Tinge Of Noir
In der medialen Überproduktion vermeintlich erotischer Sujets bleibt die angestrebte und eigentliche Erotik viel zu oft auf der Strecke. Dass dies aber durchaus nicht so sein muss, zeigen wir Ihnen in unserer Rubrik „Sex and Crime“, in der wir in loser Folge einige, dem Vergessen anheimgestellte und einige ewig lebendige Eroten unserer Zeit aus Literatur, Musik und Film vorstellen. Anlässlich der neuen, einigermaßen erschwinglichen Ausgabe des legendären SUMO von Helmut Newton ein paar Bemerkungen von Thomas Wörtche.
Vermutlich würde es der Emma auf den ersten Blick einleuchten, wenn man Helmut Newtons Fotos unter der Rubrik „Sex and Crime“ behandelt. Denn dass die Damen ihn für einen üblen Pornographen halten, den nichts so „anmacht wie der erkaltete Frauenkörper, die weibliche Leiche“, hatten sie schon 1993 zum Amüsement abgeklärter Geister (einschließlich Newtons selbst) zu Protokoll gegeben.
Immerhin, anlässlich der „Volksausgabe“ von Newtons SUMO, eine von Newton, seiner Frau June und Verleger Benedikt Taschen speziell zusammengestellten Bildern aus dem gewaltigen ¼uvre des 2004 tödlich verunglückten Fotografen – statt 35,4 Kilo nur noch bescheidene 10 Kilo, für ganze 100 Euro, genau 10 Jahre nach dem ersten Erscheinen und nachdem auf einer Benefizauktion satte 620.000 DM für das gewaltigste Bilderbuch des 20. Jahrhunderts erzielt worden waren – kann man in der Tat bekräftigen, dass „Sex and Crime“ die richtige Kategorie für das Mammuttrumm in feinster Qualität und Aufmachung ist.
Murder Scenes
Natürlich nicht aus so bieder-platten Gründen, wie den oben aufgeführten. Auch zum „Frauenfoltern und -schlachten liefert der Zeremonienmeister des Sadomasochismus“, wie es weiter in der Anklageschrift der Emma hieß, keinesfalls den Stoff. Aber dass „Murder Scenes“ einen nicht unerheblichen Teil des Anekdotischen ausmacht, das in vielen Newton-Bildern steckt, kann man kaum übersehen.
Wobei im Fall der explizit „Murder Scenes“ benannten, 1975 in Cannes aufgenommenen Serie, Frauen coole Täterinnen und Männer die Opfer sind. Oder demnächst Opfer sein werden, wie zum Beispiel bei der Serie „Panoramic Nude“, 1989 am Comer See entstanden oder einem Michael-Hutchins-Porträt aus dem Jahr 1993.
Newton ist in der Tat besessen von Kriminalität, Gewalt und Verbrechen. Und von den Schnittstellen, die sie mit Macht und Dominanz haben, mit der ganzen komplizierten Dialektik von Unterwerfung, Selbsterschaffung und Selbstermächtigung, von Öffentlichem und Privatem, also dem ganzen Spielaufbau von Kontingenz und Ironie. Reiner Rorty, sozusagen.
Wenn es sich bei Newton tatsächlich um Pornographie handeln sollte, dann nur in dem Sinn, den Susan Sontag schon längst als „auf Desorientierung, auf psychische Verwirrung ausgerichtet“ beschrieben hat. Denn wenn tatsächlich eine Frauenleiche auftaucht, gar eine in einem glänzenden Plastikmüllsack, dann sollte es schon verwirren, dass das Bild auch ein Magritte-Zitat ist („Die kollektive Erfindung“, 1934), so wie erstaunlich viele Fotos Magritte-Bezüge haben, wenn auch selten so überdeutlich wie bei „Legs coming home“ (1987) oder bei einem „Lagerfeld“-Modefoto für die Vogue, 1966 (diese Zitate sind übrigens komisch, Newton war auch ein sehr komischer Fotograf).
Blutige Mäuler
Die Beispiele für direkte Bezüge zu jeder Art von Crime Fiction sind fast unerschöpflich. Sie sind offen wie die direkten Übernahmen von „North by Northwest“ auf einem Vogue-Foto von 1967, („Willi“) oder der Hannibal-Lecter-Maske auf „Sun Hee“ (Monte Carlo, 1993). Oder sie funktionieren eher verdeckt als Assoziationscluster.
