Geschrieben am 1. September 2020 von für Crimemag, CrimeMag September 2020

Robert Rescue: Klaus Pelzer und der Schrippen-Mörder

Klaus Pelzer ist ein Geisterjäger. Keiner der Sorte wie John Sinclair, der den Teufel und seine höllischen Dämonen in Diskotheken, Spukhäusern oder in verfluchten Klosterruinen jagt. Klaus Pelzer ist vorzugsweise im Internet unterwegs, in den Augen mancher die Hölle von heute. Hin und wieder jagt er auch alte Götter in Kleingartenkolonien oder exorziert ans Internet angeschlossene Mädchenpuppen, die von einem Hacker übernommen wurden. Und manches Mal entpuppt sich ein scheinbar paranormales Phänomen als Kriminalfall … 

Der Tatort sah aus wie fast jeder Tatort. Eine Leiche auf dem Boden, ein blutiger Schädel, aber keine Spuren eines Kampfes. Was Klaus Pelzer auffiel, war die Mordwaffe. Kein Messer, keine Axt oder ein Hammer. Ein rundlicher Gegenstand, aus der Ferne betrachtet scheinbar ein Stein, doch bei näherer Betrachtung eine mit Blut bedeckte Schrippe.

„Ein grausiger Tod“, kommentierte Kommissar Langnese neben ihm. „Den wünsche ich nicht einmal meiner Schwiegermutter. Dabei wünsche ich ihr eine Menge Tode. Letzte Nacht habe ich geträumt, dass Boris Johnson sie mit Corona ansteckt. Auch nicht schön.“

„Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas überhaupt möglich ist“, sagte Pelzer.

Der Gerichtsmediziner tauchte neben ihm auf.

„„Der Mord geschah aus einer Entfernung von 1,5 Metern. Der Täter hat die Schrippe geworfen und das Opfer am Kopf getroffen. Es gab keine Chance, das zu überleben, nicht bei dem Alter der Schrippe.“

„Wie meinen sie das?“, wollte Pelzer wissen. 

„7 Tage alt“, sagte der Gerichtsmediziner. „Diese Schrippe ist so hart wie Krupp-Stahl. Der Mörder wusste um die tödlichen Eigenschaften, die eine Schrippe meist schon am Tag nach dem Kauf entfaltet. Sie wird mit jedem weiteren Tag tödlicher. Wenn sie eine Schrippe ab dem dritten Tag aus Versehen fallen lassen und sie ungünstig fällt, können sie ihren Fuß vergessen. Die meisten Leute wissen nichts von der tödlichen Wirkung. Sie merken nur, dass die Schrippe nicht mehr genießbar ist, außer sie haben ein Gebiss wie der „Beißer“ aus den James Bond Filmen.“

Klaus Pelzer schaute sich um. An der einen Wand stand mit Blut geschrieben: „Der Teufel wird dich holen!“

Kommissar Langnese zeigte mit der Hand drauf.

„Deshalb haben wir sie geholt, Herr Pelzer. Das erleichtert die Suche nach dem Täter ungemein. Es war der Teufel. Jetzt brauchen wir eine Adresse. Ich dachte, dass ist ein Job für sie. Sie finden raus, wo der Hundesohn seine Meldeadresse hat und wir schnappen ihn uns.“

„Hölle?“, fragte Pelzer.

„Gute Idee“, entgegnete Langnese. „Nur, wie kommen wir dahin?“

Pelzer entschied sich für einen anderen Ansatz.

„Ich glaube nicht, dass es sich um den wahrhaftigen Teufel handelt. Meist schreiben doch irre Mörder so etwas hin, weil sie sich für den Satan halten oder die Polizei auf eine falsche Fährte locken wollen. 

Der Teufel wird nie jemanden direkt töten und schon gar nicht mit einer tagealten Schrippe. Er ist der Widersacher Gottes, ein gefallener Engel, der Herr über das Reich des Bösen.“

Der Kommissar kaute auf der Lippe herum.

„Was ist mit Martin Luther? Der soll doch den Teufel mit einem Tintenfass vertrieben haben. Vielleicht hat der sich da was abgeschaut. Also der Teufel, nicht Luther.“

Pelzer atmete vernehmlich aus und sagte dann resolut: „Nein, das kann ausgeschlossen werden. Luther meinte mit der Aussage „den Teufel mit Tinte vertrieben“, dass er durch die intensive Beschäftigung mit der Bibelübersetzung seine häufig einsetzenden Depressionen, die mit Teufelserscheinungen einhergingen, eindämmen konnte.“

Der Kommissar sagte nichts, sondern rief einen Untergebenen.

