Geschrieben am 1. Oktober 2020 von für Crimemag, CrimeMag Oktober 2020

Robert Bracks Thriller „Dammbruch“

Die Gier, die Flut, der Tod

Robert Brack  siedelt seinen neuen Thriller „Dammbruch“ im tosenden Hamburger Flutkatastrophen-Umfeld vom Februar  1962 an. Eigentlich wollen seine Protagonisten nur unauffällig einen Raubmord durchziehen und einen Tresor knacken – doch dann kämpfen sie ums Überleben in mörderischen Fluten. – Von Peter Münder.

Mitten in der Sturmflut, die am 16. Februar 1962 vor allem den Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg überschwemmte, zum Dammbruch der Elbdeiche führte und insgesamt 340 Menschen das Leben kostete, sind Rinke, Piet und Betty unterwegs. Der gewiefte Einbrecher Rinke hat den 17-jährigen Piet angeheuert, der ihm bei einem Bruch in einem Hafenschuppen helfen soll, einen Tresor mit einem Beutel voll Gold zu knacken, während die  Kriegsversehrten-Pflegerin Betty ihren in übelster Sklavenhalter-Manier agierenden Peiniger Herrn Heinrich im Keller entsorgt, seinen versteckten Schatz klaut und nun auf der Flucht ist. Auch zwei Polizisten sind im neuen Ford-Taunus-Dienstwagen unterwegs – sie stranden bald auf überschwemmten Straßen, die sich in überflutete Kanäle und riesige Wasser-Areale verwandelt haben, über die der Sturm Treibgut und Müll, Telefonmasten und Lkws, Tische, TV-Geräte und Schränke schwemmt. In diesem tosenden Chaos treffen diese Figuren aufeinander. Wer überlebt, wer kommt durch? Wer kann seinen Traum vom großen  Glück verwirklichen?   

Robert Brack, 61, hat ja bereits in seinen St.Pauli-Krimis („Blutsonnntag“ u.a.) und vor allem im beeindruckenden Pellworm-Roman „Und das Meer gab seine Toten wieder“ historische Hintergründe beschrieben und akribisch analysiert. Dabei gelang es ihm grandios, Spannungsmomente aus dubiosen Quellen herauszukitzeln, die von Behörden gefälscht oder verstümmelt wurden – wie im Fall der beiden getöteten Kripo-Beamtinnen, die im Juli 1931 bei starkem Sturm an die Küste von Pellworm angeschwemmt wurden. Und er rückte damit auch den lange vertuschten Skandal um die unter dubiosen Umständen erfolgte plötzliche Auflösung der Abteilung „Weibliche Kriminalpolizei“ in den Fokus.  

In „Dammbruch“ liefern die dramatischen Begegnungen und Konflikte zwischen Rinke, Piet und Betty scharfsinnige Psychogramme und überraschende Einsichten – wenn etwa der sonst eher unterbelichtete oder tolpatschige Piet darüber räsonniert, wie er einem hilflos im Wasser treibenden Mann das Leben retten kann: Sollte dem gierigen Egoismus nicht irgendwann auch mal eine Grenze gezeigt werden? Und schon springt der mutige Piet als Retter ins Wasser.   

Überhaupt unterläuft Robert Brack gängige Erwartungshaltungen sehr geschickt und konterkariert plumpe Klischees: Die flotte Betty, für Tänzchen und einen Flirt jederzeit zu haben, ist eine extrem taffe Lady und kann dem eher abgebrühten Rinke jederzeit Paroli bieten. Nicht umsonst hat sie eine  Drahtschlinge für alle Falle in ihrem Handgepäck …

Der Dammbruch findet auch in den Köpfen der Figuren statt: „Gedankenfetzen taumelten durch sein Bewusstsein, ziellos“, heißt es an einer Stelle, als der abgekämpfte Rinke in aussichtsloser Lage beschrieben wird. „Überreste von Wünschen und Sehnsüchten, die aus irgendwelchen Tiefen nach oben gespült worden waren, zerstoben und verglommen wie Funken eines verloschenen Feuers , dessen Asche von einer Windböe aufgewirbelt wird.“ 

Man muss nicht erst Heideggers verquastes „nichtendes Nichts“ bemühen, um zu erkennen, dass die von Brack anvisierte Meta-Ebene sich als Auseinandersetzung mit der ethisch-moralischen Wertfrage darstellt: „Wie kann man im Kampf ums Überleben überhaupt noch eine soziale Verantwortung wahrnehmen?“ Dieses vor dem Krimi-Plot-Panorama beschriebene Dilemma entwickelt Robert Brack spannend und sehr überzeugend.

Die Frage ist nur, ob man für diese literarisch gestaltete Form des „Mörderischen neben dem Leben“ (Thomas Wörtche) unbedingt ein neues Genre – nämlich den „Sturmflut-Thriller“ – etablieren muss, wie es der Verlag Ellert & Richter versucht. Werden wir in diesen chaotisch-pandemischen Zeiten demnächst also mit Corona-, Schweinepest-, Cum-Ex-, Wirecard- oder vielleicht sogar Schimmelpilz-Thrillern konfrontiert?  

Robert Brack: Dammbruch. Ein Sturmflut-Thriller. Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2020. 240 Seiten, 12 Euro.

Robert Bracks Texte bei uns hier. Und die von Peter Münder ebenfalls.

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