Geschrieben am 18. Dezember 2010 von für Crimemag

So klingt die nackte Angst: die Musik zur „Serie Krimi International“

Ohne Musik ist selbst der Duschmord in „Psycho“ eine relative alberne Angelegenheit. Musik in Film und TV ist extrem wichtig, kann über top und flop entscheiden, kann nerven und beglücken. Der Musiker und Komponist Matthias Manzke erlaubt uns einen Blick in seine Werkstatt. Heute anlässlich seiner Musik zu „SKI“. Bald zu anderen Themen mehr.

So klingt die nackte Angst: die Musik zur „Serie Krimi International“

Ein Hörspiel ist nichts anderes als ein Film für die Ohren, von wenigen Unterschieden abgesehen fühlen sich beide Medien aus musikalischer Sicht sehr ähnlich an: Die Hauptpersonen bekommen Motive, die Musik soll helfen, die Szenen und die verschiedenen Folgen zu strukturieren, die Suspense-Szenen sollen durch die Musik mehr gefühlt als nur gehört werden, kurz: Die Serie soll einen eigenen Sound bekommen. Bei SKI („Serie Krimi International“), einer 2009 für den Sender Funkhaus Europa produzierten Hörspielserie, kam dazu, dass besondere Ideen und Ansätze nicht nur geduldet, sondern sogar erwartet wurden. Ein glückliche Fügung für mich als Komponisten und ein spannender Entstehungsprozess:

Musik für Helden:

Bei der Musik zur Serie bin ich aber zunächst einmal klassisch ans Werk gegangen, indem allen Hauptfiguren eine eigene Musik zugeteilt wurde:

Celik, der Held der Geschichte, ist ein gebrochener, introvertierter Typ mit tragischer Vergangenheit, ein typischer Held des 21. Jahrhunderts.

Celik
titelmelodie

Da Celik sowohl in der türkischen als auch in der deutschen Kultur (nicht) zu Hause ist, habe ich für sein Thema, das gleichzeitig die Titelmelodie darstellt, ein Instrument gewählt, das in vielen Ländern zwischen Peking und Bremerhaven zu finden ist: das Hackbrett, dessen Klang seit „Der Dritte Mann“ jedem bekannt sein dürfte und in der osteuropäischen Variante Cymbalom genannt wird.

Celiks schwelende Aggressivität und die Abgründe seiner Seele werden durch einen Sound namens „Bowed Piano“ dargestellt, bei dem mit einer Art Geigenbogen über die Saiten eines Flügels gestrichen wird, wodurch vibrierende, archaisch und unkontrollierbar wirkende Klangflächen erzeugt werden.

Als Kontrast zu diesen eher düsteren Klangtexturen steht die Musik für Ines Pelzer, der zweiten Hauptfigur der Serie.

Ines Pelzer
Ines Pelzer

Eine toughe junge Frau, die so gar nicht in Celiks Weltbild passen möchte. Für Pelzer steht als Instrument das Wurlitzer-E-Piano und außerdem ein rockiges, fröhliches Thema, das die Geschichte ebenso vorantreibt, wie Pelzer Celik, wenn sie ihn aus seiner Lethargie reißen muss. Immer wenn Celik und Pelzer sich streiten, und das geschieht gerne und oft, wird der groovige Sound von Pelzers Thema zitiert.

Neben den beiden Hauptfiguren gibt es noch eine Gruppe von Personen, die zusammen genommen eine weitere Konstante der Serie bilden: Savants, Menschen, die an einer besonderen Form von Autismus leiden.

Savants
Savants

Sie verfügen über außergewöhnliche Fähigkeiten, werden mit dem alltäglichen Leben aber nicht alleine fertig. Ihr musikalisches Motiv besteht aus einer kurzen Tonfolge, die, mit kleinen Veränderungen, stetig wiederholt wird, denn das Leben von Autisten bewegt sich in engen Bahnen, mit einem Tagesablauf, der möglichst wenig Überraschendes beinhaltet.

