Musikalische Crime Scenes
– Allerspätestens seit John Zorns „Spillane“-Projekt haben Jazzmusiker aller Couleur viel Freude, kleine scénes noires in Musik zu fassen – Minihörspiele mit geringem Wortanteil sozusagen, oder musicscores zu imaginären films noirs. Hauptsache Atmosphäre, Hauptsache Klangassoziationen, die man irgendwie mit Erzählungen von Gewalt und Verbrechen, Nachtleben und verruchten Frauen, nassen Straßen und toughen Kerlen in Verbindung bringen kann. Das funktioniert prächtig, wie nicht nur Enrico Rava oder Charlie Haden immer wieder zeigen. Wir beobachten dieses interessante Subgenre der Musik (oder den medialen Spin-off von Crime Fiction ins Musikalische) gerne und mit Gewinn (z. B. hier).
Jetzt also der norwegische Gitarrist Terje Rypdal, ein Garbarek-Mitstreiter der allerersten Stunde und ein Höllengitarrist sui generis sowieso.
Seine Crime Scenes, die er zusammen mit dem Trompeter Palle Mikkelborg, dem Keyboarder Ståle Storløkken und dem Drummer Paolo Vinaccia (der auch fürs sampling zuständig ist) und der Bergen Big Band unter der Leitung von Olav Dale eingespielt hat, sind wenig eindeutig auf Crime Fiction bezogen. Die Titel der 14 Stückchen sind zwar einschlägig – sie lauten z. B. „Prime Suspects“ oder „The Criminals“ oder „Crime Solved“ – aber sie sind deutlich keine Programmmusik. Auch wenn geraunte und geraunzte Dialogfetzen die mean streets der hard boiled novel kurz anspielen, lebt die Musik von der eigenständigen Dynamik, die sich zwischen dem subtilem Dampfhammerrock (wenn das Paradox erlaubt ist) des Quartetts und zwischen der exquisiten, spröden Klangfarbenmalerei der Big Band, vornehmlich mit Bassklarinette und anderen knurrenden Instrumenten, aufbaut. Voll ausgefaltet wird allerdings weder der eine noch der andere Pol der Musik, was keineswegs ein Manko ist, sondern die Stücke in prekärer Balance und extremer Spannung hält. Thrill, auf musikalischem Weg hergestellt und über das Universalgenre „Crime“ auf eine bestimmte Wahrnehmungsschiene festgelegt. Klappt prächtig, ist mysteriös und macht auch noch Spaß. Kann man über viele literarische Varianten von „Crime Scenes“ nicht sagen.
Thomas Wörtche
Terje Rypdal: Crime Scenes. ECM 2041
Terje Rypdal: electric guitar
Palle Mikkelborg: trumpet
Ståle Storløkken: Hammond B-3 organ
Paolo Vinaccia: drums, sampling
Bergen Big Band directed by Olav Dale