Thomas Raab nach der Lesung noch beim Bier in der gemütlichen Bar auf dem legendären Clipper „San Diego“, dem Treffpunkt der Harbour Front– Literaten. Wenn der Metzger etwa seinen Koffer auspackt und zufällig auf das Nagelpickerl (Nagelschere) seiner Mutter stößt, dann könnte sich daraus später wieder eine kleine Episode ergeben. Das Demaskieren gesellschaftlicher Krisen oder gefährlicher Machenschaften krimineller Gruppen, die Beschreibung gefährlicher Entwicklungen gerät bei Thomas Raab ebenso wenig in den Fokus wie etwa die Schilderung eines kaltblütig ausgeführten Bankraubs oder die gnadenlose Jagd auf einen Täter. Bei Raab ist die Frage nach dem Täter und seinen Motiven eher belanglos – entscheidend sind meistens die komischen Effekte.

Das Kisterl, die Haifischerl, ein Bomberl für den Cholesterinspiegel, das Nagelzwickerl: In einer Welt putziger Episoden und gefälliger Nichtigkeiten, die auch durch zufällig gefundene Leichen nicht weiter irritiert wird, ist fast alles beliebig-lustig. In diesen kuriosen Kosmos drolliger Diminutive passt auch kein Spannungsbogen. Wer glaubt, in einem Krimi gehe es auch um Schuld und Sühne, Verbrechen und Strafe, Täter und Opfer, Ermittlungen und Action, der ist bei Thomas Raab und seinem Willibald Metzger jedenfalls an der falschen Adresse. Seine drei Metzger-Romane passen in keine der gängigen Schubladen, was dazu führt, dass manche Kritiker mit ihnen etliche Probleme haben.

Always look o­n the bright side of life: „Mich hat das Leben bisher so gut behandelt“, erklärte der von seinem großen Erfolg selbst sehr überraschte Raab, „dass ich deswegen auch nicht dazu tendiere, düstere Szenarien zu entwickeln, Sie sollten meine Texte auch nicht allzu ernst nehmen“, meint er mit einem strahlenden Lächeln.

Aber …

Erfreulich ist allerdings, dass Raab seine Leser zwar permanent mit amüsanten Episoden unterhalten will, dass er dabei aber auch auf originelle Einfälle verfällt, die seinen Lesern reichlich Phantasie abverlangen. Ein Beispiel: Nachdem sich Metzgers Freundin, die kroatische Hausmeisterin Danjela Djurkovic zur Kur in die Provinz begeben hat und das Ambiente in ihrer Kurklinik beschrieben wurde, schiebt Raab einen Dialog von Anton & Ernst ein, in dem es um die gepflegte Langeweile der beiden geht und um ihren Versuch, sich ein Bild von der Außenwelt zu machen. Kleine Kostprobe:

„Anton: ‚Schlecht ist mir vom ewigen Rundherum! Es ist alles immer dasselbe, tagaus, tagein!…’
Ernst: ‚Glaubst du, da draußen ist es anders? Abgesehen davon, kannst du ja jederzeit die Richtung ändern und gegen den Strom schwimmen, den übrigens wir selber erzeugen. Ich kann dir aber jetzt schon versichern, es wäre wieder nur dasselbe Rundherum! Selbst die größten Revoluzzer landen irgendwann in der trostlosen Kreisbewegung des Alltags’…“

Wer kommt da schon auf die Idee, dass sich hier die beiden Haifischerl Anton & Ernst unterhalten, die in ihrem Becken in der Klinik ihre Runden ziehen?

Vielleicht steht der in Wien lebende Autor Raab auch – ohne es als Legastheniker a.D. richtig gemerkt zu haben – in der Tradition der bekannten Wiener Kaffeehaus-Literaten und Feuilletonisten, die das hübsche Wortspiel, die sanftmütige Plauderei und die großzügig ventilierte heiße Luft mehr schätzten als die erbitterte Polemik? Einige amüsante Episoden und originelle Einfälle können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Invektiven des brillanten Wiener Sprachartisten Alfred Polgar, die vor rund hundert Jahren gegen das hochpolierte, nichtssagende Wiener Feuilleton gerichtet waren, streckenweise auch auf Raabs hundert Jahre später geschriebene Krimis zutreffen.

„Das Wiener Feuilleton“, schrieb Polgar 1906, „hat nicht Hand und Fuß, sondern Händchen und Füßchen, es geht nicht, sondern es hüpft. Es lacht nicht, sondern es lächelt… Es verdunstet sofort vom Gehirn, auf das man es schüttet. Man ist mit dem Lesen fertig und spürt nichts davon. Was stand in diesen sechs tadellos plissierten Spalten? Eine Minute nach beendeter Lektüre weiß man darauf keine Antwort mehr. Man weiß nur, daß alles liebenswürdig und grazil war…Erst die Sprache und dann der Gedanke. Das Primäre ist das Geplauder; das Sekundäre: das ‚Worüber’. Man hat den Eindruck, daß zuerst das Sprachgewässer da war und dann durch allerlei Hineingeworfenes in sanfte wellige Bewegung versetzt wurde…Nichts ist hoch, groß, fern, stark alt, tragisch genug, daß es im Wiener Feuilleton nicht zu einem Brei, zur literarischen Kost für Zahnlose zerplauscht würde“.

…. das Leben ….

Wenn wir hier also gegen das wieder in Mode kommende seichte Zerplauschen und für spannende Plots mit zupackenden Schnüfflern in eher klassischer Krimi-Tradition plädieren, dann liegt das nicht nur an Raabs tischlerndem, in komische Episoden schlurfendem Metzger. Es hat auch damit zu tun, dass wir in diesen krisengeschüttelten Zeiten, da die geballte systemrelevante kriminelle Energie von Lehman Brothers, HRE & Co. kaum noch zu bändigen ist, uns wieder nach unbestechlichen Typen sehnen, die den Mut aufbringen, die Ärmel hochzukrempeln, um den sich global ausbreitenden Augiasstall auszumisten. Es muss ja kein Ritter in schimmernder Wehr sein, der im Stile eines Philip Marlowe „durch diese schäbigen Straßen gehen muß“.

Man wird doch noch an großartige Krimi-Meister wie Lee Child und seinen grandiosen, knallharten Einzelkämpfer Reacher, an David Peace (Tokio im Jahr null) oder an den genialen Chinesen Qiu Xiaolong (Blut und rote Seide) und seinen sensiblen Schöngeist Inspektor Chen erinnern dürfen, dessen gesunde Aversion gegen unersättliche, neureiche Kasino-Kapitalisten geradezu herzerfrischend ist?! Diese Ermittler agieren allerdings, wie Raab sofort kontern würde, in einem gänzlich anderen, brutalen Kosmos, in dem weder Sandkisterl noch Kalorienbomberl oder Nagelpickerl existieren.

Peter Münder
Zur Homepage von Thomas Raab