Geschrieben am 17. April 2010 von für Crimemag, Porträts / Interviews

Peter O´Donnell als Comicautor

Pulp mit Niveau

Das deutsche Lesepublikum kennt Peter O’Donnell hauptsächlich durch seine 13 Modesty-Blaise-Romane (von denen 12 ins Deutsche übersetzt wurden). Weniger bekannt ist, dass Modesty Blaise als Comicfigur das Licht der Welt erblickte. Nach seiner Hommage an Peter O`Donnell beschäftigt sich PETER FRIEDRICH heute mit den Modesty-Blaise-Comics.

Das Genre des Zeitungsstrips, jener Urform des Comics, erlebt seit einigen Jahren eine Renaissance. Sein Ursprung ist rein kommerzieller Natur – Zeitungen ließen sich dadurch einfach besser verkaufen. Zunächst waren es nur kurze, abgeschlossene Strips mit drei oder vier Bildern, wie etwa heute bei Calvin&Hobbes. Später entwickelte man auch längere Fortsetzungsgeschichten, die den Leser an eine bestimmte Zeitung binden sollten.

Wer die geheimnisvolle, durchaus nicht unbesiegbare aber meist siegreiche Modesty Blaise und ihren Gefährten Willie Garvin, den legendären Messerwerfer, nur aus den Romanen mit ihrer fein gesponnenen Handlungsstruktur und den sorgfältigen Charakterisierungen kennt, wird sich sie zunächst kaum als zweidimensionale Comicfiguren vorstellen können.

Doch erstaunlicherweise gelang es durch Peter O’Donnells Dialogwitz und bildhaftes Denken, gepaart mit der Virtuosität der verschiedenen Zeichner, im kleinformatigen Zeitungsstrip etwas entstehen zu lassen, das die Qualität eines klassischen Film noir hatte.

Rekordverdächtig

Der Strip wurde fast vier Jahrzehnte lang in zahllosen Zeitungen der ganzen Welt abgedruckt – selbst im West Australian im fernen Perth. Damit dürfte er einer der am längsten laufenden Zeitungsstrips der Welt gewesen sein.

Der erste Zeichner (bis zu seinem frühen Tod 1970) war Jim Holdaway, dessen feiner Federstrich und Detailversessenheit – gepaart mit schwarzer Flächigkeit – das Erscheinungsbild der Serie prägen sollte. Dass Comics und Romane so ungewöhnlich kompatibel sind, liegt möglicherweise auch daran, dass es ihm gelang, Peter O’Donnells Vision von Modesty Blaise so einzufangen, dass ihr „reales“ Bild nicht mit dem kollidiert, das der Leser der Romane sich von ihr gemacht hat.

Rigides Erzählschema

Es ist erstaunlich, dass unter dem gegebenen Produktionsdruck – ein Strip pro Tag – die Qualität vier Jahrzehnte lang gleichbleibend hoch blieb. Ein Strip besteht normalerweise aus drei Panels oder Bildern. Im ersten muss der bisherige Handlungsfaden wieder aufgenommen werden, im zweiten kann man die Story vorantreiben, und der dritte muss wiederum ein Cliffhanger sein, der neugierig auf den nächsten Strip macht – ein sehr rigides Erzählschema, das den Autor in ein enges Korsett zwängt. Jeder einzelne Strip muss quasi ein komplettes kleines Drama in drei Akten erzählen, sodass auch ein Neueinsteiger, der die bisherigen Strips nicht kennt, der Geschichte sofort folgen kann.

Weil die Modesty Blaise Strips auf der ganzen Welt erschienen, kamen dazu noch zusätzliche Strips für Tageszeitungen mit Samstagsausgabe, die die Story gerade nicht weiterführen durften, sich aber für kleine Vignetten oder eine komische Pointe gut eigneten.

Dass ein erzählender Romanautor mit dieser Technik so gut zurechtkommt, ist ungewöhnlich – es verlangt die Eigenschaften und das visuelle Denken eines Drehbuchautors. In Peter O’Donnells Fall mag dies durch seine äußerst rationelle Ideenverwertung erleichtert worden sein. Wenn der Leser der Romane sich den Comics zuwendet, wird er die ein oder andere Geschichte wiedererkennen. Oder auch Gruppen von drei oder vier eigenständigen Storys, die zur Rahmenstruktur eines kompletten Romans zusammengefügt wurden, dabei jedoch eine ganz neue, komplexere Geschichte erzählten.

Zu klein für große Bösewichte

Die Leser der Romane werden sich auch an Peter O’Donnells immer fantasievoll ersonnenen, überdimensional bösartigen Bösewichte erinnern. Sei es der Soziopath Gabriel mit dem Engelsgesicht und der kindlichen Liebe zu Zeichentrickfilmen oder die furchtbaren, an der Schulter zusammengewachsenen siamesischen Zwillinge aus Operation Säbelzahn, die nur eines mehr hassen als die ganze Welt: den eigenen Bruder.

Comics und Filme haben seltener Glaubwürdigkeitsprobleme als Romane, denn sie leben von der Evidenz des Realen, doch im kleinformatigen Zeitungsstrip stehen überdimensionale Bösewichte oft vor dem Problem, nicht überzeugen zu können oder gar leicht komisch zu wirken. Peter O’Donnell löste das Problem häufig gerade dadurch, das er sich diesen Effekt zunutze machte … der ewig lächelnde „Uncle Happy“ mit dem freundlichen Mondgesicht und dem Herzen für Kinder ist in Wirklichkeit ein skrupelloser Drogenhändler, und es ist kein Zufall, dass die netten Gebrüder Boote so aussehen und so reden wie eine Albtraumversion von Dick und Doof – unvergessliche Monster.