„Wenn es der Teufel nicht war, wer dann? Ein Gärtner spielt in diesem Fall keine Rolle. Nichts deutet darauf hin. Meine Logik sagt mir, dass wir die Berufszugehörigkeit enorm einschränken können. Schöller, überprüfen sie den Bekanntenkreis der Person. Ob sich ein Bäcker darunter befindet oder ein/eine Fachverkäufer/Verkäuferin für Backwaren. Der Täter kommt in der Regel immer aus dem Familien- oder Freundeskreis. Schauen sie auch, ob hier im Haus ein Bäcker wohnt. Das wäre höchst verdächtig. Die Person verhaften wir dann und nötigen sie zu einem Geständnis. Damit ist der Fall gelöst.“

Der Untergebene wollte sich abwenden, doch dem Kommissar fiel noch etwas ein:

„Schöller, wenn alle Nachforschungen im Sande verlaufen sollten – überprüfen sie, ob irgendein Familienangehöriger oder Nachbar die Bäckerblume abonniert hat. Eine gestiegene Affinität zum Bäckerhandwerk könnte auch ein Verdachtsmoment sein.“

Pelzer verließ den Tatort. Er hatte dort nichts mehr zu tun. Der Kommissar würde seinen Mutmaßungen folgen und am Ende einen Täter präsentieren oder nicht. Er spielt dabei keine Rolle mehr. Er ging zur U-Bahn, holte sich im dortigen Backshop ein „Käseding“ und begann, über den Namen zu sinnieren. Was Dümmeres war denen nicht eingefallen. Er überlegte, was es noch für Alternativen gab. „Käsebrötchen“ klang altbacken, „Käsehupferle“, ach nee. „Käseknack“. Pelzer mochte nicht mehr weiter nachdenken. Eine Nachricht erreichte ihn. 

Zeit für den Showdown, Pelzer“, las er. „Heute Abend auf dem Flugfeld Tempelhof. Nur du und ich. Wer verliert, macht den Abflug, haha. Es kann nur einen geben. Hasta la Vista, Baby. Schöne Grüße, der Schrippen-Mörder.“

Klaus Pelzer war irritiert. Was wollte der Täter von ihm? Woher hatte er die Nummer? Wohl von seiner Homepage. Er kannte ihn offenbar. Warum ein Showdown? Warum stand da keine Uhrzeit?

Ob er antworten sollte? 

„Showdown können wir machen, wenn ich die Zeit dazu habe. Könnten Sie mir freundlicherweise noch eine Uhrzeit mitteilen?“

Was würde das für Konsequenzen haben?

Er schrieb es.

Kurz darauf las er:

„Ah ja, die Uhrzeit, stimmt. Wie wäre es mit 20 Uhr? Direkt am Gebäude. Bring dir einen Grabstein mit, Pelzer. Schöne Grüße, der Schrippen-Mörder.“

Pelzer rief Kommissar Langnese an und informierte ihn. Der Polizist riet ihm, auf den Kampf einzugehen und solange durchzuhalten, bis ein SEK eingreifen würde. 

Pelzer ärgerte sich, dass er am Abend nichts anderes vorhatte.

Es war gegen 20 Uhr, als er auf dem Flugfeld Tempelhof erschien. Er kam sich vor wie in einem schlechten Plot eines miserablen Krimiautors. Es war nebelig und irgendwo war ein Kuckuck zu hören. Das Tempelhofer Feld war leer, was wohl an den Temperaturen lag. Inzwischen waren alle informiert und laut Kommissar auf ihren Posten. Die KSK, die GSG 9 und das SEK, dazu Krankenwagen und Psychologen, falls es irgendwen zu betreuen gab. Pelzer hielt sich nah an der stillgelegten Abfertigungshalle und ging diese lang. Er war angespannt. Jeden Moment erwartete er einen Angriff des Mörders. Eine durch die Dunkelheit sausende 10 Tage alte Schrippe, die ihn tödlich am Kopf traf. Er hörte ein Geräusch. Eine wegrollende leere Flasche. Vor sich sah er eine Gestalt, die eine ausholende Bewegung machte. Pelzer duckte sich. Etwas sauste an ihm vorbei und durchschlug weit hinter ihm eine Fensterscheibe. Pelzer entschied sich für Angriff. Er lief, weiter geduckt, auf die Gestalt zu und wagte Pi mal Daumen einen Sprung. Er traf genau und fiel mit seinem Gegenüber um. Sein Gegenüber war schmächtig, aber damit hatte Pelzer keine Probleme. Er wuchtete ihn auf den Bauch und drehte die Arme nach hinten. Jetzt erkannte er die Person. „Günther?“

Er hörte ein zustimmendes Grunzen.

