
Demian Lienhards Roman “Mr. Goebbels Jazzband” langweilt Thomas Wörtche
Schade, das hätte was werden können. „Mr. Goebbels Jazzband“, über die Demian Lienhards Roman handelt, hieß recht eigentlich „Charlie and His Orchestra“ und war ein Propaganda-Projekt von Goebbels Ministerium, um in der Radio-Sendung „Germany calling“ für den vermuteten angelsächsischen Geschmack die passende Musik zu haben. In den Wortbeiträgen hetzte der Chef-Kommentator William Joyce unter dem Namen „Lord Haw Haw“ gegen Churchill und die britisch-amerikanische Kriegspolitik. Musiker für diese Band zu finden, war nicht schwer, hatte doch die Weimarer Republik ein sehr reges Jazz-Leben. Auch wenn Jazz grundsätzlich in Nazi-Deutschland nicht toleriert wurde, weil „undeutsch“, gab es doch eine Menge kompetenter Musiker, die das Idiom beherrschten – darunter auch Homosexuelle und Juden, für die das Orchester eine Art Überlebensraum wurde, auch wenn die Texte zu ihren Songs in die Kategorie „ekelhaft“ gehörten. Das alles weiß man, das ist alles rekonstruiert, man kann es bei Michael H. Katers „Different Drummers. Jazz in the Culture of Nazi Germany“ (1992), nachlesen, bei Michael Zwerins „La tristesse de Saint Louis“ (1985) oder, kompakt und gut fundiert in Wolfram Knauer exzellenter „Geschichte des Jazz in Deutschland“: „Play yourself, man“ (2019). Insofern wartet man bei Lienhard schon auf einen Clou, auf eine spezielle Pointe oder ähnliches. Und wartet, und wartet …
Stattdessen erfahren wir eine ganze Menge über Lord Haw Haw, ein amerikanischer Ire mit gefälschtem britischen Pass (deswegen haben ihn die Brits nach dem Krieg auch hingerichtet), germanophil, faschistisch, anti-semitisch. Ein trauriger Kollaborateur, dessen Biographie nicht besonders spannend ist, aber einen guten Teil des Buches ausmacht, auch wenn sie im Wesentlichen längst bekannt ist.
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Die Hauptfigur aber ist ein erfolgloser, ziemlich erbärmlicher, opportunistischer Schweizer Autor namens Fritz Mahler, der das passende Narrativ zum Orchester als Roman liefern soll, hochbezahlt und privilegiert in Berlin einquartiert. Mahler weiß nicht genau, wie er seinen Stoff angehen soll und zieht lieber mit den Musikern durchs Berliner Nachtleben – ach ja, nichts was man bei Isherwood etc. schon viel besser gelesen hat -, trinkt zu viel und macht sich Gedanken, quält sich rum und kommt nicht zu Potte. Vermutlich, weil er ein grottiger Autor ist. Das kann man natürlich als Meta-Ebene über das Schreiben verkaufen, und findet damit sicher auch ein paar Nachplapperer, aber den Roman bringt es kein bisschen voran. Wie überhaupt nichts voran geht, es gibt keine Intrige, keinen Plot, keine Story von Belang und Interesse. Nur die historischen Zeitläufte. Denn irgendwann ist ja bekanntlich Schluss gewesen mit den Nazis – und da hilft es auch nicht, dass der Text, den wir bis jetzt gelesen haben, nun plötzlich der Text sein soll, den Mahler geschrieben hat, und in dem am Ende die Nazis den Krieg gewinnen (wenn ich´s richtig verstanden habe). Zudem gibt es dann im Anhang noch eine weitere Fiktion: Mahler sei gar nicht der Autor, sondern ein Schweizer Minderdichter namens Lang, dessen Typoskript Herr Lienhard geklaut und als sein eigenes Werk ausgegeben habe. Warum? Was für ein Aufwand für praktisch nichts.
Bliebe also die sprachliche Ebene: „Über dem Reich, über der Hauptstadt, über Berlin, da war an diesem Vormittag eine durch und durch deutsche Sonne am blankgeputzten Himmel zu sehen“, so gestelzt und verschraubt beginnt das Buch, was man aber immerhin – einen schlichten Begriff von Komik unterstellend – noch als Distanz zwischen Sprache und Erzählgegenstand verstehen könnte. Richtig schlimm wird es aber, wenn über die Musik geschrieben wird, da schluchzen die Saxophone traurig, das Klavier klimpert, der Kontrabass schnurrt, Klarinetten näseln nervös, ein anderes Saxophon tüdelüt, mon dieu – und ja, man könnte sagen, das sei eben die völlig verständnislose Perzeption Mahlers. Was es aber nicht erfreulicher macht.

Tatsächlich habe ich in letzter Zeit kein Buch gelesen, bei dem ich mir so unsicher war, was das Ganze soll. Eine alte Schote aus der Nazi-Zeit (klar, historische Romane haben Konjunktur), mit dem Porträt eines faschistischen Iren, der nichts war als eine kleine Fußnote der Geschichte, ohne weitere Dimensionen, den Selbstzweifeln eines schlechten Autors und sehr wenig über das Hitlerdeutschland, in dem Antisemitismus keine richtig große Rolle gespielt haben muss, wenn ich dem Buch folge. Und dass Goebbels und Co. ein paar perfide, wenn auch bescheuerte Ideen hatten, das überrascht jetzt auch nicht wirklich.
Noch eine kleine Anmerkung: Wolfram Knauer erwähnt in seiner Geschichte des Jazz in Deutschland, dass Überlebende Musiker von Charlie`s Orchestra, als sie nach dem Krieg vor GIs richtigen Jazz spielen durfte, dort Kult-Status hatten, eben weil sie in Mr Goebbels Jazzband gewesen waren, eine Anekdote, die man bei Lienhard nur milde paraphrasiert wiederfindet. Na ja ….
Thomas Wörtche
Demian Lienhard: Mr. Goebbels Jazzband. Roman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 2023. 313 Seiten, 24 Euro.