Geschrieben am 1. März 2022 von für Crimemag, CrimeMag März 2022

Querzahnmolch, Aye-Aye oder Schnilch – alle prekär

Mit Esprit und Witz zur Lage des Planeten

Thomas Wörtche über „Ein prekäres Bestiarium

Im Grunde ist das „Prekäre Bestiarium“ von Heiko Werning und Ulrike Sterblich eines der seltenen Sachbücher, die man, fängt man an, es nachzuerzählen, gleich ganz abdrucken müsste – als Rezension. Um was es geht ist klar: das Prekariat für Tiere besteht darin, auszusterben, ausgerottet zu werden und schon ausgestorben und ausgerottet zu sein, wie der Dodo oder der Beutelwolf. Und natürlich wissen wir das längst. Wenn die Menschheit so weitermacht mit der Zerstörung und Verwüstung so ziemlich aller Ökosysteme auf diesem Planeten, ist auch irgendwann auch mit Homo Sapiens Schluss.

Aber wie heißt es so schön, nach uns die Sintflut. Um wenigsten einen Hauch einer Chance zu haben, ist es schon sinnvoll, auf bessere Zeiten zu hoffen, und Spezies, die noch nicht ganz am Ende sind, zu retten. Kröten über die Straße zu tragen, ist zwar ein beliebter Kalauer für zwanghaft witzische Kabarettisten, kann aber eine gute Sache sein, wenn die Viecher dadurch der Biodiversität erhalten bleiben. Manche Leute, so lernen wir, zeigen sogar dem Waldrapp, ein Zugvogel, der aber, wenn in der Zucht aufgewachsen, nicht weiß, wohin er ziehen soll, den Weg, in dem sie ihm mit dem Leichtflugzeug in den warmen Süden vorausfliegen, denn dann kann es sich für’s nächste Mal den Weg merken.

Und das ist keineswegs albern, sondern ziemlich genial. Und so wimmelt das durchweg extrem brillant und witzig geschriebene Bestiarium von mehr oder weniger obskuren Viechern, die man gerade noch in Zoos, Forschungs- und anderen Institutionen und sogar in privaten Initiativen vor dem Verschwinden bewahren kann. Für eine solche Institution engagiert sich das Buch besonders: Für die „Citizen Conservation“, denn die „baut koordinierte Erhaltungszuchtprojekte in Zusammenarbeit mit Zoos, anderen Institutionen wie Schauaquarien und Schulvivarien sowie Privathaushalten auf“. 

Und es lohnt sich. Wer aber mit allzu hehren Zielen nicht allzu viel anfangen kann, dem macht das Bestiarium ein Angebot, das man eigentlich nicht ablehnen kann. Es stellt derart spannende Tiere spannend und entertaining vor, dass man vor ihren oft verborgenen Werten begeistert ist. Wer möchte schon auf das Visayas-Pustelschwein verzichten, mit seiner allerliebsten Punkfrisur? Oder nicht einer Horde Kalifornischer Kondore beim Randalieren zusehen, wie sie „einen Sonnenschirm als Rutsche benutzen“. Ich persönlich finde natürlich den Tasmanischen Beutelteufel ganz charmant, weil er sich „grundsätzlich gern und über alles Mögliche aufregt, also recht häufig stinkend, schreiend und mit roten Ohren durch die Gegend springt“. Den Pátzcuaro-Querzahnmolch (bei manchen Tieren sind´s einfach schon die Namen, die es einem antun) möchte ich nicht missen, genauso wenig wie das Goldene Löwenäffchen,  das so selten ist, dass es wie ein Kunstwerk oder die Blaue Mauritius als Geldanlage für allerlei mafiose Gestalten dienen muss, die vor bewaffnetem Äffchen-Raub nicht zurückschrecken.

Aber jetzt fange ich doch an, das Buch nachzuerzählen, was ich eigentlich nicht wollte. Und man könnte so viel erzählen, vom befremdlichen Aussehen mancher Tiere, von beklagenswerten Tischmanieren oder erstaunlichen Sexualpraktiken, wobei man nicht übersehen kann, wie anthropozentrisch das alles geschaut ist – wie auch sonst. Und damit doch limitiert, das ist das Paradox, weil man das alles kreativ im Sinne der Tiere drehen kann.

Nur noch eine Bemerkung zum Schnilch. Grundsätzlich ist ja das Bestiarium faktensicher und bestens recherchiert – die Autorinnen neben Ulrike Sterblich auch Lisbert Siebert-Lang und Katrin Passig, und Autoren, neben Heiko Werning auch Björn Encke, wissen ganz genau, von was sie reden, geballte Sachkompetenz eben. 

Der europäische Schnilch allerdings wurde, richtig, 1822 von dem Höhlenforscher Udo Wutteck von Wutek entdeckt. Was aber Wutteck von Wutek nicht wusste (und auch unser Bestiarium nicht) oder nicht wissen wollte: Der Schnilch wurde von dem Botaniker, Theologen und Philosophen Johann Jakob Feinhals (1702 – 1769) während einer Expedition auf Java gefunden und in „Von der Seele seltsamer Pflantzen und Thiere, I-IV, Herborn 1741–1753“ beschrieben. Feinhals brachte den Schnilch mit nach Europa, fing aber zunehmend an, dessen „impertinenten Character“ zu bemängeln, weswegen der Schnilch zur Grundlage von Feinhals´ Theorie „böser Kobolde“ wurde, die den Kosmos, ähnlich wie die Leibniz´schen Monaden aussehend, beherrschten. Somit war der Ruf des Schnilches ruiniert, er selbst aus dem Bewusstsein verschwunden und Wutteck von Wuteks ahnungslose „Neuentdeckung“ war sozusagen ein geglückter Reboost. Aber das nur am Rande.

Das „Prekäre Bestiarium“ aber ist ein höchst empfehlenswerter, von Esprit und Witz funkelnder, hoch seriöser und gleichzeitig unterhaltsamer Beitrag zur Lage des Planeten, auf dass die sich bessere.

Heiko Werning, Ulrike Sterblich: Von Okapi, Scharnierschildkröte und Schnilch. Ein prekäres Bestiarium. Berlin 2022: Galiani.  240 Seiten, 22 Euro. Verlagsinformationen.

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