Geschrieben am 1. November 2022 von für Crimemag, CrimeMag November 2022, News

Thomas Groh über die St. Pauli-Filme von Rolf Olsen

St. Pauli. Wenige Orte in Deutschland haben so einen Klang. Hier lockt das Versprechen auf die Große Freiheit mit dem Klimpern einer Straßenprostituierten auf der Suche nach dem nächsten Kunden. Oft genug ist der Preis, den man dafür zahlt, der Große Absturz. St. Pauli, das ist der Unterleib Deutschlands. Vielleicht auch sein triebhaftes Es. Tage außerhalb der Zeit, Raum außerhalb des Raums. Interzone. Der Ort, an dem Glücksritter nach den Sternen greifen und doch nur in der Gosse landen. Wo man ganz groß rauskommt – fragen Sie diesbezüglich in Liverpool nach – oder für immer untergeht. Wo man die Freiheit liebt – seit 1650 gilt hier die Religionsfreiheit, seitdem zieht es die Ausgestoßenen und Herumtreiber hierher -, der Alkohol und alle anderen Säfte des Teufels fließen – und wo der Serienmörder Fritz Honka seine Opfer fand. Manch einer kam als idealistischer Anarchist hierher – und betätigte sich am Ende als skrupelloser Kapitalist des Fleisches.

St. Pauli, die Hure Babylon – gleich neben der zweiten Hure Babylon des 20. Jahrhunderts, dem Kino, das sich von den Lichtern der Reeperbahn und dem Heulen der Sirenen rund um die Davidwache immer wieder angezogen fühlte. Schon 1932 entstand “Razzia in St. Pauli” unter der Regie von Werner Hochbaum – 1933 zogen die Nazis den unsittlichen Streifen aus dem Verkehr, beendeten damit aber noch lange nicht den Flirt des Kinos mit diesem Viertel, dessen Name als werbeträchtiges Signal für einschlägige Attraktionen abseits bürgerlicher Disziplin viel zu verführerisch blieb. Hans Albers vergnügte sich 1954 “Auf der Reeperbahn nachts um halb Eins” (wie auch schon ein Film aus dem Jahr 1929 hieß und 1969 erneut ein Film von Rolf Olsen).

Dem Albers-Film folgen mehr oder weniger harmlose Lustspiele oft mit bayerischem Einschlag (“Zwei Bayern auf St. Pauli”, 1956) oder nach Schlagerfilm-Facon (“Heimweh nach St. Pauli”, 1963). Ab Mitte der Sechziger kommt allmählich Fahrt auf: Kolportage-Meister Jürgen Roland legt mit “Polizeirevier Davidswache” die Spur ins Milieu, fortan herrscht Konjunktur – befeuert wohl auch dadurch, dass sich das Viertel in den Illustrierten und Zeitungen der Bundesrepublik längst als argwöhnisch beäugter Hotspot der Popkultur etabliert hat.

Während sich das bundesdeutsche Kinopublikum in den großen Kinosälen von Edgar Wallace in ein vernebeltes Schwarzweiß-London-Simulakrum entführen lässt und mit Winnnetou & Co. den Wilden Westen in den Schluchten Jugoslawiens entdeckt, locken die skrupelloseren Geschäftemacher unter den Filmproduzenten mit allem, was der Hamburger Berg hergibt, in halbseidenere Lichtspielhäuser: Filmtitel wie “Mädchenjagd in St. Pauli”, “Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn”, “Straßenbekanntschaften auf St. Pauli” und dergleichen mehr dürfen als Signale verstanden werden: Kriminalität und Nuditäten paaren sich hier mit einem Schuss sozialem Realismus – oder was man dafür hielt. Wenn es in der Bundesrepublik je ein waschechtes Pulp-Kino gegeben hat, das seine grellen Sensationen rasch runtergekurbelt und volksnah präsentierte – dann hier. Der Softporno Marke Schulmädchen, wie er in den 70ern dominant wurde, war nach ersten Erfolgen im Grunde rasch wieder eine sehr spezielle Nischensache, zugeschnitten auf eindeutige Reize und Bedürfnisse – was sich schon im dafür einschlägigen Episoden-Format zeigt, für das man sich wahrscheinlich auch aus buchstäblich handfesten Gründen entschied.

