Sounds of Crime I
– Aus der Welt des bekennenden Serien- und Krimijunkies Matthias Manzke (der selbst Musik u. a. für allerlei mediale Krimi-Formen komponiert und spielt).
Heute: Helden der Kindheit
„Wer waren die Helden Ihrer Kindheit?“
Die Sicherheitsabfrage meines neuen Browsers lässt mich viele Jahre zurückdenken, an eine Zeit, in der die Anfangszeiten von Serien wie „Kimba, der weiße Löwe“ noch meinen Tagesablauf und meinen Biorhythmus vorgaben. Später, mit der wachsenden Anzahl von TV-Programmen, wurden aus dem weißen Plüschlöwen Detektive, Stuntmen und surfende Schnauzbartträger mit ordentlich Brustbehaarung. Die letzten Begebenheiten im Wespennest der Ölbarone von „Dallas“ (und Texas war damals ja noch ähnlich exotisch wie heute ein Trip zum Mars) waren ebenso wichtig wie die Titelmelodien der damaligen Serien. Schon nach wenigen Tönen von „The Unknown Stuntman“ („Ein Colt für alle Fälle“) konnte der ganze Schulhof mitpfeifen, und noch heute macht sich ein wohliges Gefühl breit, wenn das Thema von „Magnum“ erklingt.
Sicherlich hat jeder noch einige TV-Melodien von früher im Kopf, die sofort Emotionen auslösen und einen an vergangene Zeiten zurückdenken lassen. Bei mir funktioniert das jedenfalls wie mit Parfüms, die mir in meiner Adoleszenz begegnet sind.
Doch damit ist es nun wohl vorbei, kein Pfeifvirtuose wird sich an den Melodien heutiger Fernsehserien abarbeiten. Oder versuchen Sie einmal, das Opening der grandiosen Polizeiserie „The Shield“ nachzustellen: gefühlte fünf Sekunden Hardcore-Hiphop !
„Prison Break“: eine Sinfonie aus amorphen Geräuschen, Sounds und Synthesizern, (wobei dies nur für den englischsprachigen Raum gilt, im deutschen Fernsehen wurde die Titelmelodie von Ramin Djawadi leider ausgetauscht),
„Lost“: ein einziger Druck auf das Keyboard, ein atmosphärischer Sound, der den Zuschauer sofort in die mysteriöse Welt von Sawyer, Jack & Co. katapultiert.
Oder das chromatisch-sägende Blood Theme für „Dexter“, den sympathischen Serienkiller von nebenan, das einen mit wohligen Schauern an den Prozess des Abtrennens von Gliedmaßen denken lässt. Durch die Spielweise der Geigen, bei der der Bogen nahe an der Brücke des Instruments geführt wird, hört man hier statt eines vollen und vibrierenden Streichertons einen ätherisch-geisterhaften Sound, fast nur noch einen Oberton.
Klang & Wirkung
Das alles animiert nicht gerade zum Nachsingen, weil diese Titelmusiken vor allem auf einer emotionalen Ebene funktionieren. Der Klang ist für die Wirkung dabei ebenso wichtig, wie die gespielten Noten, und manchmal lässt sich beides auch nicht wirklich auseinanderhalten. Das stilisierte Ticken der Uhr, das bei der Actionserie „24“ stets bei den Wechseln zwischen den vielen Handlungsfäden zu hören ist, prägt den Gesamtklang der Serie mindestens genauso wie das heldenhafte Hornmotiv für Agent Bauer. Oder, um mal ein Beispiel aus deutschen Landen zu nennen, die Filmmusik der herausragenden Serie „Kriminaldauerdienst“, die fast ausschließlich aus gesampleten Geräuschen und einem Klaviermotiv besteht, das durch den Klangwolf gedreht wurde. Und die trotz dieser etwas spartanischen Auswahl an musikalischen Mitteln eine Textur ergibt, mit der die dramatischen und melancholischen Aspekte der Geschichte sehr effektiv ausgedrückt werden.
Sounddesign
Damit nähern sich die Soundtracks von aufwendigeren Fernsehproduktionen immer mehr dem Kino an, wo die THX-Soundsysteme das Öffnen einer Tür (geschweige denn das Vorbeifliegen eines Hubschraubers quer durch den Saal) zu einer körperlichen Erfahrung machen und wo das Sounddesign deswegen schon längst eine wichtige Rolle spielt.
Das mag zum einen daran liegen, dass Surroundanlagen auch in den Wohnzimmern immer mehr auf dem Vormarsch sind, zum anderen ermöglicht die Digitalisierung der Musikproduktion es den Filmkomponisten, immer überzeugendere, wuchtigere Soundtracks mitsamt Orchesterinstrumenten und allen denkbaren analogen oder synthetischen Klängen zu liefern, ohne die Hände vom Keyboard zu nehmen.
