Geschrieben am 15. Mai 2018 von für Crimemag, CrimeMag Mai 2018, Film/Fernsehen

Serie: Gomorrha, Staffel 3

71MOEpoK4BL._SL1200_Der Unsterbliche, der Hochwohlgeborene, der Stratege und das Kind

Düster, fesselnd, nihilistisch und barbarisch findet Simon Hauck die dritte Staffel der italienischen Serie. 

Der Pate ist tot, das Chaos ausgebrochen. Nach der Ermordung Don Pietros (Salvatore Esposito) durch seinen früheren engsten Vertrauten Ciro Di Marzio (Marco D’Amore), den „Unsterblichen“, ist im Gomorrha-Serien-Universum nichts mehr wie es war. Weder auf den neapolitanischen Drogenplätzen in der nördlichen Peripherie noch in den verfeindeten Mafia-Clans selbst ist dadurch so etwas wie „Ruhe“ eingekehrt. Im Gegenteil: Der Kampf um Neapels historisches Zentrum – mit einigen besonders wohlhabenden Straßenzügen – hat gerade erst begonnen.

Mittendrin: Don Pietros geltungssüchtiger Sohn Genny (Salvatore Esposito), der eben längst nicht nur ein junger Familienvater geworden ist, sondern zwischen Rom und Neapel die Geschäfte neu ordnen – oder besser gesagt: gleich an sich reißen? – will. Ohne Rücksicht auf Verluste, versteht sich bei ihm wie von selbst, da er nach wie vor weder besonders gläubig noch besonnen ist und in erster Linie „bigger than life“ sein möchte: Größer als sein mythisch verehrter Vater sowieso.

go

Keine Zeit für postume Heldenverehrung

Dazu bringt sich ein ominöses „Bündnis“ aus verschiedenen alteingesessenen Häusern mit einem grauen „Strategen“ an der Spitze in Lauerstellung – und schnell kann dieses gigantische kriminelle Kartenspiel von Neuem beginnen. Und dieses Mal ist – den Drehbuchautoren sei Dank und konträr zur zweiten Staffel – innerhalb jener zwölf neuen Episoden wirklich bis zum Ende hin überhaupt nicht klar, wer hier am längeren Hebel sitzen wird. 

Außerdem reißt auch, wie schon in der zweiten Staffel, der Sturm an draufgängerischen Jungkriminellen alles andere als ab: Enzo (Arturo Muselli), ein kumpelhafter Grasdealer mit schwarzer Kluft und hohen Ambitionen, bringt sich mit unzähligen Roller-Gang-Mitgliedern rasch in Stellung, während sich im Hintergrund leise, aber ausgesprochen clever, die beiden schwer durchschaubaren Camorra-Ladys Patrizia (Cristiana Dell’Anna) und Annalisa „Scianel“ Magliocca (Cristina Doandio) als mächtige Keile zwischen den verbliebenen Familienbanden positionieren. 

go1

Erkennbar ist nur eines: Zeit für postume Heldenverehrung bleibt nicht. Da hilft auch kein allzu pathetisch inszenierter Trauerzug für den toten Don Pietro zu Beginn der dritten Staffel, in dem die Macher des italienischen Welterfolgs erneut visuell aus dem Vollen schöpfen. Nein, die legendären „Savastanos“ sind Geschichte – und ihre Gebeine liegen längst in der Familiengruft. Überhaupt ist der Glauben an die vorher noch zentrale „famiglia“ irreversibel beschädigt: Nichts und niemand ist den todbringenden Mafiosi mittlerweile mehr heilig. „Du kannst der Familie nicht trauen“, fasst Genny die völlig neuen Verhältnisse zusammen. Wenigstens das habe er aus all den vergangenen Intrigen und Blutbädern gelernt. 

Nur einer ist in den ersten Episoden der dritten Gomorrha-Staffel beinahe komplett abgetaucht: Ciro, der gebrochene Todesengel. Marco D’Amore spielt ihn dieses Mal deutlich reduzierter, längst wirkt er selbst wie ein Untoter, der Vertigo-gleich noch einmal aus dem Reich der Toten wiederkehrt. Der Glanz auf seiner Lederjacke wie in seinen Augen ist ohnehin vollkommen verschwunden. Nach dem Tod seiner Liebsten quält er sich längere Zeit wie eine geschundene Seele durch Neapels Schattenorte: Ohne Reichtum und Richtung, ohne echtes Machtinteresse oder pure Gier. „Für dich spielt Zeit keine Rolle mehr“, wird ihm Gennaro, sein liebster Freund und Feind, in der zehnten Folge einmal sinnträchtig zurufen. 

Überhaupt ist der Ton, trotz vereinzelter Schwächen in der Dialogführung, nun signifikant anders, insgesamt noch düsterer – und gleichzeitig weniger pathetisch. Schließlich existieren hier längst keine einzelnen Paten mehr. Allein das System – und im Besonderen Neapels Innenstadt – bildet jetzt die eigentliche Hauptfigur im weiterhin ungemein fesselnden Gomorrha-Kosmos, der noch einmal deutlich bitterer geworden ist: Bis hin zum blanken Nihilismus, inklusive einiger visuell schwer erträglicher Barbareien wie in einem Supermarkt oder an einem schweren Marmortisch … Die Hölle des Systems macht vor niemandem Halt und frisst sich quasi selbst auf. Und das ist durchaus wörtlich zu nehmen.

Simon Hauck

Dieser Text erschien zuerst auf  kino-zeit.de, von uns als zuverlässiges Medium, sich über Filme zu informieren, rundum empfohlen.

Tags : , ,