Der bereits erwähnte Rolf Olsen zählte zu den hartnäckigsten und produktivsten Pauli-Filmern um 1970. So konsequent wie kein zweiter schlachtete der 1919 geborene Österreicher das Vergnügungsviertel in hoher Schlagzahl aus. Man könnte von einem ganzen Olsen-Pauli-Zyklus sprechen. Mit “Der Arzt aus St. Pauli” (1968), “Der Pfarrer von St. Pauli” (1970) und “Käpt’n Rauhbein aus St. Pauli” (1971) liegen nun drei Filme dieser Schaffensperiode in qualitativ hervorragenden BluRay-Editionen (und  günstig zum Leihen auf AmazonPrime) vor. In allen dreien stapft Curd Jürgens als unbeirrbar deutsche Eiche grummelnd, maulend und letzten Endes auch fummelnd durchs Bild. Hätte man noch “Auf der Reeperbahn nachts um halb Eins” (1969) und “Das Stundenhotel von St. Pauli” (1970) dazu gelegt, wäre Olsens Werkuntergruppe “Curd Jürgens auf St. Pauli” vollständig. Aber auch ohne Jürgens tummelte sich Olsen im Milieu (“Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn”, 1967 – auf BluRay von Subkultur Entertainment). Nebenbei und drumherum fand der umtriebige Schnell- und Vielfilmer mit der charakteristischen Zahnlücke noch Zeit, auch in anderen Provinzen des deutschen Trivialfilms seine Felder zu bestellen.

Ohnehin ist Rolf Olsen ein noch weitgehend unentdeckter oder zumindest nicht angemessen beschriebener Kontinent der deutschsprachigen Filmgeschichte. Eine Retrospektive wäre längst überfällig. Zu entdecken ist einer der wandlungsfähigsten, wendigsten und atemberaubendsten, vielleicht sogar: anarchischsten Regisseure seiner Sparte – und vor allem ein begeisterter Kartograf bundesdeutscher Sündenpfuhl-Fantasien: Die Reise beginnt am Königs- und Neusiedler See im Tanten- und Nichten-Kino um 1960, er reist mit ihnen in die Südsee, lässt die Tanten aber bald Tanten sein und reitet im Krautwestern nach Santa Cruz (1964), weiß aber dann: “In Frankfurt sind die Nächte heiß” (1966). Zwischenstation als Darsteller für “00-Sex am Wolfgangssee” (1966), dann ab zum “Spukschloss im Salzkammergut” (einem haarsträubend witzigen Schlagerfilm, ebenfalls 1966) und in die aufstrebende Popszene Münchens (“Das Go-Go-Girl vom Blowup”, 1969),  wo er sich fit macht für seinen langen Aufenthalt rund um die Reeperbahn, unterbrochen von einem Abstecher als Drehbuchautor zu den “Jungen Tigern von Hongkong” (1970). Nach dem langen Gastspiel auf St. Pauli gerät Olsens Filmografie ins Trudeln: Sein Bankraubfilm-Meisterwerk “Blutiger Freitag” (1972, angesiedelt wieder in München) gilt als letzter großer Wurf, es folgen der Abstieg ins Milieu der reißerischen Schocker-Dokus Marke Mondo und verstreute Werke, die allerdings allesamt eher weniger als mehr verfingen.

