Geschrieben am 22. Dezember 2012 von für Crimemag

Polina Daschkowa: Bis in alle Ewigkeit

9783746628585Der posthume Sieg der Weißen Garden

Bis in alle Ewigkeit“, 2006 in Russland erschienen, ist der elfte Roman von Polina Daschkowa, der im Aufbau Verlag erscheint. Die erfolgreichste Kriminalautorin Russlands wurde mit vielen Lobeshymnen bedacht, u. a. auf dieser Webseite und im Deutschlandradio Kultur. In Russland selbst ist sie ein Popstar. Ihre Belesenheit und grundlegende Kenntnis der russischen Literatur setzt sie genauso ein wie Stereotype und Vorurteile aller Art. Die Leichtigkeit ihres Stils, klischeehafte Charaktere und psychologischer Spürsinn schaffen dieses Gemisch, aus dem sich gute Populärliteratur speist. Dennoch ist Elfriede Müller skeptisch.

Daschkowa sieht sich nicht als Gesellschaftskritikerin, sie will die Realität beschreiben, die sie erlebt und reflektiert. Sie dekonstruiert das Russlandbild der Medien keineswegs, sondern setzt eher noch eins drauf. Wer die russische Erzählkunst schätzt, fühlt sich bei Daschkowa zu Hause, ohne die philosophischen Betrachtungen von Turgeniev oder Tolstoi über sich ergehen lassen zu müssen. Auch Zwischentöne innerhalb der russischen Gesellschaft sucht man vergeblich. Leser erfahren nicht wirklich, wie die Menschen leben, aber gewinnen einen Einblick in Bereiche, die sie durch hiesige Medien bereits erahnten. Ein weiteres Erfolgsrezept der Autorin mögen die vielen attraktiven, klugen und meist jungen Frauen sein, die ihre Romane bevölkern.

Dass sie keine großen Sympathien für die Sowjetunion hegt, hat sie bereits in Interviews zum Besten gegeben. Auch die unmittelbare postsowjetische Ära ist ihr ein Gräuel, erst jetzt können sich der Autorin zufolge die Menschen entscheiden, wie sie leben möchten. Doch dass Polina Daschkowa Sympathien für die Gegner der Russischen Revolution hegt, wird nun in ihrem zuletzt auf Deutsch erschienenen Roman deutlich.

„Bis in alle Ewigkeit“ spielt auf zwei Zeitebenen, 1916 – einem Jahr vor der Russischen Revolution – und heute, also 2006. Der Roman ist ein Cocktail aus Esoterik, Populärwissenschaft, Stereotypen, historischem Roman, Familiengeschichte, Fantasy und einer konventionellen Kriminalhandlung. Ein russischer Militärarzt entdeckt 1916 ein lebensverlängerndes Mittel, das er an Ratten ausprobiert hat. Sweschnikow ist kein Wissenschaftler im eigentlichen Sinne, er forscht in seiner Freizeit und zu Hause, wo ihn seine Tochter Tanja und der aus armen Verhältnissen (und deshalb nur wenig vertrauenserweckende!) Nachwuchsarzt Agapkin unterstützt. Die esoterischen Kreise der Zeit werden geschildert, die Hellseher und Freimaurer, die Verhältnisse am zaristischen Hof um den Wunderheiler Rasputin, Gedichte von Puschkin und Mandelstam in die Handlung gestreut. Sweschnikow rettet einem jüdischen Jungen mit seiner Methode das Leben und sein Assistentsarzt spritzt sich die Substanz in einer brenzligen Lage, was ihn in den aktuellen Handlungsstrang befördert und ihn zur Schlüsselfigur des Plots werden lässt. Agapkin ist Geheimagent und arbeitet für alle Dienste, die es in der Sowjetunion gab, und ist heute beim FSB.