Als Celik die WG der Savants zum ersten Mal betritt, zeigt sich ihm eine Szenerie wie in einer fremden Dimension:

„Sie betraten einen riesigen Raum. Er wirkte wie ein Großraum-Wohnzimmer. Es gab mehrere Nischen mit Arbeitsplätzen, Sofas, Pflanzen. In der Mitte ein großer, runder Tisch. (…) Erst jetzt nahm Çelik die Männer wahr, die verteilt im Raum standen. Sie waren so unscheinbar, so unbeweglich, dass er sie nicht bemerkt hatte.“

Um ein entsprechend ätherisches Klangbild zu erreichen, habe ich als Instrumente für das Savantsmotiv neben einem gezupften Kontrabass noch einen halligen Synthsound gewählt, sowie ein nicht ganz gleichmäßiges synthetisches „Klicken“. Zusammen genommen ergibt sich ein Sound von einem anderen Stern … willkommen in der Welt der Savants.

Vor allem Uhlmann, ein ehemaliger Kommissar, dem noch eine Kugel im Kopf steckt und der dadurch zum Savant wurde, spielt eine zentrale Rolle in der Serie: Er kann sich an alles erinnern, was er jemals gesehen hat, er ist eine Art menschlicher Power PC.

In vielen Situationen ist sein Wissen für die Ermittlungen von Celik und Pelzer von unschätzbarem Wert, und deswegen hat er zumindestens einen eigenen Sound bekommen, wenn schon kein „richtiges“ Motiv: Immer, wenn Uhlmann in einm monotonem Redefluss unzählige Daten aus den Tiefen seines Hirns gräbt, hört man eine Klangfläche, die ich „Tanz der Synapsen“ genannt habe und die an sich entladende Elektroden erinnert.

Tanz der Synapsen
tanz der synapsen

Alle genannten Themen und Motive werden im Laufe der Folgen in diversen Variationen vorgestellt, je nachdem, in welchen Umständen die Charaktere sich gerade befinden: Hat Celik soeben eine Entführung überlebt, dann wird sein Thema von einer „Schweineorgel“ (= Hammondorgel) geröhrt, hat er sich einfach „nur“ verliebt, erklingt dagegen eine richtig schöne Rumba. Der Savant Uhlmann hört gerne Benny Goodman, also kommt das Savantsmotiv auch mal in einer Jazzvariante daher.

Variationen
celik VARIATIONEN

Man kann eine Melodie auf viele verschiedene Arten verarbeiten und weiterentwickeln. Das erscheint zunächst mühselig, weil sich der Musiker an sich schnell in seine Musikschnippsel verliebt und es dabei gerne belassen würde. Aber je mehr Variationen es dann von einer Musik gibt, desto größer ist schließlich die Freude an der Destruktion.

Die musikalischen Settings von SKI

Neben den bereits erwähnten Hauptfiguren hat jede der sechs Folgen natürlich auch eine eigene Geschichte und ein eigenes Setting. Da das Grundkonzept der Serie war, jede Folge von einem anderen Autor schreiben zu lassen, gab es hier eine bunte Vielfalt: Es geht um einen perfiden Racheplan, um Machenschaften in der Bollywoodszene Hamburgs (!!!), um gefolterte Kurden, böse medizinische Experimente, um einen Nazischatz, um Hippies, RAF-Paranoia und noch einiges mehr. Die dazugehörigen  Locations sind Köln, Berlin, Hamburg, Italien, die Alpen und die beschauliche Nordseeinsel Amrum. Damit der Hörer bei diesen vielfältigen Elementen nicht den Überblick verliert und die Besonderheiten jeder Folge besser zur Geltung kommen, habe ich mich generell für kleine musikalische Besetzungen entschieden. Eine kleine Ausnahme habe ich mir bei der 5. Folge „Der Nazischatz“ von Nathan Markov gestattet, da musste es natürlich etwas bombastischer sein. In diesem Rahmen hat jedoch jede Folge ihre ganz eigene Klangwelt bekommen.