Auch glaube ich, dass dem Zuschauer generell immer mehr amorphe Klänge zugemutet werden können, dass dies mittlerweile sogar erwartet wird. So mancher Musikschüler kann beim besten Willen keinen Unterschied zwischen einer großen Terz und einer kleinen Sekunde feststellen, obwohl Letztere die Luft förmlich zum Flattern bringt und sich dem Hörer in den Kopf bohrt … Und diese fehlende Sensibilität ist sogar verständlich, denn unsere Welt ist mit derart viel Sound und Lärm angefüllt, jeder Mensch mit DSL hat Zugang zu allen Arten von Klängen und Musikstilen, dass einem ein reines Orchesterarrangement in Dur oder Moll fast schon banal vorkommen muss. Um das Blut in Wallung zu bringen, müssen es schon heftige Streicherakzente zusammen mit pumpenden Synthbässen und überlebensgroßem Schlagwerk sein, eine Filmmusik, die ohne Umweg über das Großhirn funktioniert.
Schaeffer, Sala, Trautwein & Co
Pierre Schaeffer, Begründer der „Musique Concrète“, die ab Mitte des 20. Jahrhunderts mit Kompositionen bestehend aus Geräuschen und Klängen experimentierte, hätte sich eine solche Entwicklung kaum träumen lassen. Auch wenn sie ihm in der Form womöglich nicht gefallen hätte. Oskar Sala, der 2002 gestorbene Trautoniumvirtuose, durfte diese Entwicklung nicht nur verfolgen, er hat sie mit seinen zahlreichen Filmmusiken auch mit zu verantworten. Das von Dr. Trautwein erfundene Trautonium ist eine Art Vorläufer des Synthesizers, mit dem, im Gegensatz zu herkömmlichen Keyboards, übergangslose Tonhöhen gespielt werden konnten, und das dazu in der Lage war, alle denkbaren Klangfarben zu generieren. Oskar Sala, über Paul Hindemith mit dem Erfinder Trautwein bekannt geworden, war wohl der einzige Virtuose auf diesem Instrument, auf YouTube kann man sich in diversen Filmdokumenten von seinen Fähigkeiten und dem erstaunlichen Klang des Trautoniums überzeugen.
Bekanntestes Anwendungsbeispiel war Hitchcocks „Die Vögel“: Der Soundtrack besteht ausnahmslos aus „Vogelschreien“, synthetisch von dem Trautonium erzeugt und live von Sala eingespielt. Eine Vorgehensweise, bei der das Anlegen von Geräuschen und von Tönen an einen Film fast eins ist.
Inflation?
Leider wird die Verbindung von Sounddesign und Musik heutzutage sehr inflationär und auf eine stets ähnliche Art und Weise eingesetzt. Filmmusik muss, genau wie Popmusik oder Werbejingles, immer schneller und direkter funktionieren, in einem Actionfilm ist es heutzutage so laut wie in einem Rockkonzert, die Bildschnitte sind selbst bei TV-Serien so rasant, dass einem die Augen tränen. Diese erhöhte Geschwindigkeit ist einerseits zeitgemäß, andererseits geht so auch viel an Dynamik verloren. Ich habe mich heute Morgen mal einem Selbsttest unterzogen und die zehn erstbesten Filmtrailer direkt nacheinander angeklickt. Das Ergebnis war eine ungesunde Herztaktfrequenz sowie das Bedürfnis, mir mal wieder ein drei-Stunden-Epos von Tarkowski anzusehen.
Es ist nur verständlich, dass die Sehgewohnheiten von heute und alle technischen Möglichkeiten genutzt werden, um die Werbeinformation unter das Volk zu bekommen, bzw. einen Film so körperlich wie möglich erleben zu lassen. Es ist ja auch so, dass mir die akustische Erinnerung an Rockford, Magnum und all die anderen zwar immer noch einen beschönigenden Blick auf die achtziger Jahre gewährt (s.o.), dass mir Sounds aber genau wie die Plots behäbig und verstaubt vorkommen, wenn ich mir diese Serien heutzutage nochmal anschaue. Man hat sich an die Wucht moderner Soundtracks schon so gewöhnt, da können die alten Serien nicht mehr mithalten. Und das ist eigentlich auch wieder schade. Man stelle sich vor, dass sich ein Serienvorspann nochmal so viel Zeit nimmt wie einst bei „Magnum“
oder bei „Hart aber herzlich“,
wo das ganze Grundsetting der Geschichte musikalisch vorgestellt wird wie in einer Oper. Meistens werden die modernen Möglichkeiten der Musikproduktion und die extreme Leidensfähigkeit des heutigen Zuschauers doch dazu genutzt, einem die bildliche Aussage akustisch um die Ohren zu hauen.
Es hilft nichts, man muss sich wohl oder übel in dem reichhaltigen Angebot von TV, Kino und DVD auf die Suche begeben, nach Geschichten und Klängen, die das sinnliche und kreative Potenzial noch ausschöpfen möchten. Damit man sich auch in Zukunft noch wehmütig an die Helden von heute erinnern kann.
(Abgesehen von Oskar Salas flirrender Geräuschkulisse für „Die Vögel“ sind alle genannten Titel in ordentlicher Qualität – z. B. bei Amazon – als Download erhältlich.)
Matthias Manzke