Als würdiger Abschluss im Schaffen Rolf Olsens darf wohl sein Auftritt in Helmut Dietls 80s-TV-Klassiker “Kir Royal” gelten, wo er einen hektisch-überdrehten Regisseur und damit mutmaßlich ein bisschen auch sich selbst spielen durfte. Zumindest vermitteln all seine mir bekannten Filme eine kurzatmige Getriebenheit und eine Lust an der Geschwindigkeit, die im deutschen Kino selten anzutreffen ist. Einen Gutteil dazu mag auch die gefrässige (Hand-)Kamera seines langjährigen Weggefährten Franz Xaver Lederle beitragen, die sich immer wieder und ohne Rücksicht auf Schattenwurf ins Bild hineinstürzt ins oft hart frontal ausgeleuchtete und also von spiegelnden Scheinwerfern verzierte Geschehen und sich mit langwierigen Schuss-Gegenschuss-Konfigurationen oft gar nicht erst aufhielt, wenn ein schneller Reißschwenk doch den selben Effekt hat.

Dazu passt Olsens hart durchgetakteter Terminplan: Seine Filme entstanden binnen weniger Wochen, kamen wenige Wochen nach Drehende auch schon ins Kino – und während die Filme gerade anliefen, drehte Olsen schon längst irgendwo zwischen Salzkammergut und “Shocking Asia” (1981) seinen nächsten Film. Hinzu gesellt sich eine offenkundige und ansteckende Freude am Trivialien , während man von einigen seiner Kollegen im selben Feld zumindest Anekdoten hört, dass sie ja eigentlich viel lieber “richtige Filme” hätten drehen wollen. Kurz: Nicht selten haben Olsen-Filme eine wendige Spritzigkeit, die sie bis heute schwer unterhaltsam macht – während viele andere deutsche Unterhaltungsfilme dieser Zeit doch spürbar aus spreiselndem Holz gezimmert sind.

Aus Holz – oder zumindest aus nussbraun-deutschen Wohnzimmerschrankwänden mit Mini-Bar – gezimmert wirkt auch Curd Jürgens auf seinen von Reiseleiter Olsen organisierten Ausflügen nach St. Pauli. Lebemann Jürgens ist hier bereits spürbar im Herbst seiner Karriere angekommen – wahrt aber im Großen und Ganzen noch sein Gesicht, das er erst in Ulli Lommels bizarr-psychotronischem Hahnrei-Reißer “Der zweite Frühling” (1975) nach allen Regeln der Bahnhofskino-Kunst verlieren sollte. Olsen weiß genau, was er an Jürgens’ Statur und Ruf – und nicht zuletzt an dessen brütender Altherren-Melancholie – hat. Dass er in “Der Arzt von St. Pauli” und “Der Pfarrer von St. Pauli” jeweils die zentralen Autoritätsfiguren in der Lebenswelt vieler bundesdeutscher Spießbürger verkörpert, ist gewiss kein Zufall. 

In “Der Arzt von St. Pauli”, für den Olsen geschickt das in den 50ern populäre Genre des Frauenarzt-Films ins zeitgenössische Gewand des Kolportage-Reißers kleidet, ist Jürgens denn auch gleich der gute Engel des Hamburger Vergnügungsviertels: Als Arzt Dr. Diffring steht er bedrängten Prostituierten bei ihren Alltagssorgen bei, schlägt schwere Jungens tatkräftig in die Flucht und wirft sich für einen Matrosen ins Zeug, der unschuldig eines Mordes bezichtigt wird. Ganz im Gegensatz dazu Jürgens Bruder, ein Frauenarzt der schmierigen Sorte, der junge Frauen, die sich wegen einer ungewollten Schwangerschaft sorgenvoll an ihn wenden, schamlos einem Ring von Frauenhändlern und Orgienmeistern zuführt, wenn er sie bei Menschenschlachtereien in seiner Praxis nicht gleich selbst umbringt. Schnell wird klar: Der Mord und Differings Bruder – das hängt zusammen. Die Ereignisse überschlagen sich, die Zahl der Toten nimmt fortlaufend zu.