In der zweiten Folge „Leever dood as Slaav“ von Merle Kröger geht es oberflächlich um Mord und Machenschaften in der deutsschen Bollywoodszene. Ich habe mir dazu tatsächlich ein paar Bollywood-CDs besorgt, bis ich merkte, dass diese Musik oft eine Kopie von westlichen Musikstilen darstellt und eine erneute Kopie davon für eine Geschichte, die in Norddeutschland spielt, ganz schön absurd wäre. Letztlich habe ich mich für amorphe Klangflächen entschieden, die sich wie ein Puzzle aus vielen verschiedenen Klängen zusammensetzen und in denen man neben indischen Instrumenten auch eine Art Schifferklavier und die Brandung der Nordsee hört. Genannt habe ich das Ganze „Traum von Bollywood“, denn Träume, Fluchten und Fantasiewelten sind wohl die eigentlichen Themen der Geschichte.

Traum von Bollywood
Traum von Bollywood

In „Tiefe Schnitte“, der dritten Folge, geht es ganz anders zur Sache: Folterungen von  Kurden in der Türkei der achtziger Jahre und Celiks Vergangenheit als türkischer Polizist bilden den Hintergrund eines Plots mit vielen Spannungsszenen, bei denen der Autor Norbert Horst seine Figuren nicht eben zimperlich agieren lässt. Da es folgerichtig sehr viel „Spannungsmusik“ in dieser Folge gibt, habe ich mich ansonsten mehr mit dem tragischen Aspekt der Geschichte beschäftigt. Als Instrument für die dunklen Erinnerungen und das Leiden der Kurden habe ich das „Duduk“ gewählt, ein klarinettenähnliches Blasinstrument aus Armenien mit sehr leidenschaftlichem Klang, das u.a. in der Filmmusik von „Gladiator“ effektiv eingesetzt wurde. In mehreren Zwischenspielen lässt dieses Instrument das wilde Kurdistan lebendig werden und erzählt von Narben an Körper und Seele.

Duduk
Duduk

Wie klingt die nackte Angst ?

Eine zentrale Funktion von Filmmusik war stets die Untermalung von Morden, Attentaten und Meucheleien. Wenn die Tuben und Posaunen ihre tiefen, brodelnden Register aufbieten und die Kontrabässe und Bassklarinetten treibende Motive spielen, weiß jeder, dass das Böse naht. Und das funktioniert auch in aktuellen Soundtracks immer noch wunderbar. Bei SKI habe ich jedoch einen anderen Weg gewählt und die Spannungssequenzen fast ausschließlich mit geräuschhaften Sounds vertont, hier und da versehen mit ein paar Synthesizerklängen. Das Summen eine Fernsehers wird zur bedrohlichen Klangfläche, das rhythmische Schnappen eines Feuerzeuges untermalt eine fieberhafte Suche, rhythmische Schläge auf ein Abflussrohr treiben eine Verfolgungsjagd an.  Grund für diese Vorgehensweise ist zum einen, dass ich für die Serie wie gesagt einen „kammermusikalischen“ Rahmen ohne orchestrale Besetzungen beibehalten wollte. Außerdem wird man bei einem Hörspiel leichter von der Musik abgelenkt, als dies bei Filmen der Fall ist, und das sollte natürlich gerade bei spannenden Szenen nicht passieren. Das Ergebnis sind Klanggewitter aus unzähligen Geräuschen und  Klangschnippseln, die leicht dreißig und mehr Spuren meines virtuellen Studios gefüllt haben.

Klanggewitter
Klanggewitter

Das hat mehr Arbeit bedeutet als so manche „Komposition“ und nicht selten war ich kurz davor, mich in den klanglichen Abgründen von Pelzer, Celik und all den Anderen zu verlieren …

Und wie sieht das Fazit des Musikers nach sechs Folgen SKI aus ?

Sehr viele Stunden am Mischpult, alleine oder mit Unterstützung von Regisseur Thomas Leutzbach und den Kollegen vom „Orchester der Schatten“, sowie eine gefühlte Anzahl von 30000000 Audiofiles, die es zur Vertonung der Abenteuer von Murat Celik gebraucht hat. Eine spannende Arbeit, zusammen mit der sehr rührigen Produzentenriege um Katja Bürki (Redaktion), Ulrich Noller & Gök Senin (Idee & Buch) und Thomas Leutzbach an einem wirklich besonderen Hörspielprojekt.

[Die CD-Edition von der „Serie Krimi International“ ist bei Eichborn erschienen)

Matthias Manzke

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