Geschrieben am 1. April 2021 von für Crimemag, CrimeMag April 2021

Robert Rescue: Podcast-Blabla

Blabla BlablaPodcasts, überall nur Podcasts. Jeder macht inzwischen einen. Ob über Beziehungen, Essen, Technik, Gesellschaft oder Verbrechen. Kein Wunder, Lockdown-bedingt leiden die einen unter Vereinsamung und können ihre Selbstgespräche nicht mehr ertragen, den anderen sind sämtliche Bezugspersonen weggestorben. Da braucht es irgendetwas, wo man anderen Menschen zuhören kann und Hörbücher haben vermutlich alle schon durch.

Den endgültig letzten Beweis für die Popularität von Podcasts fand ich in einem Facebook-Post meiner … äh … Moment … Schwägerin aus meiner Heimat, wo sie mit Mutterstolz berichtete, dass ihr Sohn, mein … äh … Moment … Neffe einen Beitrag für den Podcast in meiner Heimat eingesprochen hat. Ein Beitrag über die Mutter meiner … äh … Schwägerin, die in einem kleinen Dorf schon ökologischen Gartenbau und Nachhaltigkeit betrieb, bevor die Sau durchs Dorf der heutigen Medien und der Generationen Y und Z getrieben wurde. Also die Art Landwirtschaft, die mit der Sesshaftigkeit des modernen Menschen entstand und von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Ich habe nur eine Minute in den Beitrag meines Neffen reingehört, weil ich wieder viel zu tun hatte, mich nicht mehr konzentrieren konnte und aufgrund von Koffeineinwirkung von einer Zimmerecke in die andere schwebte. Aber mein Neffe hat eine Geschichte geschrieben und sie vorgetragen. Im Podcast-Projekt meiner Heimatstadt.

Auf jeden Fall hab ich mich gleich gefragt, warum der Podcast da nicht eine Sendung mit mir macht. Und habe mir gleich selbst eine Antwort gegeben. Die kennen mich nicht. Das ist ja so ein Dilemma für mich, dass ich schon in einigen Texten behandelt habe – ich bin in meiner Heimat als Künstler nicht weltberühmt, also nicht einmal ansatzweise bekannt. Gut, zum Teil bin ich schuld daran. Ich habe wenig Kontakte dorthin. Wären es mehr, würde das die Chancen erhöhen, das irgendwer mal auf die Idee gekommen wäre, mich zu einem Auftritt einzuladen oder ein Interview mit mir zuführen. Aber wäre jemand auf die Idee gekommen, mich zu einer Lesung oder einem Interview einzuladen und hätte sich ausreichend informiert, inwieweit die Heimat in meinem Werk einen Stellenwert einnimmt, wäre die Enttäuschung groß gewesen. Also, die Heimat nimmt einen gewissen Stellenwert in meinem Werk ein, immer mal wieder über die letzten Jahre, aber ich muss offen gestehen – keinen guten. Dabei habe ich über meine Jahre dort geschrieben, also über die Vergangenheit und wie schwer ich es hatte, als jugendlicher Lyriker ernstgenommen zu werden, was schließlich dazu führte, dass ich nach Berlin ging, um dort mit anderen jungen Lyrikern Gesprächskreise zu gründen, um schließlich in meiner Entwicklung als Weddinger Lokalpoet zu enden, der über den ganzen Scheiß hier schreibt und sich gelegentlich mal an die alten, schlechten Zeiten erinnert.

Ich meine, mein ältester Bruder hat mir neulich mal geschrieben, dass sich in der Heimat „viel verändert“ habe, was im Rückschluss doch heißt, dass früher die Misthaufen der Äcker kilometerweit gestunken haben, oder so ähnlich.

Zurück zum Podcast. Ich habe unter dem Post meiner Schwägerin geschrieben: „Interessantes Konzept.“ Das war meine Aufforderung an sie, sich bei den Machern zu melden und auf mich hinzuweisen. Sie hat das geliket und mehr ist nicht passiert. Wie soll ich in meiner Heimat weltberühmt werden, wenn die bucklige Verwandtschaft sich nicht reinhängt? Liegt wohl daran, dass der Verwandte in der Hauptstadt nicht mal dort weltberühmt ist. Kann ich verstehen, dass meine Schwägerin da nicht aktiv werden will, wenn sie nicht ein paar aktuelle Links zu Artikeln in der Hauptstadtpresse beifügen kann.