“Wir sind hier doch nicht in Chicago”, brummt Jürgens an einer Stelle – und findet sich selbst bald nach Chicagoer Methode in einem Gangster-Versteck von der Decke baumeln, während ihm eine jecke Gestalt mit einem Bunsenbrenner fröhlich den Hintern ankokelt (auf eine sonderbare Arsch-Fixiertheit stößt man in diesen Filmen immer wieder). Mit dieser abwehrenden Brummigkeit aus deutschen Wohnstuben bringt Jürgens gut auf den Punkt, dass er in diesem Film eigentlich noch ein Fremdkörper ist – nicht nur ist er für Olsens Vorstellung von schneller Kolportage als fast 60-jähriger Grummel-Baum eigentlich viel zu langsam und eher ein (allerdings interessantes) Hemmnis. In den so wunderbar wahnwitzigen wie hinreißend naiven Actionszenen, in die der Film mündet, ist Jürgens dann auch eher fuchtelnder Zaungast als ein Held. Außerdem wirkt er auch als moralischer Leuchtturm, der eher bescheidenen Lastern nachgeht, und als Stimme der Vernunft in Olsens lustvoll ausgekostetem Morast aus Sünde und Kriminalität eher deplatziert.

“Have your cake and eat it too”, das könnte man als Motto über diesen Reißer stellen: Der entrüstete Bürger, der aus der Illustrierten von all dem hört, was auf Sexpartys der Reichen und in Hinterzimmern auf St. Pauli vor sich geht, bekommt hier mit Jürgens einen verlässlichen Anker, um vor sich (und vielleicht auch den Nachbarn, die man nach dem Kinobesuch auf der Straße trifft) zu rechtfertigen, dass er sich von diesen Abgründen zumindest aus zweiter Hand ein eigenes Bild gemacht hat (und insgeheim dabei auf seine Kosten gekommen ist). So sind denn auch die Szenen rund um eine verdrogte Sexparty, bei der mit Spionagekameras auch ein Hauch von großer weiter Welt Marke James Bond in den Film Einzug hält, spürbar als halbseidenes Spektakel angelegt, das man genießen kann, um im Anschluss das Gezeigte nur noch entschlossener zu verurteilen. 

Christiane Rücker (rechts) in “Der Arzt von St. Pauli” © ucm.one

Ähnlich auch der Fall in “Der Pfarrer von St. Pauli”, der diese fröhliche Schizophrenie fast schon parodistisch auf die Spitze treibt. Schon die Intro-Szene grenzt an Psychotronik: Um dem Publikum begreiflich zu machen, dass ein Schwerenöter wie Jürgens hier den Pfaffen gibt, wird gleich der Zweite Weltkrieg aufgerufen. In dessen letzten Tagen droht ein von Jürgens kommandiertes U-Boot der Wehrmacht abzusaufen – ein eilig an die Adresse des lieben Gottes ausgesprochenes Gelübde, dem die wundersame Rettung der Soldaten auf schnellstem Fuße folgt, führt dazu, dass Jürgens sich knapp 20 Jahre später als von Rom entsandter Generalsachverständiger für Seelenheil-Schieflagen aller Art auf St. Pauli herumschlägt. Als solcher hält er Brand-Predigten vor Prostituierten oder schaut auch mal bei den Hippie-Schluffis vorbei, die sich in einer Dachgeschosswohnung mit Nackt-Tanz, LSD-Experiment und APO-Parolen ihre Zeit vertreiben und für den klerikalen Besuch nur Hohn und Spott übrig haben, nachdem Lederles Kamera rein aus Chronistenpflicht ausgiebig festgehalten hat, dass auf solchen Happenings auch mal oben ohne getanzt wird.