Gabriel mit dem Engelsgesicht ist der einzige Bösewicht, der in den Romanen und den Comics auftritt – ursprünglich war er als der ewige Widersacher von Modesty Blaise geplant, wie Professor Moriarty für Sherlock Holmes, doch in Ein Hauch von Tod ließ Peter O’Donnell ihn durch einen noch furchtbareren Feind abservieren, ein wahrhaft unbesiegbares Monster von Mann – gegen das dann wiederum der gute Willie Garvin antreten muss, welcher an diesen unzerstörbaren Riesen mit dem kultivierten Smalltalk und dem netten Namen „Delicata“ bereits unschöne Erinnerungen aus seiner wilden Jugend hat.

Roman und Comic-Strip

Überhaupt überschneidet sich das Personal der Romane und Comics. Einige Figuren schafften den Sprung vom Comic zum Roman, bei anderen ging es umgekehrt. Das führt zu etlichen Merkwürdigkeiten, die eine Menge Fans bei dem Versuch zur Verzweiflung trieben, eine Art Lebenslauf von Modesty Blaise zu rekonstruieren. Das ist schon allein aus dem Grund unmöglich, dass Peter O’Donnell es wo immer möglich vermied, seine Storys zu datieren, also mit einem bestimmten Zeitraum zu verknüpfen. Aber auch das funktioniert natürlich nicht immer, und bei einem Strip, der über fast vierzig Jahre ununterbrochen läuft, muss irgendwann der Jensen FF aus den 1960er-Jahren einem moderneren Auto weichen, während die Figuren um keinen Tag altern.

Modesty Blaise und Willie Garvin sind Weltbürger im besten Sinne: ohne Vorurteile. Und so führen sie ihre Abenteuer oft an exotische Schauplätze. Angeblich verwendete Peter O’Donnell das National Geographic Magazine, um sie auszuwählen, doch oft schoss er auch selbst Fotos, nach denen die Zeichner arbeiteten. Das war vor allem im Fall des Spaniers Enrique Romero wichtig, denn Peter O’Donnell sprach kein Wort Spanisch und Romero kein Englisch. Die Zusammenarbeit zwischen Autor und Zeichner verlief wie zwischen Drehbuchautor und Regisseur, denn Peter O’Donnell war kein guter Zeichner und damit auch kein Comic-Künstler im eigentlichen Sinne. Dennoch funktionierte die Zusammenarbeit anscheinend sehr gut, denn keiner zeichnete Modesty Blaise so lange wie Romero, der sich nur zwischenzeitlich mit seiner Endzeit-Heldin AXA selbstständig machte. Er stand lange in dem Ruf, nur schöne Frauen zeichnen zu können, doch für Peter O’Donnells Bösewichte konnte er durchaus mal über seinen Schatten springen …

In den Comics sind gegenüber den Romanen eine Menge neuer, interessanter Figuren zu entdecken. Und Peter O’Donnell, dessen Humor in den Romanen nur sehr zurückgenommen aufblitzte, zeigte hier, dass er seiner Heldin auch ausgesprochen komische Geschichten auf den Leib schneidern konnte, wenn sie sich beispielsweise eines besonders hartnäckigen Verehrers erwehren, Kindermädchen spielen oder einer Gruppe von naiven Schatzsuchern aus der Patsche helfen muss.

Es gibt nur den Strip von heute

Der tägliche Strip in der Zeitung landet mit derselben im Abfall. Er existiert nur im Hier und Jetzt, die winzige Spitze eines gewaltigen Eisbergs von Geschichten im Meer des Vergessens.

Glücklicherweise gibt es Nachdrucke …

Da in Deutschland nie eine richtige Zeitungsstrip-Kultur existierte, bekommt man auch die Nachdrucke der Kleinode vergangener Tage meist nur in englischer Sprache in die Hände. Es gab zwar vom Carlsen Verlag und der österreichischen Comiczeitschrift STRIP – im Zeitungsformat – verschiedene Ansätze zu Reprints der Modesty-Blaise-Comics, doch diese kamen kaum über die von Jim Holdaway gezeichneten Geschichten (1970) hinaus, obwohl der Strip noch bis zum Jahr 2001 lief.

Der britische Verlag Titan Books ist derzeit auf dem besten Weg, einen kompletten Nachdruck der Strips herauszubringen, pro Jahr erscheinen derzeit 2–3 Bände mit je drei von Peter O’Donnell persönlich kommentierten Storys. In Norwegen – Modesty Blaise war und ist in den skandinavischen Ländern besonders erfolgreich – versucht man, aus den Originalzeichnungen der Strips (die ja etwa ein Format von 50×20 cm haben), einen besonders hochwertigen Nachdruck herzustellen. Leider sind die meisten Originale inzwischen in alle Winde verstreut oder verschollen.

Möge die Übung trotzdem gelingen! Denn einen deutschen Reprint wird es wohl auf absehbare Zeit nicht geben.

Als Quentin Tarantino mit seinem goldenen Händchen für Geld und Erfolg in den 90er-Jahren vergessene Kultfiguren wieder zum Leben erweckte, kaufte er zwar auch die Filmrechte an Modesty Blaise, doch heraus kam nur ein Billigstreifen, der nicht einmal in die Kinos kam. Sie hatte eben kein Glück im Film. Dabei steht gerade eines ihrer Bücher, das sozusagen in Vincent Vegas Blut auf dem Toilettenboden schwimmt, für das „Pulp“ in Pulp Fiction. Vielleicht hatte die Dame einfach zu viel Niveau für Tarantino und Hollywood …

Peter Friedrich

Mehr über Peter O`Donnell und Modesty Blaise auf der ewig unfertigen deutsch-englischen Modesty-Blaise-Site. Dort finden Sie auch die nötigen Bibliografie.
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