Pelzer ließ den Griff los und erhob sich. Er war verwirrt, dass sein Stammbäcker ihm hier auflauerte. Eine schreckliche Erkenntnis wurde ihm klar.

„Du bist für den Mord verantwortlich?“

„Natürlich“, antwortete sein Gegenüber und versetzte ihm einen Schlag in den Magen. Pelzer ging auf die Knie. „Ein Bauernopfer, um dich in die Sache mit reinzuziehen. Der Spruch an der Wand. Sie mussten auf die Idee kommen, einen Geisterjäger zu befragen. Ein nicht origineller Plan, aber perfide, nicht wahr?“

„Das dachte ich auch gerade“, sagte Pelzer. „Aber warum das ganze?“

„Rache“, sagte Günther. „Du hast mich verlassen. Bist zum Discounter gegangen, um dort deine Frühstücks-Schrippen zu holen. Du elender Verräter am Bäckerhandwerk.“

„Aber das war ein einziges Mal“, begehrte Pelzer auf. „Du hattest an dem Tag zu. Danach war ich wieder täglich bei dir. Ich habe fast die 10000 Punkte auf der Kundenkarte zusammen. 15 Jahre, 6 Tage die Woche habe ich dir die Treue gehalten.“

„Die Saat des Bösen ist gesät“, sagte Günther. „Wer einmal zum Discounter geht, geht wieder hin. Und dann nur noch. Ich habe dich als Kunden verloren, du trägst bei zum Niedergang meiner Existenz. Dafür wirst du büßen!“

In diesem Augenblick bellte ein Kommando zu ihnen. Etwa 300 Soldaten und Polizisten in schwerer Montur näherten sich von allen Seiten. Günther griff in eine Tüte und begann mit Schrippen nach ihnen zu werfen. Eine Verzweiflungstat. Die Uniformierten zögerten. Sicherlich waren sie auf alle Arten von Gegenwehr vorbereitet, aber Schrippen schienen ihnen neu zu sein. Pelzer rief, dass sie aufhören sollten. Er zerrte an Günther, doch der stieß ihn weg. Eine Schrippe traf einen SEK-Beamten am Knie und zerfetzte es. Das war für die Einsatzkräfte das Signal. Egal, ob es sich um eine Pistolenkugel oder um eine Schrippe handelte, der Mann vor ihnen war eine Gefahr. Sie schossen. Pelzer warf sich zu Boden.

Wenig später stand Kommissar Langnese über ihm und half ihm auf. „Er ist keine Gefahr mehr, wir haben ihn erwischt.“

Auf dem Boden lagen ein paar Schrippen verteilt herum. Aus Wut trat Pelzer gegen eine. Er bereute es augenblicklich. Ein immenser Schmerz durchzog den Fuß. Er hüpfte auf der Stelle und fluchte. „Sie werden sich einen neuen Bäcker suchen müssen“, sagte Kommissar Langnese. „Nur doof, dass die sich rar gemacht haben. Und jetzt noch rarer. Wenn sie Pech haben, lohnt der Aufwand in Bezug auf den Ertrag nicht. Dann wird sich die Prophezeiung des Mörders erfüllen. In dem Fall empfehle ich die Sesam-Schrippen bei PENNY für 29 Cent das Stück. Wenn Sie sich vorstellen, Sie hätten sie wie gewohnt besorgt, dann sind die erträglich. Sie werden sich mit dem Schicksalsschlag schon abfinden.“ 

Robert Rescue bei CrimeMagZu seiner Webseite mit Terminen, Veröffentlichungen etc. geht es hier, einen einschlägigen Beitrag von ihm finden Sie in der Anthologie „Berlin Noir“ und beim Talk Noir im Neuköllner Froschkönig ist er regelmässig unser Stargast.

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