Auch ansonsten besteht der Alltag des Pfarrers aus Kummer und Sorgen: Ein italienischer Gastarbeiter gesteht ihm einen Milieumord, Zuwendung benötigt auch eine junge schwangere Frau, die ihre missliche Lage samt sich selbst in der nahen Elbe ertränken wollte. Beides führt Jürgens auf die Spuren eines Syndikats, das im Milieu krümmste Dinger dreht. Dieses wiederum nutzt seinen Einfluss und lässt den Pfarrer von St. Pauli in eine frömmelnde Inselgemeinde strafversetzen. Dort muss er nun erstmal die Ablehnung der Gemeinde überwinden, die aus nicht näher nachvollziehbaren Gründen meint, mit einem Pfarrer aus St. Pauli einen waschechten Hurenbock vorgesetzt bekommen zu haben, bevor er zurück an der Elbe den Gangstern das Handwerk legen kann. 

Schon wegen des frommen Jürgens in Robe ist der Film eine Schau. Sein modrig-morsches Moralisieren – zugleich frönt der Pfarrer gerne auch mal einem Tässchen “Tee – aber mit Rum” – steht vollends quer zu der Lust am Spekulativen, die diesen Film auszeichnet. Haarsträubend dann auch, mit welcher Unbekümmertheit Olsen gleich mehrere Topoi des bundesrepublikanischen Nachkriegskinos zu einem wahren Frankenstein-Monster vernäht – schlagartig wird aus dem Milieureißer ein klassischer Heimatfilm, wie man ihn aus den Fünfzigern kennt, und bleibt als Miniatur ein solcher auch erstmal – quasi ein Film in Film mit eigener Dramaturgie und wirrem Frömmelei-Pathos. Churchsploitation – gibt es das?

1971 sah die Lage dann wohl anders aus. Bei “Käpt’n Rauhbein aus St. Pauli” ließ sich in Schmutz und Schund schon deutlich befreiter greifen, vielleicht hatte Jürgens auch einfach keine Lust mehr darauf, inmitten von Sünde und Verfall den unglaubwürdigen Heiligen zu spielen. Der Rauhbein-Film jedenfalls schießt aus allen Rohren, der “Pauli”-Konnex im Titel folgt nur noch der PR-Logik und wird durch ein im Grunde völlig unnötiges, herbeifabuliertes Intro gerechtfertigt: Jürgens kehrt als Kapitän Jolly, dessen Ehefrau ihn in den letzten Jahren hauptsächlich von Postkarten her kannte, frühzeitig nach Hause auf St. Pauli zurück, wo er seine Gattin inflagranti mit einem Liebhaber erwischt. Die Situation eskaliert, Jolly schubst seine Frau zu übermütig, im hohen Treppenhaus kommt sie nach einem Sturz zu Tode.

Fürs Gericht ist es eine aus mutmaßlich eher abwegigen Gründen völlig ausgemachte Sache, dass diese tragische Geschichte mit nichts anderem als mit einem Freispruch zu quittieren ist (ein Schöfe klopft Jürgens nach Urteilsverkündung noch auf die Schulter: “Na also, Glückwunsch” – Hilfe!), Jolly aber bricht nun alle Zelte in Hamburg ab und stürzt sich fortan als wadenbeißender und schnauzbebarteter Kapitän und Weiberheld mit treuer Crew und zweifelhafter Fracht von einem Südsee-Abenteuer ins nächste. In Porto Negro kommt es dann, wie es kommen muss: Die Behörden der Bananenrepublik linken den rustikalen Seemann – Korruption und Klüngeleien führen von einer irren Situation zur nächsten, in denen sich Jürgens als zupackendes Reibeisen betätigen kann, dem stets ein, naja, vielleicht nicht flotter, aber anzüglicher Spruch über die Lippen kommt.

“Käpt’n Rauhbein aus St. Pauli” ist Kolportagenkino für Leute mit Aufmerksamkeitsdefizitstörung, die es nicht weiter juckt, dass ein Ehebrecher-Drama zu einem Gerichtsdrama wird, das in Bud-Spencer-Terence-Hill-artigen Klamauk umkippt, mit dem Mondo-Film flirtet und auch das damals populäre Bahnhofskino-Subgenre des Frauenknast-Films streift, solange es nur Handgreiflichkeiten, Nuditäten, Gewalt und Unwahrscheinlichkeiten am laufenden Meter zu bestaunen gibt. Und mittendrin gibt Rolf Olsen sich selbst ein Stelldichein als korrupter Tropen-Polizeichef, der aber von Hans Hessling synchronisiert wird und also mit der deutschen Stimme von Asterix spricht.

