Ein bisschen verjüngt
– Henrike Heiland über die neue Krimiserie Die Chefin, die freitags ab 20:15 Uhr im ZDF zu sehen ist.
Keine Frage, es gibt so richtig großartige Krimiserien wie Kommissarin Lund oder Gefährliche Seilschaften, Life on Mars oder State of Play, um mal in Europa zu bleiben und nicht gleich wieder die großen US-Produktionen zu bemühen. In Deutschland gibt es auch bemerkenswerte Projekte abseits der Schmunzelkrimis. Im Angesicht des Verbrechens zum Beispiel. KDD. Beides vielfach gelobt und mit Preisen ausgezeichnet. Die Quote hingegen – na ja bis schlimm. Da ist die Überlegung eines Fernsehsenders natürlich eher „Was mach ich für die Quote“, und erst in zweiter Linie „Wie bekomme ich Preise“, zumal beim Fernsehen gilt: Wer die richtige Quote hat, hat recht.
Der Freitagabend im ZDF ist traditioneller Krimiabend, und seit Derrick in mehrfacher Hinsicht tot ist, Matula im Gegensatz zum Alten nicht jünger wird und Aktenzeichen XY … ungelöst einen neuen Sendeplatz hat, wurde schon so einiges ausprobiert: Siska wurde kein würdiger Derrick-Nachfolger, Der Kriminalist brachte zeitweise frischen Wind, Der Staatsanwalt blieb so behäbig wie sein Darsteller Rainer Hunold. Nun probiert man eine Frau aus: Katharina Böhm als sichere Quotenbank im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, da kann man dem Stammpublikum eine Geschlechtsumwandlung schon mal zumuten. Aber letztlich sollte das nicht das Thema sein, bei so vielen ermittelnden Frauen zu anderen Sendezeiten in unserer Fernsehlandschaft.
Eine Verjüngungskur ist dem Sender mit der Chefin nur so halb gelungen. Ob Vera Lanz (Katharina Böhm) einen neuen, modernen Frauentypus verkörpert, liegt wohl im Auge des Betrachters, wirklich neu ist an der Rolle eigentlich wenig, vieles ist Alltag, einiges Wunschdenken. Der Sendeplatz soll Erwartungen und damit Quoten erfüllen. Und spätestens, als Lanz‘ junger Kollege Derrick als Pappaufsteller ins Büro schleift, ist klar, wer hier Pate steht.
Die Chefin spielt auch in München, auch in der sogenannten besseren Gesellschaft, und gerne hat man auch hier Familiensammelszenen, bei denen jedes Familienmitglied vollkommen hirnrissig inszeniert im Wohnzimmer herumsteht und darauf wartet, leer an der Kamera vorbeisehen zu dürfen. Emotionen angesichts eines schrecklichen Mordes werden entweder gar nicht (Zeichen für verlogenes Pack, das was zu verbergen hat) oder überzogen (Zeichen für den betroffenen Angehörigen, der garantiert kurz drauf Scheiß bauen oder selbst den Tod finden wird) bespielt. Das zieht sich interessanterweise durch beide bisher ausgestrahlten Fälle, aber da endet dann schon die Ähnlichkeit mit dem gewaltigen Schatten, den Tappert unverständlicherweise warf.
Anders als bei Derrick (und oft genug auch bei Der Alte) passiert zwischen den Ermittlern etwas. Das Telefonklingeln im Präsidium ist kein Grund dafür, dass drei bis vier Mordermittler erstarren, die Kamera in Großaufnahme auf das Telefon geht, und einer der Herren beherzt zugreift, so dass spätestens jetzt jeder Depp weiß: Es ist mal wieder etwas total Schreckliches passiert. Auch wird nicht jeder vermeintlich bedeutende Satz drei Mal in quälend langsamem Tempo wiederholt. Bei der Chefin sind die Kollegen keine reinen Stichwortgeber. Sie haben Geschichte und Charakter, sind nicht leicht einzuordnen (der langjährige Kollege), haben vielleicht etwas zu verbergen (der Staatsanwalt) oder möglicherweise Leichen im Keller (der Oberstaatsanwalt).
Von der Erdnussmanie bei Vera Lanz mag man halten, was man will, aber ihr Privatleben besteht wohltuend aus einer unschwierigen, sehr patenten Tochter im Abitursalter und einem anstrengenden Schwiegervater, der immer noch versucht, den Tod seines Sohnes aufzuklären. Der Sohn ist natürlich der verstorbene Mann von Vera Lanz, und auch Lanz hängt seit vier Jahren an diesem für sie ungelösten Fall, für den sie eigens eine Art geheimes Büro hat, wo sie alles darüber sammelt. Das ist ein bisschen wie Monks Suche nach Trudys Mördern (noch viele andere Serien könnten hier Pate gestanden haben, es ist ein wahrhaft klassisches Motiv), etwas, das die Motivation der Hauptfigur noch mal verstärken soll: die Bösen einsperren, die Guten beschützen, aber immer mit einem fetten Zweifel, ob wirklich alles so ist, wie es scheint.
Vera Lanz‘ Suche nach der Wahrheit ist nun auch das Spannendste an der Serie, die in sich abgeschlossenen Fälle hingegen bleiben blass und oberflächlich, wie zu kurz geratene Neunzigminüter. Große Themen werden angeschnitten, behauptet, aber nie gezeigt. Episodenfiguren werden mit interessanten Lebensläufen zugeklatscht, von denen wir nur hören, aber nie etwas sehen. Wie will man das auch alles in sechzig Minuten unterbringen? Ein umfangreiches Ermittlerteam, bei dem jede Figur ihre eigene Geschichte hat (gab’s bei Derrick nicht wirklich), ein Episodenfall und ein in die Vergangenheit reichender, sich über mehrere Folgen durchziehender Fall. Das ist zu viel für zu wenige Minuten, da hätte man sich lieber mal entschieden für das eine oder das andere.
Trotzdem als Fazit: Keine schlechte Sache, auf diesem Sendeplatz gab es schon wirklich Grauenvolleres. Die festen Schauspieler sind durchweg gut, die Dialoge meist okay, die Erzählweise auf Bild- und Buchebene wie geschildert recht konservativ mit sehr vorsichtigen Annäherungen an ein immerhin schon zwölf Jahre altes neues Jahrtausend. Und vielleicht findet sich auch bald das richtige Maß dessen, was erzählt werden soll.
Henrike Heiland