Polina_Dashkova

Polina Daschkowa

Das bildungsbürgerliche Milieu der Sweschnikows ist auch das bevorzugte Milieu der Autorin in all ihren Romanen, in das sie ihre Leser gerne mitnimmt. In „Bis in alle Ewigkeit“ wird dieses Milieu durch die Februar- und erst recht durch die Oktoberevolution 1917 bedrängt und bedroht. Die berühmten Köchinnen, die Lenin zufolge, einen Staat leiten sollen, werden von Daschkowa wie alle anderen politisierten Mitglieder der unteren Klassen als bedrohlicher Mob geschildert, der von Politik nichts versteht und nur von Omnipotenzgefühlen und Zerstörungswut getragen wird, sobald er sich damit befasst: „Rotgardisten mit irren Augen stürmten in die Wohnungen, suchten nach Waffen und nahmen nebenbei alles mit, was ihnen gefiel. Beim geringsten Widerstand oder einfach so, aus Jux, schossen sie jeden nieder. (…) Die Moskauer Straßen wurden beherrscht von einer neuen, nie gesehenen, kaum noch menschenähnlichen Art.“ Das Mitleid der Autorin gilt nicht den geschundenen Bauern, Arbeitern oder Soldaten, sondern der „hilflosen und verlorenen“ Zarin. Besonders erzürnt sie der Befehl Nr. 1, der die Titel der Offiziere abschaffte. Der von den Räten niedergeschlagene Putsch des General Kornilow im Juli 1917 wird zur letzten Hoffnung der dem Zaren treuen Familie Sweschnikow. So ist Tanja auch mit einem – mittlerweile abgesetzten – Offizier verlobt und dann verheiratet, obgleich Agapkin leidenschaftlich in sie verliebt ist, aber nicht zuletzt aufgrund seiner niederen Herkunft keine Chancen hat. Die weißen Generäle Denikin und Kornilow verteidigen im vorliegenden Roman die bürgerlichen Lebensgewohnheiten, die militärische Ehre und die wissenschaftliche Freiheit. Bereits die bürgerliche Revolution wird als Anmaßung und Kerenski als hysterische Witzfigur geschildert, der den Bolschewiki den Weg ebnet.

Die zeitgenössische Handlung bevölkern die Biologin Sofie, der in sie verliebte Redakteur Nolik, ihr überraschend plötzlich verstorbener Vater, ebenfalls Wissenschaftler, und Sofies Chef, Bim, der ein unterfinanziertes staatliches Institut leitet und darauf wartet, endlich den Ruhm seiner Forschungen zu ernten. Der übliche Neureiche, der in jedem Daschkowa-Roman vorkommt, heißt dieses Mal Colt und sehnt sich nach ewigem Leben, so ziemlich das Einzige, das er sich (noch) nicht kaufen kann. Bald stellt sich heraus, das Sofies Vater wahrscheinlich nicht eines natürlichen Todes gestorben ist. Sofie bekommt kurz nach seinem Ableben einen Job in Deutschland angeboten, in einem Institut für experimentelle Biokybernetik. Sie ist die Sympathieträgerin im aktuellen Handlungsstrang, eine unprätentiöse Wissenschaftlerin, die sich ihrer Attraktivität nicht bewusst ist und sich auch nicht darum schert, nicht zuletzt, weil das verdiente Geld kaum zum Leben reicht.

Die Verbindung der beiden zeitlichen Ebenen erfolgt über die Figur des dubiosen Agapkin, den ewig lebenden Geheimagenten, und die Verbindung der beiden Familien, deren Zeitgenossen davon zunächst keine Ahnung haben und wie die Leser bis zur Auflösung des Plots in allerlei Verwicklungen hineingezogen werden.

Trotz oder gerade aufgrund der offenen reaktionären und manchmal auch rassistischen Stellungnahmen ist der Text ein Stück russischer Zeitgeschichte, der sich nicht nur wegen seines Unterhaltungswertes zu lesen lohnt. Am interessantesten sind die Schilderungen der Breschnew-Ära, der Zeit der Stagnation und die der 80er Jahre, die einen nicht immer bekannten Einblick in die damaligen Verhältnisse gewähren. Auch die Personen, die aus dieser Zeit kommen, wie der Wissenschaftler Bim wirken am realitätsnahesten.

Der kurzweilige Text ist kurioser als die anderen Romane Daschkowas und dies vor allem durch die historischen Passagen, die an die Erzählungen weißrussischer höherer Töchter und Militärs erinnern. Er liest sich wie alle anderen ihrer Texte als spannender Trash.

Elfriede Müller

Polina Daschkowa: Bis in alle Ewigkeit. Kriminalroman. Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt. Berlin: Aufbau Verlag 2012. 557 Seiten. 10,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Homepage von Elfriede Müller. Europolar.

Tags :