Glanzvolle Höhepunkte dieser an Unfassbarkeiten nicht armen Wunderkiste: In einer verruchten Bar besingt Jürgens in jovialer Altherrenbrunft seine Vorliebe für schwarze Haut und dralle Frauenhintern (was man eben so macht, wenn man seine Frau in den Tod gestoßen hat), den Weg heraus aus einer schwierigen Situation finden Jürgens und Heinz Reincke (der in allen rezensierten Filmen die etwas undankbare Funktion des mal mehr, mal weniger witzigen Sidekicks spielt) nur als Frauen verkleidet – Männer in drag, ein ewig zündender Standard des bundesdeutschen Lustspiels, der Olsen die willkommene Gelegenheit bietet an seine frühe Zeit als Tanten- und Nichtenkino-Regisseur anzuschließen und dieses Erbe mit den den rustikalen Mitteln der 1971 gerade im Entstehen begriffenen Schläger-Comedy Marke Bud Spencer und Terence Hill zu verbinden. Kurz vorher darf ein verzweifelter Freier dem bizarr kostümierten Jürgens noch an den Hintern fassen, was dieser mit lautstarkem Geblöke von sich weist. Lüsterner als sonst darf sich auch Elisabeth von Flickenschildt in einem späten Auftritt auf hoher See betätigen, während die heitere Filmmusik von Gert Wilden Erinnerungen an den  “Schulmädchen-Report” weckt.

Elisabeth Flickenschildt © ucm.one

Der Film ist Irrsinn in Tüten, der sich für nichts entscheiden kann und deswegen einfach nach allem greift, was der Fundus des günstig produzierten Trivialkinos zu bieten hat. Gedreht auf dem in Italien gern verwendeten Ferraniacolor-Material, wirkt der Film in seiner Textur dann auch gleich nochmal ein bisschen mehr nach großer weiter Welt als die beiden anderen Filme, für die auf das in Deutschland gern verwendete Eastman-Color zurückgegriffen wurde. Hervorragend restauriert sind alle drei BluRays: Nach meinem Verständnis annäherungsweise farbecht justiert und nicht übertrieben nachgeschärft, stellt sich hier im Nu Kinofeeling ein.

Etwas schade nur, dass die Filme zumindest in den basalen BluRay-Ausgaben neben Standards wie Trailern und Artwork-Galerien keine Extras aufweisen. Parallel zu diesen basalen Ausgaben gibt es auch mit Booklets ausgestattete MediaBook-Editionen der Filme, die zur Rezension allerdings nicht vorlagen.

Aber auch in dieser Darreichung trübt das die Freude der Wiederentdeckung nicht. Schön, dass auch bislang eher unerschlossene Gebiete der westdeutschen Film- und vor allem auch Mentalitätsgeschichte langsam in qualitativ hochwertigen Ausgaben für die nächste Generation erschlossen werden. Vielleicht schafft dies ja auch eine Grundlage dafür, dass bald die mächtigste Abrissbirne in Jürgens’ Bahnhofskino-Schaffen – der bereits erwähnte “Zweite Frühling” – demnächst auf BluRay wiederentdeckt werden kann. Und auch bei Olsen gibt es noch einige Lücken zu stopfen. 

Thomas Groh

Alle BluRays sind erschienen bei UCM One.
Jeder der Filme hat dort einen geradezu vorbildlichen Internetauftritt.
Der Pfarrer von St. Pauli hier.
Der Arzt von St. Pauli hier.
Käpt´n Rauhbein aus St. Pauli hier.

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