Aber mal angenommen, die Macher von dem Podcast würden sich doch bei mir melden? Was soll ich dann machen? Mein neuester Heimattext, in dem ich darüber berichte, dass einmal im Jahr alle Asozialen vom Burgturm geworfen werden, steht im Internet. Ich habe mir das ausgedacht, sprich künstlerische Freiheit und so, aber werden die das auch so sehen? In einem anderen Text habe ich behauptet, dass alle Ehrenamtlichen bei den Freiwilligen Feuerwehren miteinander verwandt sind. Das stimmt so natürlich nicht, aber die Häufung bestimmter Nachnamen in meiner Heimat lässt diesen Verdacht, zumindest, „aufkeimen“ und ich selbst glaube da natürlich überhaupt nicht dran, aber ein bisschen rumspinnen wird ja wohl noch erlaubt sein, gerade als Künstler. Wie soll ich darauf reagieren, wenn die mich trotzdem einladen und mich darauf ansprechen? Soll ich einen Eklat auslösen, und die schalten mich in der Hälfte einfach ab? Weiß meine Verwandtschaft von diesen Texten? Ich habe immer drauf geachtet, dass sie in meinen Solo-Büchern nicht auftauchen. Die „harten“ Texte sind immer in Gemeinschaftswerken zu finden, so als hätte ich unbewusst darauf geachtet, meine Spuren zu verwischen. 

Die wollen bestimmt auch wissen, wie mein „Verhältnis“ zu meiner Heimat ist. Ich weiß, dass es dann aus mir herausbricht, weil ich so ein ehrlicher Typ bin. Ich lasse dann alle Diplomatie außer Acht und hole die verrotteten Leichen aus dem Keller. Vielleicht gibt es anschließend eine Bücherverbrennung auf dem Marktplatz? Und meine Brüder samt Familien werden geteert und gefedert und zum Sterben in den großen Wald geschickt? Dann hängt aber der Familiensegen schief.

Was gab es denn bislang für Beiträge? Maike Poff erzählt über ihr Leben als Floristin. Die Poffs sind schon seit 400 Jahren als Floristen unterwegs. 

Wer da nicht das Familienerbe antritt, wird hinterrücks erschlagen und irgendwo auf einem Acker verscharrt. Mist, jetzt ist mir schon wieder so ein Gedanke rausgerutscht, den mir zumindest die Familie Poff übel nehmen kann. 

„Helau am Tulpensonntag“ ist auch nicht gerade ein Titel, der mich zum zuhören bewegt. Seit wann gibt es einen Tulpensonntag? 45 Minuten Karneval mit dem deutschen Präsidenten der Vereinigung europäischer Karnevalsstädte e.V. Klingt nicht nach einem Hörvergnügen, an das ich mich später gerne erinnern werde. Bestimmt fragen die mich, was ich vom Programm des Podcasts halte. Dann fehlen mir die Worte oder ich hauche ein „Gut“, ein weiterer Höhepunkt in der Menschheitsgeschichte der Lüge. 

Vielleicht wäre es das Beste, wenn ich die ganze Angelegenheit einfach vergesse. Vermutlich ist es in manchen Situationen besser, nicht weltberühmt zu sein. Einfach unter dem Radar bleiben und jeder Gelegenheit aus dem Weg gehen, den Karren in den Dreck zu fahren.

Übrigens: Als jugendlicher Lyriker mochte ich ein Zitat von Stephen King. In Hermon, wo King vor Beginn seiner Karriere in einem Wohnwagen hauste, sollte ein Museum eröffnet werden sowie ein „Stephen King Tag“ gefeiert werden. Auf beides hat man schließlich verzichtet, nach dem King, im „Playboy“ zu diesem Plan befragt, antwortete: „Wenn Hermon nicht das Arschloch der Welt ist, dann ist es höchstens einen Furz weit davon entfernt.“

Es muss einen Grund haben, dass ich dieses Zitat nie vergessen habe. Wenn ich mir die Möglichkeit offen halten will, doch noch bei diesem Podcast mitwirken zu dürfen, dann muss ich auf zwei Dinge achten: Weder Kings Äußerung zitieren, noch diesen Text öffentlich zugänglich machen.

Robert Rescue bei CrimeMagZu seiner Webseite mit Terminen, Veröffentlichungen etc. geht es hier, einen einschlägigen Beitrag von ihm finden Sie in der Anthologie „Berlin Noir“ und beim Talk Noir im Neuköllner Froschkönig ist er regelmässig unser Stargast.

Im Herbst 2020 Corona zum Trotz erschienen: Robert Rescue: Das Leben hält mich wach. Berlins müdester Lesebühnenautor trotzt dem alltäglichen Wahnsinn mit Humor. Edition MundWerk, Berlin 2020. 146 Seiten, 12 Euro.

Tags : ,