Newtons Bilderuniversum wimmelt von Frauen mit blutigen Mündern und Klauen, von im Grunewald auf Opfer lauernden Exhibitionistinnen, von Frauen mit Waffen und Werkzeugen, von devoten Männchen. Und natürlich wimmelt es von starken Frauen, die der berüchtigte „männliche Blick“ eben nicht domestiziert, sondern die in Newtons kalten Arrangements potenziell gewalttätig und körperlich überlegen erscheinen. Grace Jones und Birgit Nilsen sind dafür gute Beispiele.
Crime Scenes auch nicht nur dort, wo etwa ironisch der Erfinder der Gaskammer porträtiert wird oder sich der Privatdetektiv Jack Maple für Vanity Fair (wofür sonst?) in aller grimmigen Lächerlichkeit porträtieren lässt, sondern überall eingebaut, versteckt, vertrackt gebaut. Unkeusche Bilderwelten aus giftigen amerikanischen Kleinstädten, die schon bei Ray Bradbury oder Stephen King zu Höllen wurden. Polizistinnen mit nacktem Unterleib, teure Huren, Herrinnen und Heroinen. Mehrdeutige Fotos über schlapphütige Spione und honey-trap-routinierte Spioninnen; Kalte-Kriegs-Topoi, film noir-Remineszensen; nur scheinbar zum Verzehr verfügbare Frauenkörper für kannibalistische Fantasien. Und chancenlose Männer überall.
Kein Zweifel auch bei manchen Porträts: Newton fotografiert Roger LePen als von Hunden verehrten debilen Geront, Gianni Agnelli als verwitterten Cäsar, Paloma Picasso mit Monokel, Jodie Foster als skeptischen Eiszapfen und – my favorite one – Marianne Faithful als schöne Frau.
Enge Beziehung zwischen Newton und Ballard
Ein letzter Aspekt noch, weil auch der deutlich mit Literatur verbunden ist: Als ob es ein Werbeplakat für den kapitalen Roman Cocaine Nights von James Graham Ballard wäre, hat Newton 1988 ein Warn-Plakat des Los Angeles Police Departments über die finalen Konsequenzen des Kokain-Genusses fotografiert, was leider nicht der Fall sein kann, weil Cocaine Nights erst 1996 erschienen ist (dt. als Weißes Feuer). Aber dass eine sehr enge Beziehung zwischen Newton und Ballard besteht, zeigen die Fotoserien aus beinahe allen Schaffensperioden, die sich mit einer fetischhaften Erotik von high-tech-Prothetik, Stützkorsettagen, gar von Röntgenbildern beschäftigen. Sowie Ballard in seinen Werken Atrocity Exhibition und dann in Crash (auch in der eher harmlosen Cronenberg-Verfilmung noch präsent) sich für die sexuellen Aspekte von deformierten, dekonstruierten, rekonstruierten, cyborghaften Körpern und Köperteilen interessiert, tut dies auch Newton. Wie Ballard mit einem sehr starken tinge of noir.
Dieser tinge of noir nun wieder zieht sich durch das ganze fotografische Werk Newtons (mal mehr, mal viel weniger, mal oberflächlich, mal subkutan, mal kaum vorhanden, dann wieder aus der Deckung brechend). Gerade in der Kombination mit starken Frauen aber, die im roman noir immer böse sind und immer bestraft werden müssen („Es war einfach“, sagte bekanntlich Mike Hammer, nachdem er einer „bösen“ Frau eine Kugel in den Unterleib geschossen hatte), verdreht Newton diese Konstellation. Seine Frauen, ob nackt oder angezogen, machen – meistens – klar, wer hier das schwache Geschlecht ist. Letztendlich, wenn alle Rollenspiele gespielt sind …
Das allergewalttätigste Bild in diesem Thesaurus von Buch aber zeigt ein totes, gebratenes Huhn, ein fettiges Messer und eine reiche, weibliche Hand. Auch das ein Statement der ganz coolen Sorte.
Thomas Wörtche
Helmut Newton: SUMO. Edited by June Newton.
Hongkong, Köln etc: Taschen 2009. 464 Seiten. 100,00 Euro.