Geschrieben am 1. November 2020 von für Crimemag, CrimeMag November 2020

Sonja Hartl über „Rebecca“

Zurück nach Manderley

„Vergangene Nacht träumte ich, ich wäre wieder in Manderley“. Mit diesem Satz beginnt Daphne Du Mauriers 1938 veröffentlichter Roman Rebecca, mit diesem Satz beginnt Alfred Hitchcocks Verfilmung aus dem Jahr 1940 und mit diesem Satz beginnt nun auch Ben Wheatleys Adaption im Jahr 2020. 

Erzählt wird die Geschichte von einer jungen Frau, die als Gesellschafterin einer neureichen Amerikanerin arbeitet und in Monte Carlo dem wohlhabenden, gutaussehenden Witwer Maxim de Winter begegnet. Sie heiraten überstürzt, er nimmt sie mit zu seinem Familiengut Manderley. Doch die Gemäuer dieses alten Hauses stecken voller Erinnerungen an die verstorbene erste Ehefrau Rebecca, deren Andenken insbesondere von der Haushälterin Mrs. Danvers hochgehalten wird. Die zweite Mrs. de Winter – ihr Vorname wird niemals genannt – ist hier fehl am Platze und vergleicht sich immer stärker mit der überlebensgroßen Verstorbenen.

Erstausgabe von 1938

Deshalb ist dieser berühmte erste Satz Auftakt zu einer Geschichte voller Obsession, Unsicherheit und Macht – insbesondere bei du Maurier, aber auch in Hitchcocks kongenialer Verfilmung. Bei Wheatley indes ist er der Auftakt zu einem langweiligen Film, bei dem man allenfalls zwei Stunden lang Ausstattungskunst bewundern und sich fragen kann, warum offensichtlich niemand das gegenwärtige Potential der Romanvorlage erkannt hat. 

Hitchcock, 1939

Da sind zunächst einmal die Klassenunterschiede: die zweite Mrs. de Winter kommt aus einer weitaus niedrigen Klasse als ihr Ehemann – in England in der Zwischenkriegszeit ein wesentlicher Unterschied. An ihrem Auftreten, ihrem Nicht-Wissen, ihrer Unsicherheit erkennt man die ungleiche Herkunft, sie ist in der Vorlage ein wesentlicher Aspekt, der zu der obsessiven Beschäftigung mit Rebecca führt. Im Film nun gibt es einige plakative Szenen, die auf die nicht vorhandenen Kenntnisse in sozialen Gepflogenheiten verweisen, auch ist ihre Kleidung so betont schlicht, dass sie jedes MHal regelrecht hinausschreit, man solle sehen, wie schlicht sie ist. Getragen wird sie aber von Lily James in dem Bewusstsein einer jungen Frau, die weiß, dass sie gut aussieht. Ihre Unsicherheit zeigt sich alleine in den physischen Gegensätzen zu Armie Hammer, der ebenfalls nichts von der Düsterheit und Nachdenklichkeit des Maxim de Winter besitzt, so sehr er sich auch bemüht. 

Dass er sich vor allem von der mädchenhaften Unsicherheit angezogen fühlt, wird daher auch nur noch die Unterschiede in Größe und Breite des Körpers und zwei deutlichen Sätzen klar. Doch diese Unsicherheit hat noch einen weiteren Aspekt: Er weiß, dass er seine zweite Ehefrau dominieren und kontrollieren kann. Diese Machtdynamik ist ein wichtiger subversiver Bestandteil von du Mauriers Roman – ähnlich wie der queere Unterton in der Beziehung zwischen Mrs. Danvers und Rebecca –, der hier sträflich vernachlässigt wird. Dabei lässt sich alleine schon an der Namensgebung so viel ablesen: Rebecca ist mit ihrem Vornamen allgegenwärtig, auf Bürsten, Taschentüchern ist das geschwungene R zu sehen. Sie ist Rebecca, eine autonome Frau, deren Unabhängigkeit in allen Belangen insbesondere ihren Mann verstört hat. Die zweite Mrs. de Winter hat alleine durch den Namen ihres Mannes Bedeutung, sie bekommt noch nicht einmal einen Vornamen – auf den ja sonst in Filmen gerade Frauenrollen gerne reduziert werden. 

Rebecca: Kristin Scott Thomas (links hinten) als Mrs. Danvers, Lily James als Daphne, Armie Hammer als Maxim de Winter

Diese Machtdynamik hätte der Film erforschen können, auch bekommt Mrs. Danvers (ein Lichtblick: Kristin Scott Thomas) eine etwas größere Szene, in der sie noch einmal erklärt, welche Möglichkeiten sie als Frau in dieser Zeit hat: Hausbedienstete oder Ehefrau. Das sind die Möglichkeiten, die auch die zweite Mrs. de Winter hat und die dann zu der stärksten Szene des Films führt, in der Mrs. Danvers versucht, sie zum Selbstmord zu überreden. Jedoch bleibt es auch bei diesem Moment – obwohl es doch ein hervorragender Anlass gewesen wäre, von der Vorlage abzuweichen und tatsächlich die Deutung nahezulegen, dass die zweite Mrs. de Winter vielleicht nur aus schierer Notwendigkeit so fest an der Seite ihres Ehemanns steht. Denn auch sie hat eigentlich keine andere Wahl. 

Doch alle diese spannenden Aspekte, die diesem Roman zu seiner lange anhalten Popularität verholfen haben und die heute noch Aktualität besitzen, werden schlichtweg ignoriert. Stattdessen ist dieser Film ein einziger großer scheiternder Versuch, aus Maxim de Winter und seiner zweiten Ehefrau ein großes Liebespaar zu machen. Dabei wird indes völlig ignoriert, dass hier keine Liebesgeschichte erzählt wird – und beide Figuren bereits in der Vorlage nicht sonderlich sympathisch sind. Sie mit Armie Hammer und Lily James zu besetzen, die beide über viel Charme und Liebeswürdigkeit verfügen, hätte eine interessante Reibung erzeugen können. Aber die entsteht zu keiner Zeit. 

Es ist schade, dass Wheatley sich kaum Freiheiten genommen hat. Stattdessen wirkt vieles nachlässig. So hat der reiche Mr. de Winter wiederholt denselben Anzug an. Von der Düsterheit und dem Horror, die doch gerade Wheatley so gut beherrscht, findet sich kaum etwas in diesem Film. Wenn man bedenkt, was Wheatley beispielsweise aus J.G. Ballards so schwierig zu verfilmenden High-Rise gemacht hat, enttäuscht diese uninspirierte Adaption des so gut zu verfilmenden Romans von Daphne Du Maurier umso mehr. Aber auch ohne diese Vergleiche kann Rebecca wohl nur Zuschauer*innen ansatzweise überraschen, die nicht wissen, was Maxim de Winter zu verbergen hat. Alle anderen sollten dann lieber einfach noch einmal Hitchcocks Film ansehen. 

Sonja Hartl